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Bruchstellen der Rechtspflege

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Es erscheint nötig — denn es ist Grund und Anlaß gegeben —, auf die Gefahren unklarer Gesetzessprache aufmerksam zu machen. Ich zeige an einem Beispielfall, wohin es kommt, wenn sich der Gesetzgeber in seinen Anordnungen nicht klar ausdrückt, wenn Gesetze nicht einmal für den Juristen verständlich sind.

Eine Tageszeitung veröffentlichte vor kurzem die im Gesetzeswortlaut gedeckte Auslegung der Übergangsbestimmungen des neuen Nationalsozialistengesetzes, wonach jeder, nur kein Illegaler, die seinerzeit gemachten Angaben bei der Registrierung binnen vier Wochen nach dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes straffrei berichtigen könne. Auch der Jurist kommt nach dem Wortlaut des Gesetzes zu demselben Ergebnis, denn das Gesetz sagt bezüglich der Straffreiheit der Nach registrie-rung ausdrücklich, daß „diese Bestimmungen keine Anwendung finden, wenn sich der Täter auch des Verbrechens des Hochverrats nach 10 des Verbotsgesetzes in der vor dem Inkrafttreten des vorliegenden Bund“s-verfassungsgesetzes geltenden Fassung schuldig gemacht hat“. Schuldig des Verbrechens des Hochverrats in der alten Fassung des Absatzes 1. 10. aber ist jeder Illegale, er ist dieses Verbrechens wegen nur nicht ohne weiteres strafbar.

Legt man daher das Gesetz in herkömmlicher Weise aus, ist der Illegale von der Straffreiheit bei rechtzeitiger Nachregistrierung ausgenommen. Die bezogene Gesetzesstelle kann aber aus dem einfachen Grund nicht mit dem herkömmlichen Maße, nicht in buchstäblicher Gesetzesauslegung interpretiert werden, weil sie selbst juristischen Anforderungen nicht entspricht; spricht sie doch bezüglich von Verurteilungen nach 8 des VG von ..Urteilen erster Instanz, die zwar schon gefällt, aber noch nicht in Rechtskraft erwachsen“ sind, und übersieht hiebei. daß es im Volksgerichtsverfahren erstens überhaupt nur eine Instanz gibt und zweitens ein Urteil des Volksgerichtes schon mit der Verkündung rechtskräftig wird.

Solche grobe Fehler sollen sich in einem

Gesetz nicht finden! Da sie aber vorhanden sind und sich in dem Durcheinander der bezüglichen Gesetzesbestimmung niemand auskannte, erließ — von bestem Willen geleitet—der Justizminister am 8. März 1947 zur Zahl 10712/47 einen Erlaß, der dazu führt, daß eine Gesetzesbestimmung genau im gegenteiligen Sinne ausgelegt wird, als es nach der wörtlichen Interpretation geschehen müßte. Diesem Erlaß ist im End-t ergebnis beizupflichten, denn aus der Entstehungseeschichte der Gesetzesstelle ergibt sich, daß der Gesetzgeber in Wahrheit etwas anderes wollte, als er aussprach, der Erlaß spricht es ausdrücklich aus. daß sich auch der Illegale straffrei nachregistrieren lassen kann. Dieser Erlaß wurde erst um den 10. März 1947 den Oberlandesgerichtspräsidien, Oberstaatsanwaltschaften und Direktionen der Strafanstalten und den letzteren mit der Weisung zugestellt, daß den Häftlingen rechtzeitig der Inhalt des Erlasses eröffnet werde. Nur ein Häftling konnte dergestalt rechtzeitig die so wichtige Auslegung kennenlernen, die der Justizminister einer Gesetzesbestimmung gab, die für so viele von großer Bedeutung ist. Wer also nicht Häftling war, erfuhr hievon nichts, denn der Erlaß des Ministers wurde nicht veröffentlicht, die Frist der Nachregistrierung aber lief am 17. März ab.

Allen schuldigen Respekt vor dem Erlaß des Ministers!

Es kann und darf aber nicht übersehen werden:

Erstens schuf erst dieser Erlaß in der bis dahin bestandenen Verwirrung Klarheit, denn es wurde bis zu diesem Erlaß allenthalben eine demselben entgegengesetzte Rechtsmeinung vertreten.

Zweitens aber kam dieser Erlaß zu spät.

Drittens wurde dieser Erlaß bis zum heutigen Tage, demnach-bis zum Ablauf der Frist, welche die straflose Nachregistrierung begrenzt, weder im Amtsblatt der öster eichischen Justizverwaltung noch in irgendeiner juristischen Zeitschrift veröffentlicht.

