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Recht im Wandel

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Es ist schon richtig, daß Jus — im Sinne von gelehrtem Recht — ohne Juristen nicht denkbar ist. Der Einfall des Rechtshistorikers Wilhelm Brauneder, Ordinarius an der juridischen Fakultät Wien, dieses Recht und seine Entwicklung in der Zeit von 1200 bis 1980 durch biographische Essays über profilierte und signifikante Juristen anschaulich zu machen, ist daher zweifellos reizvoll.

Die Idee allerdings hat auch ihre Tücken. In einer Disziplin, in der Schulen und Strömungen nicht selten zu persönlichen Konflikten führten, ist es nämlich gar nicht einfach, für jede bedeutsam gebliebene Denkrichtung den jeweils typischen Repräsentanten zu finden. Vielleicht ist es aber noch schwieriger, zu jedem von ihnen, der das juristische Denken seiner Zeit repräsentiert, den adäquaten Autor zu finden.

Brauneder hatte Glück und dürfte beide Aufgaben bestmöglich gelöst haben. Als Autoren konnte er dreißig namhafte Juristen - vom Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes Ludwig Adamovich angefangen bis zum Grazer Universitätsprofessor Günter Wesener — gewinnen. Der Bogen der historischen Autoritäten, deren Lebensschicksal und Werk geschildert werden, reicht von dem 1220 verstorbenen Propst des Stiftes St. Florian, Altmann,

dessen Eherechtstraktat über den „Tractatus coniugii“ des Decre- tum Gratiani als erste eherechtliche Monographie im österreichischen Bereich gilt, bis zum Völkerrechtler Alfred Verdroß, unserem großen - 1980 im Alter von über 90 Jahren verstorbenen — Zeitgenossen, dem Ignaz Seidl- Hohenveldern ein liebevolles Denkmal zeichnet. Auch der 1970 verstorbene Adolf Merki, der die Lehren Hans Kelsens und der Wiener Schule in das öffentliche Recht hineingetragen hat und dessen Wirken Robert Walter schildert, ist vielen Juristen unserer Tage noch in anschaulicher Erinnerung.

Kelsens Schicksal und Werk selbst werden von Robert Walter dargestellt, dessen geistige Nahbeziehung zu diesem Rechtsgelehrten offenkundig ist. Es spricht für die Objektivität des Autors, daß er trotzdem Kelsen richtig als Mitgestalter - und nicht als alleinigen Schöpfer — der Bundesverfassung vom 1. Oktober 1920 bezeichnet, zu der er allerdings die richtungweisende Literatur geliefert und deren Entwicklung er literarisch bis zu deren Ende in der Ersten Republik verfolgt hat.

Zeitgenossen werden sich wohl auch an Egbert Mannlicher erin nern, dessen Name mit den allgemeinen Verfahrensgesetzen eng verknüpft ist und dessen Lebensweg Ludwig Adamovich schildert. Der Umstand, daß Mannlicher - nach seiner Pensionierung als Senatspräsident des Verwaltungsgerichtshofes - als Rechtsanwalt tätig war, verleitet dazu, in der Reihe der markanten Rechtsgelehrten jene zu suchen, die als Parteienvertreter das Recht von der Seite der hievon Betroffenen gekannt und erlebt haben. Wenngleich sie nahezu ausnahmslos auch als Rechtslehrer tätig waren, so sind als solche doch zu nennen der 1909 in Graz verstorbene Ludwig Gumplowicz, der Prager Michael Schuster, der in Leipzig verstorbene Tiroler Emil Strohal, Friedrich Tezner, der 1869 Verwaltungsrecht an der Universität Wien lehrte, sowie der Mailänder Advokat Onofrio Taglioni, der wohl die bedeutendste Persönlichkeit der sogenannten Mailänder ABGB-Jurisprudenz in der Lombardei und Venetien war.

Von Franz Klein, dem die Erneuerung der österreichischen Zivilrechtspflege durch die Justizgesetze von 1895/96 zugeschrieben wird, läßt sich lesen, daß er 1883 die Advokatenprüfung mit dem Kalkül sehr gut abgelegt hat.

Überhaupt finden sich in den biographischen Darstellungen eine Fülle bekannter und unbekannter Details, die nicht nur die Rechtswissenschaftler in sieben Jahrhunderten menschlich erscheinen lassen, sondern auch das von ihnen geformte Recht.

Wie weit der Rahmen reicht, den der gelehrte Herausgeber und Mitautor steckt, um das österreichische Rechtsleben in seiner historischen Entwicklung anschaulich zu machen, lassen noch die Namen Martini, Sonnenfels, Zeil- ler (Naturrecht und Kodifikation), Winiwarter, C. J. Pratobe- vera und Nippel (von den Kodifikationen bis 1850), Schmerling, Hye, Stubenrauch, Krainz, Unger, Glaser, Randa, Pfaff, Exner, Liszt und Lammasch (1850—1900), Vol- telini, Ehrenzweig, Ernst Schwind und Karl Renner (1900-1980) erkennen. Das Werk von Wilhelm Brauneder ist damit auch für Nichtjuristen ein anregendes Lesebuch.

Der Autor ist Präsident des österreichischen Rechtsanwaltskammertages und der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und das Burgenland.

MENSCHEN IM RECHT. Juristen in Österreich 1200-1980. Herausgegeben von Wilhelm Brauneder. Orac-Verlag, Wien 1987. 380 Seiten, geb., öS 358,-.

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