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SOS ruft

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SOS-Berichti

2562: „Erholung für blinde Witwe“: SOS konnte den erforderlichen Betrag für den Kuraufenthalt aufbringen.

2566: „Gelähmter Arbeiter in Not“: SOS bittet um weitere Spenden.

Allen Spendern recht herzlichen Dank!

SOS-Rufe:..

INTERNATSPLATZ FÜR DEN KRANKEN MANFRED. Verzweifelte Eltern bitten um Hilfe für ihren kranken Sohn, der an einer Senkung der Wirbelsäule leidet. Drei Jahre mußte er ein Gipsmieder, drei weitere Jahre ein Spangenmieder tragen, vier Jahre verbrachte er in der Semmelweis-Klinik. Da er die Zeit, wo er die Schule besuchen konnte, stets große Lernerfolge erzielte und manuelle Arbeit für ihn ausgeschlossen ist, wollen ihn seine Eltern die Handelsschule besuchen lassen, und suchen — da sie auswärts wohnen — einen Internatsplatz für Manfred. SOS bittet um finanzielle Hilfe, da der Vater als Arbeiter nur einen geringen Betrag zur Unterbringung seines Sohnes leisten kann. Ruf 2575.

SIE VERLOR HEIMAT UND GESUNDHEIT. tFlüchtlingsfrau, die alles zurücklassen mußte und keine Rente erhält, ist auf fremde Hilfe angewiesen, da sie aus gesundheitlichen Gründen arbeitsunfähig ist und nur zum geringsten Teil von ihren Kindern unterstützt wird, die sich schlecht und recht als Knechte fortbringen. Der Arzt hat ihr nun Brillen und ein Bauchmieder verordnet, doch kann sie die Kosten hierfür nicht aufbringen. Anderseits würden ihr diese Hilfsmittel wirklich eine sehr große Hilfe bedeuten. SOS bittet für die Frau, die einmal bessere Tage gesehen hat, um Geldspenden. Ruf 2574.

Alle Hilfe und Zuschriften nicht an die Redaktion, sondern direkt an die SOS-Gemeinschaft, Wien I. Freyung 6, 6. Stiege, Telephon 63 17 98 Serie, Postscheckkonto SOS 94.206. Erlagscheine werden auf I Wunsch zugeschickt und sind in allen Postämtern erhältlich.

Und im übrigen: diese angeblichen 4 0 Prozent Kriminalität stammen bekanntlich zum Großteil von Minimalvergehen, von Verkehrsunfällen, die, eine Folge unserer statistiksüchtigen Aufschreibungsmethoden, eben auch ins Strafregister eingetragen werden. Jedes gerichtliche Strafmandat mit einer Strafsumme von wenigen Schilling wird registriert und zeitigt die angeblich so erschreckende Kriminalitätsvermehrung. Nein — weder stimmt die Grundthese der „Fortschrittler“ noch kann ich an ihre bessere Menschenkenntnis und humanere Gesinnung glauben. Vergessen wir eines nicht: auch das jetzige, alte Strafrecht ist — wenn man nur lesen will — genau so gut ein „Täter-Strafrecht“ wie das künftige, auch wenn es dies nicht ausdrücklich verkündet hat. Aber was bedeuten denn seine Eingangsbestimmungen, daß nur „Schuld und böse Absicht“ berechtigen, einen Täter zu verfolgen, anderes, als daß auch der jetzigen Strafrechtspflege genau so, wie es die Reformer wollen, die Aufgabe auferlegt ist, zuvor den Täter nach Herz und Charakter, nach Willen und Motiven zu prüfen?

Im Grunde genommen, erweist sich die Neuerung aber als nichts anderes als eine letzte Flucht vor Gott: Eben heute, da jener berühmtgewordene Buchtext „Die Bibel hat doch recht gehabt“ mutatis mutandis die gesamten weltlichen Geisteswissenschaften eroberte, ist es nicht recht einzusehen, warum gerade die Jurisprudenz einen Schritt rückwärts tun soll.

