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Oberster Hüter der Rechtsstaatlichkeit

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Als am Freitag, den 23. September 1955, kurz nach 16 Uhr das Telephon in meinem Zimmer im Verfassungsgerichtshof anschlug und mir die Gattin unseres Präsidenten mit leiser, aber gefaßter Stimme mitteilte, daß ihr Mann vor wenigen Minuten gestorben sei,' stand ich diesem traurigen Geschehen vollkommen fassungslos gegenüber. Professor Adamovich, unser über alles geliebter und verehrter Präsident, ist nicht mehr. Ein Leben, das, wie nur selten eines, seinem Vaterland Oesterreich gewidmet war, war erloschen.

Universitätsprofessor Dr. Ludwig Adamovich, der am 30. April 1890 in Esseg geboren wurde und einer Familie entstammte, deren Vorfahren väterlicherseits Gutsbesitzer und Offiziere und mütterlicherseits Juristen im öffentlichen Verwaltungsdienst waren, stand bereits im Privatgymnasium in Kalksburg immer an der Spitze seiner Klasse. Seine besondere Vorliebe galt schon damals den alten Sprachen, die er später mit einer geradezu seltenen Meisterschaft beherrschte. Schon an der rechts-und staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, die er im Anschluß an die mit Auszeichnung bestandene Reifeprüfung in den Jahren 1908 bis 1912 besuchte, kam seine hervorragende juristische Begabung auf dem Gebiete des Staats- und Verwältungsrechtes, aber auch sein starkes, unbeugsames und von einem geradezu fanatischen Gerechtigkeitsgefühl erfülltes Naturell zum Durchbruch. So stellte er anläßlich der staatswissenschaftlichen Staatsprüfung den wegen seines zynischen Gebarens überaus gefürchteten Staatsrechtler Bernatzik, der über eine seiner Prüfungsantworten etwas hämisch gelächelt hatte, geradezu abrupt zur

Rede, bis schließlich in dieser juristischen Auseinandersetzung — Bernatzik kapitulierte. Nach fünfjähriger Militärdienstleistung, zum größten Teil an allen Fronten des ersten Weltkrieges bei einer 30,5-cm-Mörserbatterie, zuletzt als Oberleutnant, trat Professor Adamovich nach der Entlassung aus dem Militärverband in den Verwaltungsdienst des Landes Niederösterreich ein. Bereits ein Jahr später wurde er als Referent für Verfassungsfragen in das Präsidium der Landesregierung einberufen. In dieser Stellung arbeitete er den Entwurf der niederösterreichischen Landesverfassung aus, nahm an den Beratungen, die zum späteren vollständigen Ausscheiden der Stadt Wien aus dem niederösterreichischen Landesverband führten, teil und arbeitete an der Durchführung des von der konstituierenden Nationalversammlung am l. Oktober 1920 beschlossenen Bundesverfassungsgesetzes im Landesbereich mit.

Bereits Ende 1920 erfolgte seine Berufung in den Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes, dem er fortan durch sieben Jahre angehören sollte. Durch seine Tätigkeit im Verfassungsdienst erhielt Professor Adamovich unter Mannlicher, Coreth, Froehlich u. a., wie er selbst sagte, „die denkbar beste Schulung in der Technik der Legislative und einen Einblick in die Entwicklung und Gestaltung der gesamten österreichischen Rechtsordnung, die er andernfalls nie gewonnen hätte“. Er bezeichnete in späteren Jahren selbst diese Tätigkeit als geradezu unentbehrliche Voraussetzung für seine spätere akademische Lehrtätigkeit. Ueber Wunsch und auf Anregung Kelsens habilitierte er sich 1924 an der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien mit der Arbeit „Die Prüfung der Gesetze und Verordnungen durch den Oesterreichischen Ver-fassungsgerichtshof“ als Privatdozent für allgemeine Staatslehre und österreichisches Staatsrecht. Dieser Publikation folgten in den späteren Jahren eine Reihe von Kommentaren zu den österreichischen Bundes- und Landesverfassungsgesetzen sowie systematische Darstellungen des österreichischen Verfassungs- und Verwaltungsrechtes, die zu den in Oesterreich unerreichten Standardwerken auf diesem Gebiete wurden. Der Tod verhinderte die Vollendung des letzten Werkes, der fünften, völlig nöubearbeiteten Auflage des „Grundrisses des österreichischen Ver-fassurigsrechtes“.

