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Erbe und Auftrag

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Klemens Maria Hofbauer, ,1751—1820. 1914, am Vorabend des ersten Weltkrieges von Plus X. zum Patron Wiens erhoben. Ein Wirken im Zeitalter der franzosischen Revolution, Napoleons, des Umsturzes aller Werte des Christlichen. Alle seine großen Werke scheitern: seine Pläne einer Balkan-, Asien-, Amerikamission ebenso wie sein Volksmissionswerk St. Benno in Warschau (nach zwanzigjähriger Blüte durch Napoleon aufgelöst), wie sein Herzanliegen, eine großangelegte Deutsdilandmis6ion. In Österreich: verhaftet, polizeilich überwacht, ein Jahr Predigtverbot, zwei Jahre vor seinem Tod wird ihm die Unterschrift, das Land für immer zu verlassen, erpreßt. Gehaßt, verfolgt, mißverstanden von vielen, geht dieser Mann durch seine Zeit als ein lebendiges Zeugnis der Liebe, der Kraft Gottes in den Menschen. Dieser Mann wirkt auf eine sehr einfache Weise: er nimmt Gott und den Menschen sehr ernst und findet die Kraft, dieses schwere Leben froh, ja heiter zu ertragen in einem ungebrochenen Gottvertrauen,

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Klemens Maria Hofbauer, ,1751—1820. 1914, am Vorabend des ersten Weltkrieges von Plus X. zum Patron Wiens erhoben. Ein Wirken im Zeitalter der franzosischen Revolution, Napoleons, des Umsturzes aller Werte des Christlichen. Alle seine großen Werke scheitern: seine Pläne einer Balkan-, Asien-, Amerikamission ebenso wie sein Volksmissionswerk St. Benno in Warschau (nach zwanzigjähriger Blüte durch Napoleon aufgelöst), wie sein Herzanliegen, eine großangelegte Deutsdilandmis6ion. In Österreich: verhaftet, polizeilich überwacht, ein Jahr Predigtverbot, zwei Jahre vor seinem Tod wird ihm die Unterschrift, das Land für immer zu verlassen, erpreßt. Gehaßt, verfolgt, mißverstanden von vielen, geht dieser Mann durch seine Zeit als ein lebendiges Zeugnis der Liebe, der Kraft Gottes in den Menschen. Dieser Mann wirkt auf eine sehr einfache Weise: er nimmt Gott und den Menschen sehr ernst und findet die Kraft, dieses schwere Leben froh, ja heiter zu ertragen in einem ungebrochenen Gottvertrauen,

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Das ist Hofbauer, der Patron Wiens. Was sagt er uns in dieser Stunde? Seine letzte Predigt am 5. März 1820, zehn Tage vor seinem Tode, klingt aus in die Mahnung, die Zeit zu benützen: „Denn es kommt die Zeit, in der niemand mehr wirken kann. Wie der Baum fällt, so bleibt er liegen in alle Ewigkeit/ Wir Katholiken tragen mit die Verantwortung für diese Stunde. Wenn wir, soweit es Gott zuläßt„ unserer Zeit gewachsen sein wollen, rnüssen wir diese Zeit viel ernster nehmen. Und, das heißt, zunächst schon ihre materiellen Anliegen und Sorgen. Bislang besteht keine Einigkeit unter uns Katholiken über die Verwaltung der Materie, der irdischen G^ter. Wohl auch deshalb, weil wir die materielle Not von vielen hundert Millionen Menschen geistig und seelisch gar nicht begreifen. Das zeigt sich bei uns in allen primären Fragen des täglichen Lebens, so etwa bei der Wohnungsfrage, dem Familienlohn, der Lohn- und Preisgestaltung, in unserer ganzen Auffassung der Wirtschaft. Es hat wenig Zweck, hier von dieser Stelle tönende Förderungen in die Welt hinauszuposaunen: Baut mehr Wohnungen, schafft Arbeitsplätze für die Jugend,

us „Erbe und Auftrag“, Vortrag bei der Eröffnung der „Kulturtage christlichen Gei6tes“ in der Festakademie der Wiener Diözese am 20. Mai,. 1951.

schafft Familienlöhne, hebt die Produktion, regelt das Lohn- und Preisgefüge — solange, wie es heute praktisch der Fall ist, über die Materie und das Materielle unter uns Katholiken in keiner Weise eine geistig und religiös fundierte Ubereinstimmung herzustellen ist. Uber deren Notwendigkeit ist ein Wort zu sagen. Sehr viele unter uns halten das Materielle für eine Sache an sich, die ihren eigenen Gesetzen folgt, die Verwaltung des Materiellen als eine religiöse Aufgabe haben wir Sekten und gegenchristlichen Bekenntnissen überlassen. Das heißt praktisch, daß wir vielleicht als Staatsbürger, keineswegs aber als Katholiken unsere Verantwortung für das Materielle, für die Wirtschaft zumal, begreifen. So erleben wir heute in vielen von Katholiken mitverantworteten Staaten das Schauspiel, daß der Raum der Wirtschaft unter dem Titel „Freiheit der Wirtschaft“ dem chaotischen Geschlinger egoistischer Triebe überlassen wird. Viele katholische Wirtschafter bekennen sich als Darwinisten zum Dogma vom Recht des Starken im Kampf ums Dasein auf eben jenem Gebiet, das für unser Ganzes so schicksalhaft ist. Freiheit des Christenmenschen wird identifiziert mit der Freiheit, meine wirtschaftlichen Machtmittel rücksichtslos zu gebrauchen. So gibt heute für jeden Einsichtigen das „christliche Abendland“ ein unerquickliches Spektakel. Im Vorder-

SOS ruft...

