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Kaltschnäuzig und auch auftragsgemäß

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Der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer wurde von der Bundesregierung vor den Verfassungsgerichtshof zitiert. Jetzt liegt das Urteil schriftlich vor.

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Der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer wurde von der Bundesregierung vor den Verfassungsgerichtshof zitiert. Jetzt liegt das Urteil schriftlich vor.

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Dem „Fall Haslauer” liegt eine simple Auslegungsfrage zugrunde. Für die Ladenschlußgesetze ist der Handelsminister und für die Arbeitszeitgesetze der Sozialminister zuständig. Aufgrund der engen sachlichen Verflechtung dieser beiden Rechtsbereiche ist der Sozialminister in einigen im Gesetz ausdrücklich genannten Fällen der Vollziehung des Arbeitszeitgesetzes auf das Einvernehmen mit dem Handelsminister angewiesen.

Der Fall einer Weisung an einen Landeshauptmann ist dabei aber nicht erwähnt. Dies ist verwunderlich, denn wenn der Sozialminister sogar „in der Ausübung seiner eigenen Verordnungsermächtigungen an das Einvernehmen mit dem Handelsminister” gebunden ist, so „hätte dies umso mehr für einen Akt gegenüber dem Landeshauptmann zu gelten” (Wilfried Haslauer), zumal es sich dabei ja um einen Eingriff in den Kompetenzbereich eines anderen Organs handelt.

Für Landeshauptmann Haslauer ist dieser Wertungswiderspruch nur mit einem Redaktionsversehen des Gesetzgebers zu erklären, das durch Auslegung zu korrigieren sei.

Folgt man der Haslauerschen Auffassung, die bei teleologischer Betrachtung des Gesetzes als durchaus vertretbar erscheint, so stammte die Weisung des Sozialministers — mangels der zusätzlich erforderlichen Unterschrift des Handelsministers—von einem unzuständigen Organ und war daher nicht zu befolgen.

Ebenso vertretbar ist aber auch die gegenteilige Auffassung des Verfassungsgerichtshofes, derzu-folge der „klare Wortlaut” des Gesetzes keinen Raum für teleologische Auslegung lasse: Hätte der Gesetzgeber ein Zusammenwirken von Sozial- und Handelsminister bei Weisungen an den Landeshauptmann aufgrund der Arbeitszeitgesetze gewollt, so hätte er dies ausdrücklich im Gesetz festgelegt.

Beide Auffassungen, die auf gegensätzlichen juristischen Denk- und Interpretationsschulen beruhen, sind gleichermaßen vertretbar.

Wer nun meint, in einem solchen Fall müsse man eben nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten entscheiden, dem erteilt der Verfassungsgerichtshof eine klare Abfuhr: „Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß sich selbst im Falle einer — hier völlig unmaßgeblichen — faktischen, nämlich wirtschaftlichen, Betrachtungsweise an der Rechtswidrigkeit der Nichtbefolgung der Weisung... nichts ändern würde.” Und überhaupt: „Eine Zweckmäßigkeitsprüfung steht... dem nachgeordneten Organ gegenüber Weisungen des vorgesetzten Organs nicht zu.”

Folgerichtig gelangt der Verfassungsgerichtshof zu dem in der Begründung etwas formalistischen, aber durchaus vertretbaren Schluß, Landeshauptmann Haslauer habe rechtswidrig gehandelt, als er sich der Weisung des — nach Meinung des Verfassungsgerichtshofs — allein zuständigen Sozialministers widersetzte.

Damit ist aber noch nicht gesagt, daß Landeshauptmann Haslauer auch schuldhaft handelte. Er selbst berief sich auf entschuldigenden Notstand, „um einen unmittelbar drohenden bedeutenden Nachteil von sich oder einem anderen abzuwenden” (Paragraph 10, Strafgesetzbuch).

Voraussetzung dafür ist aber auch, daß der aus der Tat drohende Schaden nicht unverhältnismäßig schwerer wiegt als jener Nachteil, den sie abwenden will. Dazu stellt der Verfassungsgerichtshof fest, daß auch die Meinung des Sozialministers, „die Auswirkung der Verordnung wäre aus sozialpolitischen Gründen schädlich und dieser Schaden würde durch allfällige wirtschaftliche Vorteüe nicht aufgewogen”, politisch gleichermaßen vertretbar sei.