1927 als Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an die Deutsche Universität Prag berufen, folgte er bereits 1928 einem Ruf als ordentlicher Professor im gleichen Fach an die Universität Graz, der er sechs Jahre hindurch angehören sollte. Als dann, nach Verabschiedung der Bundesverfassungsnovelle 1929, der Verfassungsgerichtshof nach den Bestimmungen dieser Novelle neu bestellt werden mußte, wurde Professor Adamovich am 15. Februar 1930 Mitglied dieses Gerichtshofes, nachdem er bereits im Herbst 1929 als verfassungsrechtlicher Experte für diese Verfasungsreform herangezogen worden war.

Welch großes Ansehen Professor Adamovich bereits damals in der Oeffefltlichkeit genoß, beweist die Tatsache, daß ausschließlich seinetwegen im Jahre 1937 das damals geltende Staatsbürgerschaftsgesetz geändert wurde, damit er, trotz seiner Berufung nach Prag, die österreichische Staatsbürgerschaft beibehalten konnte, und daß im Jahre 1930 das Verfassungsgerichtshofgesetz geändert wurde, nur um zu ermöglichen, daß er, der seinen Wohnsitz in Graz hatte, zum ständigen Referenten des Verfassungsgerichtshofes gewählt werden konnte. Mit der Berufung in den Verfassungsgerichtshof Und der Bestellung zum ständigen Referenten hatte Professor Adamovich, um seine eigenen Worte zu gebrauchen, „jene Aufgabe gefunden, die seiner Begabung am meisten entsprach“. Der Präsident des damaligen Verfassungsgerichtshofes, Dr. Durig, bezeichnete Professor Adamovich wörtlich als „die Säule des ganzen Gerichtshofes“.

Es entsprach nun ganz dem klaren, in der Verfechtung des Rechtsstaatsgedankens kompromißlosen und keiner parteipolitischen Einflüsterung zugänglichen Wesen des Professors Adamovich, daß er sich anläßlich der unglücklichen Ereignisse des Jahres 1933 mit aller Energie gegen die Lahmlegung und spätere Auflösung des Verfassungsgerichtshofes, wenn auch vergeblich, zur Wehr setzte. 1934 erfolgte sodann seine Berufung zum ordentlichen Professor an die Universität Wien, der er dann bis zu seiner zwangsweisen Pensionierung mit gekürzten Bezügen durch die nationalsozialistischen Machthaber angehörte. Wenige Wochen vor dem Untergang des selbständigen österreichischen Staates wurde er noch als Bundesminister für Justiz in das letzte Kabinett Schuschniggs berufen. Die nationalsozialistische Gewaltherrschaft bedeutete für Pofessor Adamovidi ein Ende jeglicher beruflichen Tätigkeit. Erst mit dem Wiedererstehen Oesterreichs in den Apriltagen des Jahres 1945 trat er wieder in den Blickpunkt der Oeffentlichkeit. Professor Adamovich wurde der erste wieder freigewählte Rektor der Universität Wien und seine Leistungen und Verdienste um den geistigen und baulichen Wiederaufbau dieser altehrwürdigen Lehranstalt und sein dadurch erworbenes Ansehen waren derart, daß er zweimal hintereinander zum Rektor wiedergewählt wurde. Dies war eine Auszeichnung, die vor ihm noch keinem an der Alma mater Rudolphina zuteil geworden war. Die Llniversität Wien verlieh ihm darüber hinaus in Anerkennung seiner großen Verdienste auch noch das Goldene Ehrenzeichen der Universität Wien. Als weitere Anerkennung seines Wirkens als Rektor der Wiener Universität erfolgte bereits im Oktober 1945 seine Wahl zum wirklichen Mitglied der Oesterreichischen Akademie der Wissenschaften.

Noch weit bedeutungsvoller als die Funktion eines Rektors der Wiener Universität wurde aber die des verfassungsrechtlichen Beraters der Provisorischen Staatsregierung, zu welcher Professor Adamovich Anfang Mai 1945 berufen wurde. Linter seiner Leitung und Verantwortung arbeitete er mit einigen wenigen Mitarbeitern, die heute bereits alle ehrenvolle höchste Staatsstellungen bekleiden, die verfassungsrechtlichen Grundlagen des neuen Staatswesens aus. Es war deshalb geradezu selbstverständlich, daß er, als man Ende 1945 daranging/zunächst provisorisch den Verfassungsgerichtshof wieder zu errichten, neben dem wiederbestellten Präsidenten Doktor Durig Vizepräsident, und nach dessen Ausscheiden wegen Erreichung der Altersgrenze mit 16. Juni 1946 Präsident dieses Gerichtshofes wurde. Damit hatte Professor Adamovich jene

Stellung erhalten, die seinen noch zu seinen Lebzeiten fast legendären Ruf, oberster Hüter der Rechtsstaatlichkeit in unserem Vaterlande zu sein, begründen sollte.

