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Sozialingenieur oder Richterkönig? Funktionsorgan oder personifizierte Gerechtigkeit? Was ist der Richter, was soll er sein?

Wer sich zum Richter macht, der beherrsche nicht nur das Strafgesetzbuch, sondern auch die Psychologie", hat der polnische Schriftsteller und Philosoph Aleksander ´Swietochowski vor gut hundert Jahren gefordert. Österreichs Richterinnen und Richter sehen das heute genauso. Umfragen bestätigen: Soziale Kompetenz wird von den Richtern selbst als entscheidend für die Eignung zum Richterberuf angegeben. Tendenziell rangiert für jüngere Richterinnen und Richter die Sozialkompetenz sogar vorm detaillierten juristischen Fachwissen.

Überrascht? Es kommt noch besser: Von einem Selbstbild als unumschränkt herrschende Richterkönige kann unter den heute amtierenden Richtern keine Rede sein: Eine justizsoziologische Untersuchung von Birgitt Haller zum Richterstand ergibt, dass sich Richter großteils als "Sozialingenieure" definieren, "wobei der Aspekt der Hilfestellung im Rahmen der richterlichen Tätigkeit herausgestrichen wird". Gewundert hat Haller, vom Institut für Konfliktforschung in Wien, dass in den Richterbefragungen "die Forderung nach Objektivität und Unabhängigkeit relativ selten angesprochen wurde". Erklären kann sie sich das Ungleichgewicht damit, "dass diese Eigenschaften bei Richterinnen und Richtern als selbstverständlich vorausgesetzt werden".

Keine Intervention möglich

Selbstverständlich selbstverständlich, denn nach österreichischem Recht ist der Richter in Ausübung seines richterlichen Amtes unabhängig. Garantiert wird diese richterliche Unabhängigkeit durch Unabsetzbarkeit, Unversetzbarkeit und das Prinzip der festen Geschäftsverteilung.

"Woanders mag das Ansehen der Person, ihr gesellschaftlicher Rang, ihre Bedeutung einen Einfluss haben", sagt Alois Jung, "doch beim Richter versagt der Einfluss der Intervention". Eine beruhigende Ansage, die der Präsident des Oberlandesgerichts Linz da macht - wenn's stimmt, stimmt's? Die Furche macht die Probe aufs Exempel, konstruiert einen Fall: Mögliche Steuervergehen eines beispielsweise Finanzministers würden demnach vor Gericht gleich behandelt werden wie bei jedem anderen Staatsbürger? Jung konkretisiert: "Ich spreche allein für die Richter!" Ob das auch für die Staatsanwaltschaft gilt, müsste also dort noch einmal extra nachgefragt werden. Seinen Richterkolleginnen und -kollegen konzediert Gerichtspräsident Jung jedenfalls , dass sie "nach der Wahrheit forschen" und "nach bestem Wissen und Gewissen" ihre Urteile fällen.

Personifiziertes Recht?

Der frühere Präsident des österreichischen Verfassungsgerichtshofes, Ludwig Adamovich, hat den Richtern einmal über ihre Tätigkeit als unabhängige Organe in der Gerichtsbarkeit hinaus eine herausragende Funktion zugeschrieben: Richter personifizierten "die Vorstellung von Gerechtigkeit", der Richter "ist in den Augen des rechtssuchenden Bürgers die personifizierte Rechtsidee". Adamovich zieht zur Untermauerung seines Richterbilds noch eine weitere österreichische Rechtsinstanz, Renè Marcic, heran, für den die richterliche Funktion gar "die konstante Fundamentalstruktur, die Ur- und Endform, der Arche- und der Teletyp jeder politischen, rechtlichen, staatlichen oder weltstaatlichen Gemeinschaft" darstellte.

Transparenz ist gefordert

Starker, zu starker Tobak für den Wiener Rechtsanwalt und Universitätsdozenten Alfred J. Noll: "Diese Einschätzung ist wohl kaum einer empirischen Absicherung zugänglich - sie ist allenfalls eine hoffnungsvolle ideologische Zuschreibung." Für Noll ist der Richter und die Richterin ein "Funktionsorgan im Rahmen des demokratischen Rechtsstaats und dabei ausschließlich säkular legitimiert." Und Noll fügt hinzu: "Das heißt, der Richter hat keine Macht, die über das Gesetz hinausgeht." In diesem Rahmen gesteht Noll dem Richter aber durchaus zu, ein "Herrschaftsorgan" zu sein, "der oder die auch herrschen soll".

Diese Macht erfordere aber gleichzeitig besondere Zurückhaltung und Transparenz in der Urteilsbegründung, mahnt Noll. Mit dieser Transparenz hapere es jedoch in Österreich, lautet sein Vorwurf. Hierzulande zähle vor allem der Richterspruch; die Erklärung, warum es zu diesem und nicht jenem Urteil gekommen ist, werde hingegen vielfach nur als vernachlässigbarer Zusatz angesehen. Dieses Versäumnis, meint Noll, lässt den Richter in den Augen der Recht suchenden Bevölkerung "als Element einer nicht weiter zu durchschauenden, nicht weiter kontrollierbaren und letztlich unverständlichen Bürokratie erscheinen - und gar nicht selten gerät der Partei des Verfahrens die Lektüre des Urteils zum Blick ins Gorgonenhaupt der Macht".

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