6625538-1956_06_04.jpg
Digital In Arbeit

Ohne Adamovidi..

Werbung
Werbung
Werbung

Der Verfassungsgerichtshof und seine Mitglieder waren im vergangenen Jahre wiederholt Gegenstand mehr oder minder freundlicher Erörterungen in der Presse. Es versteht sich wohl von selbst, daß der Präsidialsekretär des Verfassungsgerichtshofes der letzte ist, der nun in der Oeffentlichkeit zu solchen, noch dazu vorwiegend politischen Angriffen Stellung nehmen dürfte. Der Verfassungsgerichtshof hat aber im österreichischen Rechtsleben eine derart wichtige Aufgabe zu erfüllen, daß man der Oeffentlichkeit auch einmal eine rein sachliche Darstellung seiner Tätigkeit in einem Zeitabschnitt geben kann, in dem er vor schwere, ja fast unlösbar^ Aufgaben gestellt war.

Für den Verfassungsgerichtshof war es ein schwerer Schlag als Präsident Dr., Adam o-v i c h zu Beginn des vergangenen Jahres durch einen Unfall von seiner richterlichen Tätigkeit vollständig ausgeschaltet wurde. Sein Tod gar bedeutete einen unersetzlichen Verlust. Zehn Jahre lang stand Dr. Zigeuner als Vizepräsident Adamovich als vielleicht treuester Verehrer und größter Bewunderer zur Seite und hat oft, wenn Adamovich sich für befangen erklären mußte, in mitunter schweren Verhandlungen den Vorsitz geführt. Wer nicht weiß, wie verantwortungsvoll und schwierig das Amt eines Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes ist, kann überhaupt nicht ermessen,, was es bedeutet, wenn man nahezu über Nacht diese Funktion, noch dazu nach einem Adamovich, übernehmen muß.

Adamovich Tod war wohl der schwerste, aber leider nicht der einzige Schlag, der den Verfassungsgerichtshof treffen sollte. Zu Beginn des Jahre 195 5 standen dem Verfassungsgerichtshof drei ständige Referenten zur Verfügung, die alle anfallenden Akten zu bearbeiten hatten. Gemessen an dem im Jahre 195 5 festgestellten Gesamteinlauf hätte jeder der ständigen Referenten 1955 zirka 120 Akten zu erledigen gehabt, eine Zahl, die den höchsten Erledigungsziffern bei anderen Gerichtshöfen, etwa beim Verwaltungsgerichtshof, entspricht. Es ist deshalb schon von vornherein klar, daß ein solches Maß an Arbeit nur bewältigt werden kann, wenn man sich ausschließlich mit dieser Aufgabe zu befassen vermag. Ende Juni vergangenen Jahres mußte jedoch der ständige Referent Univ-Prof. DDr. Wolff nach einem erlittenen Herzinfarkt aus Gesundheitsrücksichten sein Amt zurücklegen. Für ihn sprang zwar sofort ein anderes Mitglied ein. das zum ständigen Referenten gewählt worden war, aber schon ein Monat später sollte das gleiche Schicksal den an Jahren ältesten Referenten, Senatspräsidenten i. R. Dr. Hirn treffen. Dieser konnte an den beiden letzten Sessionen nicht mehr teilnehmen und legte ebenfalls Ende Dezember v. J. seine Funktion als ständiger Referent zurück. Trotz all dieser, man möchte fast sagen vernichtenden Schläge konnte der Verfassungsgerichtshof seit März v. J. unter dem Vorsitz von Dr. Zigeuner 299 Akten erledigen. (Im Jahre 1954 erledigte der Verfassungsgerichtshof unter Adamovich 323 Akten.) Darunter befanden sich 22 Gesetzes- und 20 Verordnungsprüfungen. Es soll hier nur an die erst vor wenigen Wochen veröffentlichten Entscheidungen über die Aufhebung des 67 des Personenstandgesetzes und der Strafverfahrensbestimmungen- in der Abgabenordnung erinnert werden. Und das alles trotz „Referentendilemma“ usw.