Hier im Rahmen des Verfassungsgerichtshofes fand er die Erfüllung seines Lebenszieles. Nur wer so unmittelbar wie die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes und ich selbst sein Wirken als Präsident dieses Gerichtshofes erleben durften, wird vielleicht imstande sein, die Größe und die Bedeutung und damit den Verlust, den das Hinscheiden dieses Mannes für ganz Oesterreich bedeutet, voll und ganz zu ermessen. Hier im Verfassungsgerichtshof eröffnete sich den Mitgliedern, aber auch den Beamten bis zum letzten Angestellten, das wirkliche Wesen dieses Mannes. Nach außen hin verschlossen, ja fast unnahbar, erfüllte er mit seinen Idealen, seiner von Liebe zu seinem österreichischen Vaterland geradezu durchglühten Gesinnung alle seine Mitarbeiter und befähigte sie zu den Leistungen, die den Ruf des Verfassungsgerichtshofes seit 1945 begründeten. Er war nicht nur dem Namen und der Stellung nach der Erste des Gerichtshofes, er war es auch als persönliches Vorbild. Sein Pflichtbewußtsein, seine eiserne Disziplin, sein überragendes Wissen, ge-yaart mit einer nahezu einmaligen Beherrschung der Sprache in Wort und Schrift, vor allem aber seine geradezu unglaubliche physische Leistungsfähigkeit erregten in allen neidlos Ehrfurcht und Bewunderung. Wenn Professor Adamovich nach schwierigen, oft stundenlangen Verhandlungen und Beratungen einfach aus dem Stegreif ein Erkenntnis mit einer auszugsweisen Begründung verkündete, so wußte selbst der ungebildetste Zuhörer, worum es ging und wie entschieden wurde. Es war deshalb für uns alle eine tiefe Genugtuung, daß Professor Adamovich in Anerkennung seiner einmaligen Leistungen im vergangenen Jahre als erster aktiver Beamter das Große Goldene Ehrenzeichen am Bande für die Verdienste um die Republik Oesterreich vom Bundespräsidenten verliehen erhielt.

Zu all diesen Eigenschaften, die dazu führten, daß Professor Adamovich mit dem Verfassungsgerichtshof schlechthin identifiziert wurde, was einen der prominentesten Richter zu der scherzhaften Bemerkung veranlaßte: ,,Es wäre besser, wenn Adamovich den Verfassungsgerichtshof als Einzelrichter führen würde“, gesellte sich noch eine, die nicht hoch genug geachtet werden kann: seine persönliche Bescheidenheit. Immer war er zu geben bereit, und nie hat er etwas für sich gefordert, was anderen, weit unter ihm Stehenden zur Selbstverständlichkeit geworden war. Nur ein Beispiel sei hier erwähnt: die Frage eines Dienstautos. Bereits 1948 hatte der Verfassungsgerichtshof beschlossen, daß es das Ansehen und die Würde eines Präsidenten dieses Gerichthofes erfordern würde, daß ihm ein Dienstwagen zur Verfügung stehe. Professor Adamovich hat sich aber konsequent geweigert, ein solches Auto in Anspruch zu nehmen, geschweige denn zu benützen. Erst als er sich das Bein gebrochen hatte und fürchtete, nach seiner so sehnlichst erhofften Genesung Gehschwierigkeiten zu haben, entschloß er sich, die Bereitstellung eines Dienstwagens zu verlangen. Er sollte diesen Wagen nie zu sehen bekommen.

Die Größe dieses Mannes zeigte sich aber nicht nur in seinem Leben, sondern auch in seinem Streben. Nie kam ein Wort der Klage über seine Lippen, und buchstäblich bis zum letzten Atemzug galt seine einzige Sorge nebett seiner Familie seinem Verfassungsgerichtshof. Noch am Tage vor seinem Tode, wenige Stunden bevor er das Bewußtsein verlor und in den letzten Schlaf verfiel, erhielt ich von ihm alle nötigen Anweisungen für die in wenigen Tagen beginnende Herbstsession des Verfassungsgerichtshofes.

Mit seinem Tod hat Oesterreich einen glühenden Patrioten und einen großen Sohn, der Verfassungsgerichtshof aber sein Herz verloren.

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