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Um die Lebenssorgen der österreichischen Richter

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Die Not der öffentlichen Angestellten in Österreich ist eine allgemein bekannte Tatsache. Daß darunter auch die österreichische Richterschaft schwer leidet, ist klar und bedarf keiner weiteren Begründung. Nun ist es wohl ein Unterschied, ob jemand, im öffentlichen Behördenapparat eingebaut, irgendeine Verrichtung zu besorgen hat oder ob ein Strafrichter bei der Entscheidung über Tod und Leben eines Staatsbürgers oder ein Zivilrichter in einer Millionenwerte betreffenden Streitsache, auf seine alleinige Verantwortung gestellt, ein nach jeder Richtung hin verbindliches Urteil zu fällen hat. Dazu bedarf es im Widerstreit der Parteien und Rechtsinteressenten einer inneren Kraft, eines festen Verantwortungsbewußtseins und einer unbedingten Unabhängigkeit. Kann eine solche, die Rechtssicherheit im Staate gewährleistende Unabhängigkeit dann noch vorhanden sein, wenn die Anschaffung eines notwendigen Bekleidungsstückes, die Zahlung einer Ärzterechnung oder der Ankauf eines gewöhnlichen Hausratsgegenstandes bereits Anlaß einer Hauptaktion für den Haushaltsplan eines Richters ist?

Es ist wohl eine starke Zumutung an den Charakter und die innere Gewissenspflicht von Menschen, die in ihrer materiellen Existenz gefährdet sind, in schwerwiegenden Entscheidungen privat-rechtlicher als auch öffentlich-rechtlicher Natur eine von allen Interessen und Interessenten unbeeinflußte Entscheidung zu treffen. Die österreichische Richterschaft hat bisher diese Bewährungsprobe mit Erfolg bestanden! Doch gibt es auch hier ein: „ultra posse nemo tenetur“. Es ist nun so weit, daß für die Erhaltung der tatsächlichen richterlichen Unabhängigkeit nicht gesetzliche Grundlagen, sondern die primitivsten natürlichen Voraussetzungen geschaffen werden müssen, die den österreichischen Richter in die Lage versetzen, nicht Reichtümer zu erwerben, sondern die selbstverständlichen Bedingungen eines von den drückendsten wirtschaftlichen Sorgen befreiten Lebens erfüllen zu können und dabei als geistiger Arbeiter die notwendigen Impulse zu einer zeitaufgeschlossenen und schöpferischen Arbeitsweise zu erhalten.

Der eminente materielle Notstand hat in den österreichischen Richterkreisen zu verschiedenen Kundgebungen und öffentlichen Protesten geführt. Verständlich! Doch muß dabei — bei voller Anerkennung der Berechtigung der Forderungen der österreichischen Richterschaft nach Sicherstellung ihrer unbedingten materiellen Existenzmittel — die Frage aufgeworfen werden, ob bei diesen. Kundgebungen und Protesten die Veranlasser derselben in der Debatte der abgeschlossenen Sitzungszimmer die Folgen ihrer Handlungsweise auch voll überdacht haben. Richter sein, heißt ein öffentliches Vertrauensamt bekleiden, heißt Diener des Rechtes und der Gerechtigkeit sein. Ist doch gerade die österreichische Richterschaft in ihrer Berufsausübung eine der wenigen Vertrauenspole des öffentlichen Lebens in Österreich. Darauf muß auch der Richter in allen seinen Handlungen Bedacht nehmen.

Dazu kommt noch das Wissen, daß sich der österreichische Staat zur Zeit in einem finanziellen Notstand befindet und sich die verantwortlichen Männer der Regierung und des Gewerkschaftsbundes bemühen, das Lohngefüge durch Senkung der geltenden Preisansätze unter allen Umständen aufrechtzuerhalten. Unter solchen Voraussetzungen muß natürlich eine Forderung auf Gehaltserhöhung für einen Teil der öffentlichen Angestellten auf Bedenken stoßen.

Bei den erwähnten verschiedentlichen Kundgebungen der österreichischen Richterschaft läßt sich auch der Versuch von parteipolitisch interessierten Hintermännern auf Herbeiführung einer parteipolitischen Aufspaltung der österreichischen Richterschaft nicht von der Hand weisen. Das muß unter allen Umständen verhindert Werden! Nur in der Geschlossenheit und Einigkeit der österreichischen Richter können ihre berechtigten Forderungen gegenüber Regierung und Verwaltung Beachtung und Anerkennung finden. Da dürfen auch allfällige taktische Fehler der derzeitigen Führung der Richterschaft keinen Anlaß zu einer Spaltung geben.

Gerade die Rechtssicherheit und das Vertrauen zu Recht und Gerechtigkeit bilden die wesentlichsten Voraussetzungen für den geordneten Bestand eines staatlichen Gemeinwesens. Dagegen darf in keiner Weise verstoßen werden! Wenngleich das nach dem ersten Weltkrieg viel gebrauchte Wort: von den höheren Bezügen „einer Abortfrau gegenüber dem eines Universitätsprofessors“ auch noch heute seine abgewandelte Berechtigung hat, so ist dies letzten Endes ein Ausdruck der allgemeinen sozialen Umschichtung in der Wertung und Auffassung des geistigen Arbeiters. Diese Krise hat auch zur materiellen Unterbewertung der geistigen Arbeiter geführt, und es ist notwendig, hier die geistigen Voraussetzungen für ein entsprechendes Umlenken der öffentlichen Meinung zu schaffen und so für eine entsprechende Hervorhebung und materielle Besserstellung der geistigen Arbeiter überhaupt die notwendigen Voraussetzungen zu bilden, wie sie zur Erhaltung eines sozial richtig funktionierenden Gemeinwesens erforderlich sind. Der österreichische Richter ist nicht berufen, als trockener Paragraphenreiter in einem luftleeren Raum juristisch-theoretische Gebilde zu schaffen, sondern er hat eine sozial wichtige Funktion im Gemeinwesen auszuüben und durch aus seiner sozialen Verantwortung heraus getragene Entscheidungen den Aufbau eines den Namen „sozial“ verdienenden Staatswesens zu ermöglichen.

Bei der Erörterung dieser Fragen wird auch die Notwendigkeit einer entsprechenden Justizreform betont werden müssen, wobei durch das Ausscheiden einer Reihe von unwesentlichen Funktionen aus der bisherigen richterlichen Praxis und übertragen dieser Aufgaben an den Polizeirichter oder Friedensrichter eine auch fachlich gegebene Herausstellung des Richterstandes und damit auch die Möglichkeit einer entsprechenden materiell herausgehobenen Behandlung ermöglicht werden kann.

Bei der öffentlichen Behandlung dieser aufgeworfenen Fragen muß gerade von der österreichischen Richterschaft mit der notwendig gebotenen Zurückhaltung vorgegangen werden. Es bleibt aber die Tatsache bestehen, daß es sich hiebei nicht um übermäßige und nicht berechtigte Forderungen handelt — denn noch kein österreichischer Richter hat seinen Erben mit Gold und Edelsteinen gefüllte

Truhen hinterlassen —, sondern um die Erfüllung der primitivsten natürlichen Lebensvoraussetzungen eines geistigen Arbeiters.

Darum soll auch hier die Forderung erhoben werden: Verständnis und Gerechtigkeit für die notleidende österreichische Richterschaft.

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