Wenn wirklich von einem Dilemma im Verfassungsgerichtshof gesprochen werden kann, so liegt dessen Ursache ganz woanders. Der Akten-emlauf beim Verfassungsgerichtshof nimmt von Jahr zu Jahr zu und wird, falls die allseits gewünschte Erweiterung seiner Kompetenz als Wahlgerichtshof für die Wahlen in die Berufsvertretungskörper verwirklicht werden sollte, noch mehr ansteigen. Der Verfassungsgerichtshof ist nun derart eingerichtet, daß alle Fälle, die meritorisch zu behandeln sind, vor dem Vollsenat verhandelt werden müssen, aber auch der größte Teil der in nichtöffentlicher Sitzung zu erledigenden Fälle Nun sind ja alle Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes, ausgenommen die, die sich bereits im Ruhestand befinden (derzeit drei), als Richter, Universitätsprofessoren und Rechtsanwälte berufstätig. Es bedeutet nun für jeden von ihnen tatsächlich eine schwere physische und psychische Belastung, für die dem Verfassungsgerichtshof angehörenden Rechtsanwälte sogar eine nicht unempfindliche finanzielle Belastung, neun bis zehn Wochen im Jahr aus der normalen Berufstätigkeit, meist in höchsten Staatsstellungen, herausgerissen zu werden. Trifft dies schon in sehr beträchtlichem Maße für die Mitglieder zu, die jetzt während einer zirka zwei Wochen dauernden Session hundert und mehr Verhandlungen über sich ergehen lassen müssen, so noch vielmehr für die ständigen Referenten. Eine solche Belastung ist für jemanden, der aktiv einen anderen Beruf ausübt und sein Amt im Verfassungsgerichtshof ernst nimmt, einfach untragbar. Trotzdem haben sich aber die jüngeren, voll im Beruf stehenden Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes, ohne Rücksicht darauf, daß es für sie tatsächlich einen finanziellen Verlust bedeutet, bereit gefunden, das Amt eines ständigen Referenten zu übernehmen, so daß bereits Mitte dieses Jahres der Rückstand von etwa 30 Fällen wieder voll aufgeholt sein wird.

In jeder echten Demokratie muß es ein Recht der Kritik geben. Solange diese sachlich bleibt und bestrebt ist, tatsächliche Mißstände aufzuzeigen, um dadurch beizutragen, daß diese beseitigt werden, ist dagegen nichts einzuwenden. Wenn aber eine solche Kritik nur als Vorwand benützt wird, um in Wahrheit politisch mißliebige Persönlichkeiten in der Oeffentlichkeit unmöglich zu machen, dann ist sie verwerflich. Und diesen Vorwurf kann man manchen Angriffen gegen den Verfassungsgerichtshof und die Person seines neuen Präsidenten nicht ersparen. Die meisten Kritiken dieser Art ließen dabei erkennen, daß ihre Verfasser von den rechtlichen Grundlagen des Verfassungsgerichtshofes keine Ahnung hatten. Besonders heftig waren die Angriffe wegen der vom Verfassungsgerichtshof geforderten Erhöhung der Altersgrenze für die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes auf das vollendete 75. Lebensjahr. Dazu möchte ich,nun, ohne selbst Stellung zu nehmen, nur die Leitgedanken des verewigten Präsidenten Doktor Adamovich kurz skizzieren, da es sich hier tatsächlich um den letzten von ihm selbst verfaßten Antrag vor seinem Tode handelt. Doktor Adamovich hat in seinem fast zehnjährigen Wirken als Präsident des Verfassungsgerichtshofes diesen zu einer Einrichtung aus einem Guß geformt. Nur wer selbst im Verfassungsgerichts^ hof tätig ist, weiß, wie schwierig es tst, die Gesamtheit aller Rechtsnormen und der auf ihr beruhenden Rechtshandlungen vom Gesichtspunkt des Verfassungsrichters her zu beurteilen. Ich kenne kein Mitglied des Verfassungsgerichtshofes, das nicht eingestanden hat, es habe im Verfassungsgerichtshof juristisch vollkommen anders denken lernen müssen. Das läßt sich aber nicht von heute auf morgen erlernen. Dazu kommt noch, daß es ja beim Verfassungsgerichtshof keinerlei Normen gibt, die die Beibehaltung einer Judikatur in irgendeiner Weise sichern bzw. das Abgeben von einer Judikatur erschweren würden. Nichts ist aber gefährlicher für die Entwicklung eines geordneten Rechtslebens als ein Schwanken in der Rechtsprechung eines Höchstgerichtes. Wenn nun jedes Jahr ein bis zwei Mitglieder aus dem Senat ausscheiden und immer wieder neue hinzukommen, die die bisherige Judikatur in ihrer Gesamtheit vorerst gar nicht überblicken können, so erhöht sich dadurch die Gefahr des Schwankens in der Judikatur erfahrungsgemäß bedeutend.

Als sicherstes Mittel dagegen schien es Adamovich, den Gerichtshof solange als möglich in der gleichen Zusammensetzung zu erhalten. Nur diesem jahrelangen Zusammenarbeiten von Präsident, Referenten und Mitgliedern ist es zu danken gewesen, daß, selbst ohne Adamovich und trotz des Ausfallens von zwei der drei ständigen Referenten, der Verfassungsgerichtshof im vergangenen Jahr seinen Verpflichtungen gerecht weiden konnte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung