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Frage an den Gesetzgeber
Sollen und dürfen die Richter diesen Erklärungen' höchster Autoritäten im Staate entgegentreten?
Sie werden es müssen!
Es gehört zu den Berufsaufgaben des Richters, nach dem Zweck jeder von ihm angewendeten Gesetzesbestimmung zu forschen und der dabei vom Gesetzgeber verfolgten Absicht nachzugehen, weil dies die beste, oft einzige Methode ist, zur richtigen Gesetzesauslegung und -anwendung zu finden. Daher muß sich jeder Richter zwangsläufig auch die Frage stellen.welche Absichten der demokratische Gesetzgeber der Zweiten Republik bei der Schaffung von gesetzlichen Bestimmungen für Richter verfolgt, deren weder die absolute noch die konstitutionelle Monarchie bedurfte, deren auch der autoritäre Ständestaat und das diktatorische Hitler-Regime ent-raten konnten. Diese Frage ist bis heute, mehr als drei Vierteljahre nach der Verlautbarung des RDG noch unbeantwortet.
Nach der allgemeingültigen Auslegung des 6 ABGB ist für die Auslegung des Gesetzes die eigentümliche Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang und die klare Absicht des Gesetzgebers maßgeblich. Da diese „klare Absicht des Gesetzgebers“ bei vielen Bestimmungen des RDG unbekannt ist, sind die Richter bei der Auslegung auf den Gesetzeswortlaut angewiesen. Sie müssen mit den zahlreichen unbestimmten Möglichkeiten rechnen, die der Gesetzestext offen läßt. Sie müssen daher zum Ergebnis gelangen, daß das Richterdienstgesetz nicht' nur die meisten ihrer Forderungen zur Verbesserung ihrer Rechtsstellung unerfüllt gelassen hat. daß es vielmehr ihr Dienstrecht mehrfach sehr erheblich zu ihrem Nachteil abgeändert und verschärft, daß es die Ausnahmen von der Unabsetzbarkeit des Richters und ihrer Unversetzbarkeit in unbestimmter Weise erweitert, sie in weit größerem Maß als bisher dem freien Ermessen übergeordneter Stellen überantwortet, dem bisher gesetzte Schranken beseitigt und im ganzen gesehen die richterliche Unabhängigkeit weiter beschränkt hat. Die Verfassungsgrundsätze der Unabhängigkelt, Unabietzbarkeit und Unverletzbarkeit haben für den Richter wenig Wert, wenn sie iurch einfaches Gesetz vielfach durchbrochen werden.Ob der Richter unabhängig ist, kann er selbst am besten beurteilen. Nur wenn er sich bewußt und davon überzeugt ist, daß er bei pflichtgemäßer Amtsführung „von keiner Macht etwas zu fürchten hat“ (siehe Vorwort des Bundeskanzlers zur Sondernummer der ,,Richterzeitung“), kann er seiner Aufgabe, der Sicherung einer wirklich unabhängigen und unbeeinflußbaren Rechtsprechung, unbehindert nachkommen.
Diese Überzeugung vermag das Richterdienstgesetz dem Richter nicht zu verschaffen.
Das Interesse an der Erhaltung eines Richterstandes, der seine Mission erfüllen kann, fordert unweigerlich, daß die Richter nicht länger auf Aufklärungen warten, die nicht mehr zu erwarten sind, daß sie ihr Schweigen beenden, die Stellungnahme zum RDG nicht mehr anderen überlassen.
Es ist das Verdienst des Kollegen Dr. Kittel, damit den Anfang gemacht und den Bann des Schweigens gebrochen zu haben. Jeder aufrechte österreichische Richter ist ihm und der ,.Furche“ hierfür zu Dank verpflichtet und muß es begrüßen, daß nunmehr auch die „österreichische Richterzeitung“ (Septembernummer) auf diese Ausführungen hingewiesen und sie damit zur Debatte gestellt hat.
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