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Wieder Geschworenengerichte?

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Die Einführung der Geschworenengerichte in Österreich im Jahre 1848 fiel zeitlich zusammen mit dem Kampf um die Verfassungsform der konstitutionellen Monarchie; das Streben des Volkes war damals sowohl auf die direkte Teilnahme an der Gesetzgebung als auch an der Rechtsprechung gerichtet. Das Verlangen nach direkter Teilnahme an der Rechtsprechung entsprang nicht nur allgemeinen politischen Erwägungen, sondern vor allem dem konkreten Bedürfnis, die Angeklagten vor ungerechtfertigter Verurteilung zu schützen. Denn zu diesem Zeitpunkt waren dem Strafverfahren die Prinzipien der Öffentlichkeit und Mündlichkeit fremd und wurde die Strafgerichtsbarkeit von Beamten ausgeübt, die auch in der Rechtsprechung den Weisungen ihrer vorgesetzten Behörden unterworfen waren. Der direkte Einfluß der Regierung auf die Rechtsprechung war naturgemäß bis dahin bei Pressedelikten und politischen Verbrechen besonders fühlbar, weshalb die Geschworenengerichtsbarkeit zunächst für Pressedelikte und später durch die Strafprozeßordnung vom Jahre 1850 für politische Delikte und alle schweren Verbrechen eingeführt wurde. Durch eine kaiserliche Verordnung vom Jahre 1852 wurden diese Strafprozeßordnung und damit die Geschworenengerichte in Österreich wieder aufgehoben. Erst das Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867 hat nicht nur die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Richter, sondern auch den Grundsatz der Mündlichkeit und Öffentlichkeit des Verfahrens sowie die Geschworenengerichtsbarkeit verfassungsrechtlich verankert. Die noch heute in Geltung stehende Strafprozeßordnung vom Jahre 1873 hat das Strafverfahren diesen Grundsätzen entsprechend geregelt. Diese Geschworenengerichte, welche aus einer Geschworenenbank von zwölf Geschworenen und einem Schwurgerichtshof von drei Richtern zusammengesetzt waren, bestanden in dieser Form bis zum Jahre 1933. Die Geschworenen hatten über die Schuld des Angeklagten, der Schwurgerichtshof im Falle eines Schuldspruches über die Strafe zu entscheiden. Bei der Beratung waren die Geschworenen ganz auf sich selbst gestellt und konnten mit niemandem, insbesondere nicht mit den Mitgliedern des Schwurgerichtshofes,Rücksprache nehmen. Der Wahrspruch der Geschworenen enthielt keine Begründung, zur Bejahung der Schuldfrage war Zweidrittelmehrheit erforderlich. War der Schwurgerichtshof einstimmig der Ansicht, daß den Geschworenen bei ihrem Wahrspruch auf „schuldig“ ein Irrtum unterlaufen sei, so konnte er die Entscheidung bis zur nächsten Schwurgerichtsperiode aussetzen und die Sache an ein anderes Geschworenengericht verweisen. Dieses Recht stand dem Schwurgerichtshof aber nicht bei einem Wahrspruch auf „nicht schuldig“ zu, so daß eine Fehlentscheidung in diesem Falle irreparabel blieb.

Das Strafrechtsänderungsgesetz vom Jahre 1934 hat dann an Stelle der Geschworenengerichte die großen Schöffengerichte oder Schwurgerichte eingeführt, die heute noch in Geltung stehen. Diese Schwurgerichte sind mit drei Richtern und drei Schöffen besetzt, die in gemeinsamer Beratung und Abstimmung über die Schuld und Strafe zu entscheiden haben.

Die mit den Geschworenengerichten gemachten Erfahrungen können nicht als gut bezeichnet werden: In der Zeit zwischen 1896 bis 1920 wurden von den Geschworenengerichten

843 Sprüche gefällt, die nach Ubereinstimmender Ansicht des Vorsitzenden, des Staatsanwaltes und des Ministeriums für Justiz als /offenbar verfehlt bezeichnet werden mußten.

Die vielen Fehlurteile der Geschworenengerichte in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg sind der heutigen Generation zum Teil noch in guter Erinnerung. Es handelt sich bei diesen Fehlurteilen immer um Freisprüche von schwersten Verbrechen, da ja verfehlte Wahrsprüche auf „schuldig“ durch Aussetzung der Entscheidung durch den Schwurgerichtshof und Verweisung an ein anderes Geschworenengericht verbessert werden konnten.