Damit soll nicht etwa dafür plädiert werden, den Wahrheitsgehalt jener Reformideologien zu negieren; in der Tat zeigt sich ja darin ein, allerdings tief tragischer, Aspekt: der Vorwurf gegen das noch geltende Strafrechtssystem beinhaltet nämlich letztlich nicht weniger als den Ausdruck eines latenten Ungenügens mit den Organen, die als Vollstrecker des abgelehnten Systems in Erscheinung treten, also mit den Richtern! Nun soll die Strafrechtspflege auf weite Strecken den Händen der staatlichen Richter entwunden und in die Hände justizfremder Kreise gelegt werden. Mit dieser Forderung stehen wir in der Tat an der Schwelle einer neuen Gerichtsbarkeitsepoche: die staatliche Justizgeschichte hebt zum „dritten Schritt“ an! Der erste — so nenne ich die mit dem Raub der Eidesformeln, also zu (Beginn des dritten vorchristlichen Jahrhunderts zu Rom anhebende Säkularisierung der Recht-

sprechung. Den „zweiten“ tat die Menschheit um 1789, als es zur Ueberwindung der königlichen Gerichtsbarkeit kam und die Rechtsprechung in die Hand des beamteten Berufsrichters gelegt wurde.

Und heute? Heute findet man auch dieses System für überholt und fordert die Uebergabe des Zepters an die Medizin! Welcher wird der nächste Schritt sein?

In der Tat zeigt sich heute, also rund ein und ein halbes Jahrhundert nach Inkrafttreten der revolutionären Rechtsordnung mit nur staatlich angestellten Berufsrichtern, die Kehrseite des auf den bekannten Gedanken Montesquieus gemalten Bildes: Trennung von Justiz und Verwaltung — gut. Keine Willkür in der Rechtsprechung mehr — sehr gut. Nur mehr das Gesetz bestimmt, was Rechtens sein soll — doch da fängt die Schwierigkeit an; denn das Gesetz kann nicht alles regeln — daher muß der rechtsprechende Richter — mehr oder weniger aus eigenem dartun, wenn er zu Gericht sitzt. Anfangs glaubte man, mit der Idee des Rechs- positivismus alle Schwierigkeiten überbrücken zu können: Richter, hieß es, judiziere ganz genau nach dem geschriebenen Recht! Aber mit Unlust mußten die Rechtspositivisten anerkennen, daß auch die geschriebenen, die staatlichen Normen voll solcher Vorschriften sind, die eine freie Beurteilung durch den Menschen Richter verlangen. Billigkeit, Bösheit, Heiligkeit — lauter Begriffe, die nirgends definiert und die nicht definierbar sind —, sie bilden letztlich die Grundlage der Rechtsprechung — und das Gesetz nur den Rahmen.

Angesichts dieser Lage kann es nicht wundernehmen, wenn die noch im Christentum verhafteten Juristen den Ruf erheben, die vom Positivismus so heftig verlangte Einheitlichkeit der Judikatur dadurch ,zu ermöglichen, daß — wie in der Vorzeit — wieder das göttliche Gesetz und das Naturrecht zur anerkannten Richtschnur der laikalen Rechtsprechung genommen werde.

Wie bei allen heftig vorgetragenen Forderungen und Uebertreibungen ist also auch in dieser Reform ein Funken Wahrheit; tatsächlich befindet sich die Figur des Richters, des Zentrums der modernen, 1789 geschaffenen Rechtsstaatlichkeit, mangels bewußter Verbindung mit der ewigen Autorität auf dem absteigenden Ast — und nach einem recht derben Wort müßte er daher in der Tat gefällt werden; doch ob der „dritte Schritt“ nicht eher geeignet sein wird, aufzudecken, woran es gefehlt hat? Ob er nicht — den Urhebern freilich noch unbewußt — ein Schritt zum Ursprung allen Rechtes sein wird?

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