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Die Staatsanwaltschaft und die Unabhängigkeit der Rechtspflege

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Grundsätzliche Gedanken zum Rechtsstaat.

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Grundsätzliche Gedanken zum Rechtsstaat.

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Der Wert eines Staates ist auf die Dauer doch nur der Wert seiner Bürger; und ein Staat, der ihre geistige Erstarkung und Erhebung einem geringfügigen Zuwachs an Verwaltungsgeschick nachsetzt, der Staat, der seine Menschen zu Zwergen macht, um an ihnen gefügigere Werkzeuge selbst für heilsame Zwecke zu gewinnen, wird bald erfahren, daß sich mit kleinen Menschen nichts Großes wahrhaft vollführen läßt und daß der vollendete Mechanismus, dem alles geopfert wird, keinen Ersatz für die geopferte Lebenskraft bietet, die er aus seinem Innern verbannt hat — um nicht durch sie gestört zu werden. (John Stuart Mill: "On Liberty")

Daß der Richter unabhängig ist, ist nicht neu. Unbekannt ist jedoch vielfach, daß die Staatsanwaltschaft eine Verwaltungsbehörde ist, die den Weisungen des Justizministers unterliegt. Ist es von Bedeutung, daß eine Verwaltungsbehörde im Strafprozeß entscheidend mitwirkt? Die Staatsanwaltschaft ist eine Anklagebehörde, der die Verfolgung aller sogenannten Offizialdelikte obliegt. Das Anklageprinzip der österreichischen Strafprozeßordnung besagt, daß ein Strafverfahren einzig und allein auf Antrag des Anklägers eingeleitet und nur solange vom Gericht fortgesetzt werden kann, als die Anklage aufrechterhalten wird. Uber Antrag des Staatsanwaltes — vom Subsidiarankläger soll hier nicht die Rede sein — ist das Strafverfahren einzustellen, zieht der Ankläger vor Schluß der Haüptverhandlung die Anklage zurück, ist freizusprechen. Die Staatsanwaltschaft kann demnach allerdings nicht erwirken, daß das Gericht in einem bestimmten Sinne entscheidet, wohl aber hängt es von dieser Behörde ab, ob das Gericht überhaupt zu entscheiden hat.

Eine so ausgedehnte Befugnis der Staatsanwaltschaft erfordert unbedingt eine Garantie für das in allen Fällen gleichmäßige Funktionieren dieser Behörde. Die Staatsanwaltschaft soll nicht aus Zweckmäßigkeitsgründen von einer an sich begründeten Verfolgung Abstand nehmen dürfen. Die geltende Strafprozeß Ordnung hat daher die Pflicht des Staatsanwaltes zur Verfolgung aller zu seiner Kenntnis gelangenden Offizialdelikte normiert. Im Legalitätsprinzip gipfelt demnach der von der Strafrechtswissenschaft aufgestellte Grundsatz, daß der Staat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht zu strafen habe, dies teils aus ethischen, teils aus staatspolitischen Erwägungen, weil der moderne Staat in der Aufrechterhaltung des Friedens nach außen und der Ordnung im Inneren seine Hauptaufgaben sieht, die Rechtspflege also zu den vornehmsten Aufgaben der Staatsgewalt zählt.

Genügt die Garantie des Legalitätsprinzips? Bei der Prüfung, ob ein Strafverfahren einzuleiten oder die Verfolgung aufzugeben ist, ist die Erwägung anzustellen, erstens, ob eine gerichtlich strafbare Handlung vorliegt und zweitens, ob zureichende tatsächliche Anhaltspunkte hiefür gegeben sind. Es ist demnach einerseits eine Rechtsfrage zu lösen, die in der Regel nicht zweifelhaft sein wird, und andererseits eine Würdigung der Beweise und damit eine Abwägung der Beweislage vorzunehmen. Der Staatsanwalt übt hiebei eine ähnliche Funktion aus, wie sie dem unabhängigen Richter bei der Schöpfung des Urteils zukommt. Die Beweiswürdigung wird vom Richter sowie vom Staatsanwalt nicht nach gesetzlichen Beweisregeln, sondern nur nach freier, aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider die vorgebrachten Beweismittel gewonnenen Überzeugung geschöpft. Die Beurteilung einer Beweislage hängt von der Einschätzung vieler unwägbarer Umstände ab. In dieser Richtung ist der unabhängige Richter nur seinem Gewissen verantwortlich. Der abhängige Staatsanwalt hingegen nimmt die Beweiswürdigung letztlich nicht immer allein vor, weil alle staatsanwaltschaft- lichen Funktionäre auch den für den Einzelfall ihnen zukommenden Weisungen des Bundesministers für Justiz unterworfen sind.

Ist demnach das Legalitätsprinzip tatsächlich eine vollständige Garantie? Wird nicht eine Sache der Entscheidung des Gerichtes entzogen, wenn das Verfahren von der Anklagebehörde auf Grund ihrer freien, aus den Akten geschöpften Überzeugung eingestellt wird? Besteht nicht die Gefahr, daß zu wenig angeklagt wird, das heißt daß Strafsachen nicht vor den Richter gebracht werden, die allenfalls bei einer anderen Beurteilung der Beweislage der Entscheidung des Richters unterworfen worden wären?

Hier liegt wohl die Annahme nahe, daß eine letztlich der Weisung des Bundesministers für Justiz unterstehende Behörde eine geringere Garantie für die Ausübung des Anklagerechtes bietet als ein unabhängiges Organ. Da nun die Entscheidungsgewalt des Gerichtes in der Regel davon abhängt, daß der Ankläger dem Gericht hiezu Gelegenheit gibt, ist der weisungsfreie, also der unabhängige Staatsanwalt — dies gilt wohl für Diktaturen ebenso wie für demokratische Staaten — eine bessere Garantie für eine unparteiische Rechtsprechung. Ist nicht der abhängige Staatsanwalt ein Relikt der Kabinettsjustiz? Der Richter ist inzwischen durch Verfassungsbestimmungen unabhängig geworden, der Staatsanwalt ist abhängig geblieben. Sollte nicht durch die Beseitigung dieser Abhängigkeit jedwede Einflußnahme auf die Rechtsprechung, und käme sie auch von einer Verwaltungsbehörde, verhindert und dadurch die Strafgerichtsbarkeit tatsächlich vollständig unabhängig gestellt.

Der Autor ist Kreisgerichtspräsident.

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