SOS-Bericht

SOS 426 „Mutter von zwei Kindern“: Wir durften dei Frau, die von ihrem Mann verlassen wurde und keine Alimente bekommt, 300 S Ubergeben.

SOS 427 „Oberregierungsrat, Flüchtling“: Er bekam drei Nadithemden, ein Leintuch und eine Gummieinlage. Krankenfahrstuhl haben wir leider noch keinen bekommen.

SOS 431 „Gelähmter Schriftsteller“: Wir haben leider keine Schreibmaschine für ihn erhalten.

SOS 432 „Elektromeister, 62 Jahre alt“: Wir konnten mit 300 S helfen. Allen Spendern herzlichen Dank!

Zwei hilfsbereite Menschen haben in ihrem Testament der SOS-Gemeinschaft gedacht: Aus dem Nachlaß des Herrn Franz Kern, Hinterbrühl, erhielten wir 5500 S. Die Witwe Luise Grießer aus Hall in Tirol hinterließ SOS 380,50 S. „Ich erlaube mir, diesen Betrag aus eigenem zu erhöhen“, schrieb uns der Notar und überwies uns 450 S.grund einige oft gutwillige Politiker und Literaten, neben ihnen Bischöfe, die in Reden und Konferenzen zur Einigkeit und Solidarität auffordern im Hintergrund stehen die wahren Machtherren der Zeit, die Mächtigen der Wirtschaft. Ein lähmendes Gefühl hat sich vieler Katholiken bemächtigt angesichts des faktischen Nichteingreifens der katholischen Potenz in die Entwicklung des sozialen und wirtschaftlichen Prozesses. Andererseits haben christliche Gewerkschaften und Gewerkschafter Aktionseinheit mit den Sozialisten, ja sogar Kommunisten gebildet, so in Italien und Frankreich, der Streik in Barcelona wurde von katholischen Aktivisten begonnen, nachdem Bischöfe und Orden jahrelang auch in Spanien vergeblich gemahnt hatten. Welche Folgerungen haben wir aus dieser Tatsache zu ziehen? Klassenkampf — von oben, Darwinismus im Sinne des Kapitalismus oder Klassenkampf von unten? Gewiß nicht, wir dürfen uns aber nicht wundern, wenn dieser Klassenkampf so lange die entscheidende Realität des Tages bilden wird, solange wir Katholiken noch gar nicht begreifen, worum es hier für uns gehen müßte. Um eine der wichtigsten Kulturaufgaben des Menschen, nämlich den Raum der Materie und des Materiellen zu unterwerfen der Ordnung des Geistigen, ihn vor hier aus zu gestalten. Es darf für den Katholiken kein Tabu geben, keinen Ort und Bereich des Lebens und unserer Wirklichkeit, der fremden Göttern überlassen wird. Und es sind furchtbare Götter, die einer ordnungslosen Wirtschaft, mögen ihre Idole In den Reklamephotos der Industrie auch noch so schön und verführerisch aussehen. Eine solche Aufgabe, es geht letztlich um eine Mitgestaltung der Welt aus Christlichem heraus, kann naturgemäß nicht durch jenes halbe Dutzend christlicher Soziologen, Theoretiker, Politiker und Wirtschafter gelöst werden, die wir heute in Osterreich und den westeuropäischen Staaten vorfinden. Grausam werden wir aber enttäuscht, wenn wir dieses Aberglaubens sind: wir Katholiken brauchten nur etwas mehr politische Macht, müßten uns etwas mehr um den Zeitgeist kümmern, müßten vor allem die Techniken der Bürokratie, Macht, Wirtschaft und Kultur erlernen, ihre Manipulationen applizieren — dann werden wir es schon schaffen, eben jene vielberedete „Ver-christlichung“ der Welt, der Zeit, nicht zuletzt der Kultur. Die moderne Zivilisation der technisch-naturwissenschaftlich-industriellen Welt ist in einem langen Prozeß entstanden, viele Gelehrte. Wissenschafter, Forscher haben ihrer Entwicklung ihr Leben geopfert, sie kann von uns Christen nicht so billig erobert werden, wie wir es uns manchmal gerne wünschen, dadurch, daß wir uns einfach ihre Mittel und Methoden applizieren, sie unserem alten Wesen ankleben. Eine solche Auffassung hieße, völlig diese Stunde mißverstehen — unser Erbe und unsere Aufgabe heute. Wir müssen noch bedeutend tiefer ansetzen im Angesicht des Heiligen, dessen wir hier heute gedenken.

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