Viertens und vor allem aber vermag nach den geltenden Rechtsgrundsätzen ein ministerieller Erlaß — so recht er im Einzelfalle und im Endergebnis sein mag — in wirksamer Weise überhaupt nicht ein Gesetz auszulegen. Eine nur scheinbar „authentische“ Auslegung des Gesetzes aber ist gefährlich, denn sie erweckt den Findruck der Zuverlässigkeit, ohne verbindlich zu sein, denn wer hindert ein Gericht, in der Rechtsprechung eine andere Ansicht als die des ministeriellen Erlasses zu vertreten?

Es ist an sich unerfreulich, wenn erst ein Erlaß einer gesetzlichen Bestimmung den Sinn geben muß, der ihrem Wortlaute nicht zu enthehmen ist, politisch gefährlich aber, weil der Eindruck entstehen könnte, daß die Justizverwaltung im Wege von Dienstanweisungen zur Auslegung von Gesetzen Stellung nimmt, die zufolge der verfassungsmäßigen Teilung der Gewalten (Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit) lediglich den Gerichten zusteht. Zufolge des Versagens des Gesetzgebers aber war es nötig, daß der Justizminister — die Verwaltung — eingriff, um ärgeres zu verhüten. Hiemit aber ist das Problem bloßgelegt, um das es geht: die Klarheit der Gesetzessprache. Die Gesetzessprache muß eindeutig, sie darf nicht mehrdeutig sein, der Gesetzgeber muß sich — soll die Rechtssicherheit nicht unabsehbaren Schaden leiden — selbst ohne Hilfe ministerieller Erlässe gemeinverständlich ausdrücken, damit er vom Volk selbst ohne weiteres verstanden werden kann.

Dieses Verlangen entspricht österreichischer Tradition, welche Deutlichkeit und Bestimmtheit des Ausdrucks, geringe Zahl und Kürze der gesetzlichen Vorschriften als Erfordernis einer guten Gesetzgebung verlangt. Auch der heutige österreichische Gesetzgeber anerkennt in der Theorie die Berechtigung dieses Verlangens, denn erst unlängst führte im Parlament bei der Beratung über das Gehaltsgesetz der Berichterstatter als Vorzüge desselben aus, daß es eine „verhältnismäßig große und weitverzweigte Gesetzesmaterie in übersichtlicher, klarer und äußerst einfacher, verständlicher Form“ zusammenfasse. “Ich habe an einem Einzelfall des Nationalsozialistengesetzes dargelegt, wie wenig dieses diesem Erfordernisse genügt.

Dieser Beispielfall kennzeichnet auch die unmögliche Technik des Gesetzes, denn die besprochene Gesetzesstelle muß in umständlicher Weise mit „Ziffer 3 der Überleitungsbestimmungen zum I. Hauptstück des Nationalsozialistengesetzes vom 6. Februar 1947. BGBl. 25, Abschnitt II“ zitiert werden. Das Gesetz ist nämlich nicht einmal d u r c h p a r a g r a -phiert, es zerfällt in XXI Hauptsrüdke, und diese sind untergeteilt in Abschnitte, so daß in der aufgezeigten umständlichen Form auf eine Gesetzesstelle hingewiesen werden muß. anstatt selbe mit der Nennung eines einzigen Paragraphen anrufen zu können.

Muß dies sein? Wie verstand es doch das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch und wie verstehen es so viele andere österreichische Gesetze trotz nicht minderer Kompliziertheit der von ihnen geregelten Materien, sich allgemeinverständlich auszudrücken.

Es wäre daher hoch an der Zeit, zum Brauche unserer Väter und zur Gemeinverständlichkeit gesetzgeberischer Ausdrucksweise zurückzukehren. Die österreichische Gesetzessprache hat besonderen Klang und Namen, es gilt, die frühere Höhe anzustreben und zu erreichen, denn die österreichische Gesetzgebung hat etwas zu verlieren.

Cicero, ein römischer Anwalt, machte durch seine vor mehr als 2000 Jahren (65 v. Chr.) gehaltene Katilinarische Rede eine altrömische Formel zu einem geflügelten Wort. Ich rufe sie unseren vom Volke gewählten Vertretern, die für die Gesetzgebung verantwortlich zeichnen, ins Gedächtnis, die Worte: Caveant consules, ne quid detrimenti capiat res publical

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