Die Ursachen für dieses häufige Versagen der Geschworenengerichte sind mannigfaltig; die Auswahl der für das Geschworenenamt in Betracht kommenden Personen gab keine Gewähr, daß diese geistig und charakterlich für dieses Amt auch geeignet waren. Die Erfahrung lehrt, daß Laien mitunter nicht in der Lage sind, einer Verhandlung durch mehrere Stunden, infolge geistiger Übermüdung, zu folgen. Dies um so mehr, wenn es sich um einen schwierigen Sachverhalt handelt. Wenn nun noch der Verteidiger dazu beiträgt, die Geschworenen zu verwirren, so sind sie ohne Anleitung und Beratung vielfach nicht imstande, sich überhaupt irgendein Urteil über den Sachverhalt und dessen Unterstellung unter das Strafgesetz zu bilden. Ihre Ratlosigkeit macht ihr Votum „nicht schuldig“ sehr verständlich, ist aber objektiv nicht immer gerechtfertigt. Vielfach haben die Geschworenen es auch vorgezogen, die Schuldfrage zu verneinen, um den Angeklagten nicht der Gefahr auszusetzen, daß der Schwurgerichtshof eine nach ihrer Ansicht zu harte Strafe verhänge. Die Auswahl der Geschworenen aus dem Kreise der unbescholtenen Personen ist noch kein Garant dafür, daß bei diesen Achtung vor Gesetz und Recht vorhanden sein muß und daß sie ;eden Verbrecher ohne Ausnahme der gerechten Strafe verfallen wissen wollen. Auch der Umstand, daß die Geschworenen ihren Wahrspruch nicht begründen mußten, trug nicht zur Erhöhung ihres Verantwortungswillens bei.

Der Regierungsentwurf über die Wiedereinführung der Geschworenengerichte, über den demnächst im Nationalrat beraten werden soll, will durch Abänderung des Verfahrens die Mängel nach Möglichkeit beseitigen, welche die Einrichtung der Geschworenengerichte in Mißkredit gebracht haben. Die wesentlichsten neuen Besti m,m u n g e n sind: Die aus acht Geschworenen bestehende Geschworenenbank soll grundsätzlich allein über die Schuld und dann gemeinsam mit dem aus drei Richtern bestehenden Schwurgerichtshof über die Strafe entscheiden. Bei der Beratung über die Schuld haben die Geschworenen, welche die Mehrheit erhalten, ihre Erwägungen für den Wahrspruch anzugeben, welche schriftlich vom Obmann der Geschworenen festzuhalten sind. Eine wesentliche Neuerung besteht auch darin, daß der Schwurgerichtshof der Beratung der Geschworenen über die Schuldfrage beiwohnen kann, wenn er einstimmig der Ansicht ist, daß wegen der Schwierigkeit der Lösung von Tat- oder Rechtsfragen seine Anwesenheit bei der Beratung der Geschworenen zweckmäßig ist. Diese Anwesenheit der Berufsridrter bei der Beratung der Geschworenen in schwierigen Fällen dürfte Gewähr dafür bieten, daß sie die notwendige Aufklärung erhalten, worauf es im gegebenen Fall eigentlich ankommt. Schließlich räumt der Entwurf dem Schwurgerichtshof die Möglichkeit ein, mit der Entscheidung auszusetzen und die Akten dem Obersten Gerichtshof vorzulegen, wenn er einstimmig der Ansicht ist, daß sich die Geschworenen bei dem Ausspruch über die Hauptsache zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten geirrt haben. Der Oberste Gerichtshof verweist in diesem Fajle die Sache an ein anderes Geschworenengericht; stimmt der Wahrspruch des zweiten Geschworenengerichtes mit dem ersten überein, so ist er auf jeden Fall dem Urteile zugrunde zu legen. Die Möglichkeit von krassem Fehlurteil ist durch diese Bestimmung verringert worden, da es dazu nur dann kommen kann, wenn zwei verschiedene Geschworenengerichte in derselben Sache dem gleichen Irrtum unterliegen. Von den übrigen Abänderungen sei nur erwälMtt, daß den Parteien künftig nicht mehr das Recht zusteht, Geschworene ohne Angabe von Gründen abzulehnen.

