Dem Staat vertraut? Pech gehabt!

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Mit schludriger Gesetzesproduktion unterminiert Schwarz-Blau das Vertrauen in heiklen Bereichen.

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Mit schludriger Gesetzesproduktion unterminiert Schwarz-Blau das Vertrauen in heiklen Bereichen.

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Neu regieren" hat, so scheint es immer mehr, sehr viel mit dem Kaufrausch vor Weihnachten zu tun. Oder besser gesagt, mit dem Katzenjammer danach, wenn viele erkennen, dass das hastig ausgewählte Stück gar nicht passt oder in dieser Form ungewollt beziehungsweise ganz und gar unbrauchbar ist. Macht aber nichts, ist sich Schwarz-Blau einig. Beanstandetes wird zurückgenommen, repariert und in Wochenfrist - siehe Ambulanzgebühren - wieder auf den politischen Markt geschmissen.

Wer arbeitet, macht Fehler - wer viel arbeitet, macht viele Fehler. Dieser Gedanke steht hinter allen Rechtfertigungen, mit denen die Bundesregierung ihre Fehler bei der Gesetzesproduktion zu bagatellisieren versucht. Und so viel und so schnell arbeiten müsse diese Regierung ja nur, weil die vorher Regierenden nichts weitergebracht haben, ist ein zweiter Argumentationsstrang der gebetsmühlenartig wiederholt wird. Einen jahrzehntelangen Reformstau gelte es aufzulösen, da könne schon der eine oder andere Formalfehler passieren.

Anzulasten seien diese Kinkerlitzchen aber nicht den regierenden Politikern, sind sich die regierenden Politiker rasch einig, sondern der Administration, oder wieder einmal den Beamten, die - eventuell mutwillig sogar - einen Murks nach dem anderen verursachen.

Und es waren ja Formalfehler auf administrativer Ebene, die in der vergangenen Woche zur Aufhebung von zwei Gesetzen durch den Verfassungsgerichtshof führten. Bei den Ambulanzgebühren wurde eine zweite Kundmachung des Gesetzes mit geändertem Inhalt als verfassungswidrig erkannt. Beim Pensionsreformgesetz passierte die Panne im Nationalrat, wo der den Vorsitz führende Zweite Präsident formal nicht richtig über das Gesetz abstimmen ließ.

Die Abstimmung werde nachgeholt, der Fehler korrigiert, am Pensionsreformgesetz selber soll sich nichts ändern, beeilte sich die Koalition die Panne herunterzuspielen. Die es im Übrigen nicht erst in diesem Fall das erste Mal gegeben hat. Als Beispiele, dass auch früher die Gesetzwerdung nicht reibungslos verlaufen ist, werden die missglückte Werkvertragsregelung und das fehlerhaft publizierte Mineralrohstoffgesetz sowie das letzte auch mit Geburtswehen behaftete Gehaltsgesetz genannt. Außerdem könne es die Opposition keineswegs besser, unkt Schwarz-Blau gegen die Kritiker aus der SPÖ und verweist auf deren jüngsten Fauxpas im Nationalrat, als die Sozialdemokraten irrtümlich eine Steuererhöhung statt einer Senkung beantragten.

Wozu also die ganze Aufregung, noch dazu wo sowieso niemandem ein größerer Schaden entstanden ist? Den wichtigsten Grund, der die scharfe Kritik am derzeitigen Husch-Pfusch-Regierungsstil rechtfertigt, nannte der Präsident des Verfassungsgerichtshofes, Ludwig Adamovich, bei der Präsentation des Erkenntnisses, das die Aufhebung der beanstandeten Gesetze fordert. "Pech gehabt", sagte Adamovich, haben jene Patienten, die zwischen dem 1. März und der Aufhebung des Gesetzes in Ambulanzen waren und die Gebühren vorgeschrieben bekamen. Sie müssen zahlen. Der Gerichtsbeschluss teilt die Ambulanzpatienten somit in Glückliche und Pechvögel. Diese gerichtliche Trennung wird zwar nicht lange dauern, denn mit der in dieser Woche vollzogenen Neuregelung der Ambulanzgebühren, die eine "dramatische Reduktion" der Befreiungen und Ausnahmen mit sich bringt, sind dann alle Betroffenen wieder gleichgestellt. Und aus dem "Pech gehabt" wird erneut ein - diesmal hoffentlich auch vor den Augen der Höchstrichter bestehendes - Gesetz, für alle bindend, damit gerechtfertigt.

Trotzdem, auch die kurze Phase, in der wegen nichts anderem als schlampiger Regierungsarbeit einige mehr draufzahlen müssen als andere, ist völlig inakzeptabel. Denn Pech zu haben, ist keine Kategorie, die beim Gesetzesentwurf auch nur irgendeine Berechtigung haben darf. Schon alle vom Gesetzgeber eingeführten Fristen, die den einen in den Genuss von irgendetwas bringen, einen anderen aber ausschließen, sind von Betroffenen schwer zu akzeptieren. Warum fällt der oder die noch unter diese Regelung, warum gelten für den Zweiten, bessere, schlechtere, andere Bedingungen? Weil es das Gesetz so bestimmt, weil es der Gesetzgeber zum Wohle der Allgemeinheit so festgesetzt hat. Für den Einzelnen ist diese Begründung nicht immer leicht zu verstehen, doch es ist wenigstens nachvollziehbar, wie es dazu gekommen ist. Sobald sich das Weil jedoch nur mehr auf die Formel "Pech gehabt" beschränkt, ist Feuer am Dach.

Wer einmal, zweimal Pech hatte, verliert das Vertrauen in den Staat und sucht sich seine eigenen Spielregeln. Dann hat halt auch der Staat "Pech gehabt". Dabei ist es bei den Ambulanzgebühren noch um vergleichsweise wenig gegangen. Was, wenn das Pensionsreformgesetz einer inhaltlichen Prüfung nicht standhält, die Pech-Formel in diesen heiklen Bereich Einzug hält, Vertrauen unterminiert, der Staat auch hier seinen Kredit verspielt?

Dasselbe gilt für das Kindergeld, die Unfallrenten, die Krankenkassensanierung, ... Nur mehr Spezialisten finden sich in diesem Kuddelmuddel zurecht. Geraten sei Schwarz-Blau, wenigstens Kritik aus den eigenen Reihen zu berücksichtigen. Sozialminister Herbert Haupt räumte nämlich ein: Man hätte sich mehr Zeit nehmen sollen - zeige sich doch eine "Schlampigkeit, die in der Rechtsgeschichte Österreichs einmalig ist" - und, so ist zu hoffen, das auch bleibt.

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