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Das Schweigen der Richter

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Die Frage „Warum schweigen die Richter?“ hat Dr. Egon Kittel in der „Furche“ vom 9. Juni 1962 als erster gestellt. Er fragt, warum die Richter zu wichtigen neuen Gesetzen nicht mehr Stellung nehmen und sich nicht einmal zu dem sie unmittelbar berührenden neuen Richterdienstgesetz Äußern. Er findet die Antwort darauf in den disziplinarrechtlichen Bestimmungen dieses Gesetzes, das keine Disziplinartatbestände kennt und die Frage, was eine disziplinare Pflichtverletzung ist, dem freien Ermessen überläßt, so daß sich der Richter der Gefahr ausgesetzt sehe, wegen eines Auftretens in der Öffentlichkeit, wegen der Äußerung einet eigenen Meinung, wegen einer Kritik an einer Maßnahme der Regierung disziplinar gemaßregelt zu werden. Ein solches Risiko könne ein Richter, zumal bei der finanziellen Gedrücktheit des Standes, nicht auf sich nehmen.

Diese Antwort ist sicherlich richtig; es trifft den Nagel auf den Kopf, die Erklärung dafür, daß die Kritik der Richter an ihrem Dienstrecht verstummt, ist in diesem neuen Dienstrecht selbst zu suchen. Trotzdem befriedigt die Antwort nicht ganz; sie muß schon deshalb unvollständig sein, weil der aufgezeigte Mangel des richterlichen Disziplinarrechts schon dem alten Dienstrecht anhaftet, in dieser Beziehung keine Änderung eingetreten ist und die bloße Beibehaltung des bisherigen Rechtszustandes nicht erklärt, warum die Richter jetzt schweigen, während sie früher nicht geschwiegen haben.

Dafür muß es weitere Gründe geben. Auf einige dieser Gründe soll im folgenden aufmerksam gemacht werden, wobei zu betonen ist, daß eine eingehende Stellungnahme des Praktikers zum neuen Richterdienstrecht wohl in erster Linie in die Fachpresse gehört, daß aber auch die Allgemeinheit, die doch am ordnungsgemäßen Funktionieren der Rechtspflege und daher auch an der Wahrung der richterlichen Unabhängigkeit interessiert sein muß, Anspruch auf Aufklärung einer so auffälligen Erscheinung hat, wie sie das Unterbleiben jeder Äußerung zum Richterdienstgesetz aus den Kreisen der am Zustandekommen dieses Gesetzes nicht selbst beteiligten Richter ist.

Nach 43 des bis 30. April 1962 in Geltung gestandenen Richterdiszi-plinargesetzes vom 21. Mai 1868 konnte ein Richter wider seinen Willen versetzt werden, „wenn das Verbleiben des Richters auf seinem Dienstposten der Rechtspflege zum Abbruch gereichen würde“. Diese ganz unbestimmte, die verfassungsgemäße Unversetzbarkeit des Richters stark einschränkende und von den Richtern seit jeher bekämpfte Bestimmung ist trotz des Widerstandes der Richterschaft in das neue Gesetz übernommen worden, allerdings in etwas geänderter Form. Nach 82 RDG kann der Richter nunmehr auf einen anderen Dienstposten derselben Standesgruppe versetzt werden, wenn „vom Richter nicht verschuldete, außerhalb seiner Amtsausübung gelegene Umstände sein Ansehen oder seine Tätigkeit auf seinem Dienstposten dauernd so schwer beeinträchtigen, daß das Verbleiben des Richters auf seinem Dienstposten der Rechtspflege zum Abbruch gereichen würde“.

Es ist nach wie vor unklar, welche „Umstände“ hier in Betracht kommen, und unbekannt, wie die äußerst dehnbare Fassung dieser Bestimmung gerechtfertigt wird. Die umfangreichen „Erläuternden Bemerkungen“ zur Regierungsvorlage des RDG lassen jede Erläuterung hierzu vermissen. Klargestellt ist aber durch den neuen Wortlaut, daß ein Richter auch dann, wenn ihn keinerlei Verschulden trifft und an seiner Amtstätigkeit nichts auszusetzen ist, gegen seinen Willen an ein beliebiges anderes Gericht versetzt werden kann aus Gründen, die alles eher als eindeutig bestimmt sind und bei deren Beurteilung dem freien Ermessen weitester Spielraum eingeräumt ist.

Nach dem Richterdisziplinargesetz ( 50) konnte ein Richter gegen seinen Willen in den zeitlichen oder dauernden Ruhestand versetzt, also „abgesetzt“ werden, wenn er wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen zur Erfüllung der ihm obliegenden Pflichten untauglich wurde. Dagegen war gewiß nichts einzuwenden. Diese Möglichkeit, den Richter abzusetzen, hat der Gesetzgeber nun erweitert. Gemäß 84 und 88 RDG ist der Richter in den zeitlichen, unter Umständen den dauernden Ruhestand zu versetzen, wenn er wegen körperlicher oder gerstiger Eigenschaften oder Gebrechen dienstunfähig ist. Was unter „Eigenschaften“ zu verstehen ist, sagt weder das Gesetz noch sagen es die „Erläuternden Bemerkungen“ hierzu, die auch diese Änderung mit Stillschweigen übergehen. Sicher ist nach der neuen Fassung dieser Bestimmung nur, daß es sich um Eigenschaften handeln muß, die keine Gebrechen lind, da die Änderung sonst zwecklos und sinnstörend wäre. Der Gesetzgeber geht also von der Möglichkeit des Vorhandenseins oder Auftretens von Eigenschaften bei Richtern aus, die weder auf körperlicher noch auf geistiger Erkrankung beruhen, also Eigenschaften eines völlig gesunden und normalen Richters, die ihn — ohne ihn disziplinar verantwortlich zu machen — als dienstunfähig erscheinen lassen.

Es ist bisher vergeblich versucht worden, zu ergründen, was für „Eigenschaften“ dies sein sollten oder könnten und welche Motive für die Schaffung dieser neuen Möglichkeit, einen Richter abzusetzen, maßgebend gewesen sind. Wiederum sieht sich der Richter einer Bestimmung unterworfen, deren Tragweite er auch nicht annähernd abschätzen kann.

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