- “'Sfrv SS- JMta ....

Es besteht kein Zweifel, daß die beabsichtigte Regelung der Gesdworenen-gerichtsbarkeit brauchbarer sein wird als die vergangene.

Trotzdem erhebt sich jedoch die Frage, ob überhaupt und vor allem ob im jetzigen Zeitpunkt das Bedürfnis und die Notwendigkeit besteht, Geschworenengerichte wieder einzuführen, da sich zweifellos die seit 1934 bestehen den erweiterten Schöffengerichte bewährt haben.

Der Hauptgrund für die seinerzeitige Schaffung der Geschworenengerichte, nämlich an Stelle der weisungsgebundenen Beamten ein von der Regierung unabhängiges Gericht zu schaffen, besteht längst nicht mehr. Das Justizministerium ist seit Jahrzehnten nicht mehr in der Lage, auf die Berufsrichter bei ihrer

Rechtsprechung einen Einfluß zu nehmen. Es ist nicht zu bezweifeln, daß in der Zukunft die Geschworenen, etwa bei politischen Sensationsprozessen durch die Presse, die politischen Parteien oder die Besatzungsmächte einer Beeinflussung viel eher unterliegen werden, als die Berufsrichter. Auch ist heute das Streben des Volkes nach Teilnahme an der Strafgerichtsbarkeit lange nicht mehr so ausgeprägt wie zur Zeit der Einführung der Geschworenengerichte. Die Tatsache, daß geladene Schöffen vielfach überhaupt nicht erscheinen, und die Unmenge von Enthebungsgesuchen vom Schöffenamt zeigen, daß dieses in der Regel als eine Bürde empfunden wird, die Zeit kostet, ohne Geld einzubringen. Schließlich hat durch die Nachkriegszeit und mehr noch durch die Jahre vorher eine unverkennbare Demoralisation um sich gegriffen, daß es ein großes Wagnis ist, anzunehmen, daß allgemein und überall das rechte Richtmaß für die Anteilnahme an der Strafrechtspflege vorausgesetzt werden darf, und zwar auch dann, wenn der dazu berufene Geschworene unbescholten ist. Diese Argumente richten sich scheinbar in gleicher Weise gegen die Schöffengerichtsbarkeit; da sich aber bei den Schöffengerichten die Anzahl der Laien-und Berufsrichter die Waage halten, ihre Rechte im wesentlichen gleich sind und die Beratung sowie Abstimmung über Schuld und Strafe gemeinsam vorgenom- • men wird, sind krasse Fehlurteile erfahrungsgemäß selten.

Für die Teilnahme von Laien an der Strafrechtspflege spricht der gewichtige Umstand, daß dadurch dem Volke ein unmittelbares Kontrollrecht daran eingeräumt ist. Die Schöffen erleben es selbst, daß in der geheimen Beratung sachlich die Schuld- und Straffrage erörtert, in demokratischer Weise darüber abgestimmt und das Urteil nach dem erzielten Ergebnia gefällt wird. Dieses unmittelbare Kontrollrecht des Volkes bewirkt es auch, daß nicht einmal behauptet wird, ein Angeklagter könne es sich in Österreich durch unzulässige Beeinflussung des Gerichtes irgendwie „richten“. Die Erhaltung und Erhöhung des Vertrauens in die Rechtspflege ist aber für den Staat von derartiger Bedeutung, daß die Teilnahme von Laien an der Rechtspflege befürwortet werden muß. Andererseits erscheint mir die Wiedereinführung der Geschworenengerichte und damit die Betrauung der Laien mit einer erhöhten Verantwortung in der Strafrechtspflege mindestens so lange als verfrüht, als das sittliche Gleichgewicht nicht in weitem Maße wiederhergestellt ist. Dies wird aber erst nach Beendigung der Besetzung durch fremde, an unser Gesetz nicht gebundene Mächte und nach Erlangung der vollen Souveränität dann der Fall sein, wann jedermann merkt, daß für jeden oh n e Ausnahme Recht wieder zu Recht und Unrecht wieder zu Unrecht geworden ist

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