Man könne eben nicht sagen, ob der durch die Nichtbefolgung der Weisung verhinderte oder der dadurch dem Sozialminister zugefügte Schaden stärker ins Gewicht falle.

Wie der Verfassungsgerichtshof von diesem durchaus vertretbaren Ansatz her zu dem Schluß gelangt, es sei ihm „unmöglich zu erkennen, daß der aus der Tat drohende Schaden nicht unverhältnismäßig schwerer wiegt als der Nachteil, den sie abwenden soll”, ist unbegreiflich.

Wenn man schon von einer „Gleichwertigkeit” der beiden Schadenstatbestände ausgeht, so ist es doch logisch zwingend, daß keiner im Verhältnis zum anderen

„unverhältnismäßig schwerer” wiegen kann.

Der logische Bruch in der Argumentation des Verfassungsgerichtshofs läßt sich bei allem gebührenden Respekt vor dem Höchstgericht nicht wegdiskutieren. Der Verfassungsgerichtshof hat den entschuldigenden Notstand mit einer falschen Begründung verneint und ging daher auf seine weiteren Voraussetzungen gar nicht mehr ein.

Was den von Landeshauptmann Haslauer geltend gemachten Rechtsirrtum betrifft, stellt der Verfassungsgerichtshof fest, „daß der behauptete Rechtsirrtum vorgelegen ist”, und daß „entgegen der Auffassung der Bundesregierung... das Unrecht der Tat nicht für den Täter wie für jedermann leicht erkennbar war”.

Dem kann man fraglos zustimmen, handelt es sich doch um ein Rechtsproblem, über das man mit guten Gründen verschiedener Auffassung sein kann.

Dennoch kommt der Verfassungsgerichtshof zu dem Schluß,

Landeshauptmann Haslauer habe in einem „vorwerfbaren Rechtsirrtum” und damit schuldhaft gehandelt, weil er seiner Verpflichtung, sich mit den einschlägigen Vorschriften bekanntzumachen, „nicht im erforderlichen Ausmaß nachgekommen sei”.

Was Landeshauptmann Haslauer, der nach intensivem Studium der Materie alle ihm zur Verfügung stehenden Berater und auch Rechtsexperten außerhalb der Landesverwaltung zu Rate zog und dem selbst der Verfassungsgerichtshof konzediert, daß auch die Erklärungen des Vizekanzlers und Handelsministers, der im Zivilberuf Rechtsanwalt ist, geeignet waren, ihn „,in der Auffassung zu bestärken, daß sein Verhalten... insgesamt richtig sei”, noch alles hätte tun sollen, um seine Rechtsansicht bestätigen oder allenfalls auch schlüssig widerlegen zu lassen, das sagt das Urteil nicht.

Unklare Rechtslage

Anstelle einer ordentlichen Begründung findet sich eine glatte Unterstellung: Landeshauptmann Haslauer sei „bereits vor der Befragung seiner Experten entschlossen und deshalb an einer eingehenden Darstellung und Bewertung der gegen seine Rechtsauffassung sprechenden Argumente nicht in dem Maße interessiert” gewesen, „wie dies im Hinblick auf die Bedeutung der strittigen Rechtsfrage... erforderlich und auch möglich gewesen wäre”.

Bei unklarer Rechtslage, die gegensätzliche Interpretationsmöglichkeiten offenläßt, von einem „vorwerfbaren Rechtsirrtum” zu sprechen, wenn man sich jener Meinung anschließt, die nicht die des Verfassungsgerichtshofs oder der Bundesregierung ist, grenzt an Meinungsterror.

Dazu kommt, daß die Unklarheit der Rechtslage bis zu einem gewissen Grad der Bundesregierung — und damit dem Ankläger -zurechenbar ist. Es hätte ja niemand Vizekanzler Steger daran gehindert, durch eine zweite Weisung vor dem 8. Dezember für klare Verhältnisse zu sorgen.

Man kann sich leider des Eindrucks nicht erwehren, daß der Verfassungsgerichtshof dieses kaltschnäuzige Urteil weniger seinem Auftrag gemäß als vielmehr auftragsgemäß gefällt hat.

Der Autor ist Assistent an der Juridischen Fakultät der Universität Wien.

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