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Keine „seelenlose Aufnahme“

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Er gehört zu den „Glücklichen“, weil er sein Leben retten konnte, aber er hat große Sorgen, weil seine Frau und sein Sohn bisher nicht nach Österreich kommen konnten. Ba Ky Tran, Indochina-Flüchtling und seit kurzem in Österreich, versucht seit Monaten, Kontakt zu seinen Angehörigen in einem der 27 Flüchtlingslager in Thailand aufzunehmen. Aber Briefe kommen nicht an und die vor geraumer Zeit erteilten Visa des österreichischen Staates für Frau und Kirtd gehen „ins Leere“.

Felix M. Bertram, der Koordinator der österreichischen Caritas-Zentrale für das Vietnam-Programm, verspricht dem noch unbeholfen deutsch sprechenden Flüchtling rasche Hilfe. Aber er weiß insgeheim: das kann noch Monate dauern und seine Mittel, das grauenhafte Elend und den tausendfachen Tod abzuwenden sind begrenzt. Letzten Endes sind Ausdauer und Beharrlichkeit die besten Waffen.

Am 26. Juni gab Innenminister Erwin Lanc bekannt, Österreich werde 100 weitere Indochina-Flüchtlinge aufnehmen. Sie sollen - wie die 354 irr^Laufe des ersten Halbjahres 1979 aufgenommenen Flüchtlinge aus Vietnam und Kambodscha - ständig hier leben und integriert werden.

Der Ankündigung des Innenministeriums waren mannigfache Anstrengungen des Caritas-Verbandes vorausgegangen, um die schlechten Erfahrungen früherer Integrationsversuche abzuwenden. Angesichts der „seelenlosen Flüchtlingsaufnahme“ (so Innenminister Lanc) übernahm der Caritas-Verband das Modell der „Pfarr-Patenschaften“, mit dem die Schweizer gute Erfahrungen gemacht haben.

Die „Pfarr-Patenschaft“ sieht so aus: Die Mitglieder einer Pfarrgemeinde übernehmen nach gemeinsamer Aussprache die moralische Verpflichtung, eine Familie aus Viet«-nam oder Kambodscha zu betreuen, ihr eine Wohnung und einen Arbeitsplatz zu beschaffen, sie so lange materiell zu versorgen, bis sie auf eigenen Füßen stehen kann und - das ist das Wichtigste - ihr zu vermitteln: „Ihr seid uns willkommen!“ Bisher war die Integration auf dem Verwaltungsweg versucht worden und es nimmt nicht wunder, daß sie scheiterte, wie das Ministerwort andeutet.

Wem bei der Integration von Flüchtlingen auf die Sprünge gehol-• fen werden muß, dem kann ein kleiner Ratgeber des Caritas-Verbandes Auskunft geben. Es heißt da: „Geben Sie ihnen das Gefühl der Sicherheit und erwünscht zu sein ... Denken Sie bitte daran, daß diese Menschen aus einem uns völlig fremden Kulturkreis kommen und mitunter Reaktionen zeigen, die unserem Verhalten überhaupt nicht entsprechen. Messen Sie, bitte, daher nicht mit unseren Maßstäben!“

Dazu zählt ohne Zweifel das westeuropäische Arbeitstempo, dem die Flüchtlinge aus Fernost zunächst nicht gewachsen sind, obwohl sie bereit sind, sich anzupassen und für ihren eigenen Lebensunterhalt sorgen wollen.

Das Echo aus den Pfarrgemeinden Österreichs war vielversprechend: 120 Plätze stehen zur Verfügung, so daß 100 der Asylanträge, die aus den Lagern im Fernen Osten an das Innenministerium, an den Caritas-Verband und an das UN-Hochkommissariat für das Flüchtlingswesen gestellt wurden, angenommen werden können. Die Flüchtlinge werden voraussichtlich im Oktober in Österreich eintreffen und nach einem kurzen Aufenthalt in einem Durchgangslager in ihre Pfarrgemeinden Weiterreisen können.

Jedermann weiß, daß die Aufnahme von 100 Flüchtlingen angesichts des massenhaften Elends; (in den Lagern von Malaysia warten 76.000 Menschen, in Thailand 130.000, in Hongkong 57.000 Flüchtlinge) noch nicht einmal der vielbemühte Tropfen auf den heißen Stein bedeutet. Trotzdem wollen die Verantwortlichen nicht von der „Devise der überschaubaren Gruppen“ abrücken (Felix M. Bertram).

Allerdings hegt Bertram den Wunsch, im Rahmen der „Pfarr-Patenschaften“ alle zwei bis drei Monate etwa 100 Flüchtlingen aus Indo-china den Weg nach Österreich zu ermöglichen. Die Voraussetzung dazu ist aber, daß auch weiterhin Pfarrgemeinden Patenschaften für vietnamesische Familien übernehmen.

Um die Schranke der Gleichgültigkeit zu überwinden, zeigt Felix M. Bertram in den Pfarrgemeinden den Film „Unerwünscht“, einen Film über das Flüchtlingselend in Fernost, der regelmäßig Betroffenheit unter den Zuschauern auslöst. Bertram weiß nur zu gut, daß wieder von oben verordnet werden muß, falls der Zustrom an „Pfarr-Patenschaften“ versiegen sollte. Ohne Pfarr-Patenschaften keine wirkliche Integration!

In diesem Sinn wäre es ungenau, zu sagen, daß Österreich 100 Flüchtlinge aufnehme; es müßte vielmehr heißen: der Staat Österreich nimmt 100 Flüchtlinge auf und die Bevölkerung nimmt sich ihrer an.

Wie das Beispiel Ba Ky Trans zeigt, werden den Vietnamesen in Österreich noch viele Menschen nachfolgen, da die Vietnamesen in großen Familienverbänden zu leben gewohnt sind und alles Menschenmögliche unternehmen werden, die auseinandergerissenen Familien zu vereinen. Ferner muß angenommen werden, daß das Flüchtlingsproblem in Indochina noch Jahre andauern wird, bis alle Sino-Vietnamesen ihr Land verlassen, und nach einem entsetzlichen Lagerdasein irgendwo auf der Welt Asyl gefunden haben.

Angesichts dieses Elends bleibt Felix M. Bertram gar nichts anderes übrig, als sich an die kleinen Fortschritte zu klammern: er sei „ungemein glücklich“ über die Einsicht in Österreich, daß die zwischenmenschlichen Beziehungen über den Erfolg der Integration entscheide.

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