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Dornröschen Strafrechtsreform

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Österreichs Parlamentarier machen es der Fresse nicht allzu schwierig, auch in der „Zeit der sauren Gurken“, in der sich innenpolitische Kommentatoren den Schreibstoff aus den Fingern zu saugen anschicken, dankbare Themen zu finden. Man braucht nur eine der vielen großangekündigten Reformen anzusehen und auf ihr Inhalts- und termingemäßes Gedeihen hin zu untersuchen, um zum Schluß zu gelangen, daß auch Kompromißlösungen in den Ausschüssen der Proporzmaschinerie einer Verschleppungstaktik zum Opfer fallen. Wie etwa das seit der Jahrhundertwende reformfällige Strafgesetz, dessen Schicksal es zu sein scheint, in Nationalratsausschüssen zu Tode beraten zu werden... Wie in der guten, alten Zeit im Ausschuß des Herrenhauses. Wo man allerdings einen Kriegsausbruch als Entschuldigungsgrund anführte.

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Österreichs Parlamentarier machen es der Fresse nicht allzu schwierig, auch in der „Zeit der sauren Gurken“, in der sich innenpolitische Kommentatoren den Schreibstoff aus den Fingern zu saugen anschicken, dankbare Themen zu finden. Man braucht nur eine der vielen großangekündigten Reformen anzusehen und auf ihr Inhalts- und termingemäßes Gedeihen hin zu untersuchen, um zum Schluß zu gelangen, daß auch Kompromißlösungen in den Ausschüssen der Proporzmaschinerie einer Verschleppungstaktik zum Opfer fallen. Wie etwa das seit der Jahrhundertwende reformfällige Strafgesetz, dessen Schicksal es zu sein scheint, in Nationalratsausschüssen zu Tode beraten zu werden... Wie in der guten, alten Zeit im Ausschuß des Herrenhauses. Wo man allerdings einen Kriegsausbruch als Entschuldigungsgrund anführte.

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NeidvoH wandert wieder einmal der Bück über die deutsche Grenze, wo 0t — wider Erwarten mancher eingeweihter Kreise — der großen Koalition im Mai 1969 gelungen ist, nicht mehr Maßstäbe und Rechtsempfinden des vergangenen Säkulums auf Rechtsbrecher der Jetztzeit anwenden zu lassen; wenn auch nur teilweise und erst ab 1973. Naturgemäß stellt das bundesrepublikanische Reformwerk nur einen Kompromiß .zwischen den Auffassungen liberal denkender, progressiver Kräfte — wie in Österreich bezüglich dieser Materie auch eher im sozialistischen Lager beheimatet — und jener Gruppe, die am liebsten auch ethische und moralische Verfehlungen fei straf gerichtliche Verf olgungs-kompetenz fallen sehen. Symptomatisch dafür, wie zäh um grundsätzliche Formulierungen gerungen wurde, ist das Bekenntnis zum Schuldstrafrecht mit den Worten: „Die Schuld des Täters ist die Grundlage für die Zumessung der Strafe“, was mit der Feststellung, daß „der Begriff der Schuld im Volke lebendig ist“, begründet wurde. Zuvor mußte man die von der FDP vorgeschlagene Formulierung:

„Strafe und Maßregeln dienen dem Schutz der Rechtsgüter und der Wiedereingliederung des Täters in die Rechtsgemeinschaft“ niederstimmen, offenbar um jedem Anschein einer weltanschaulichen Neutralität aus dem Wege zu gehen. Als interessantes Detail ist der auch in Österreich heißumstrittene Kuppeleiparagraph anzuführen, zu dessen Abschaffung sich Christ- und sozialdemokratische Kompromißringer nicht durchkämpfen konnten. Vergeblich zitierte Bundesjustizminister Ehmke den kanadischen Ministerpräsidenten Pierre EUiot Trvud>eau, daß der Staat „in den Schlafzimmern seiner Bürger nichts zu suchen habe“.

Permanente Reform nötis: Trotz einer gewissen Erleichterung, das längst fällige Reformwerk wenn nicht zur allgemeinen — was eän unmögliches Unterfangen wäre — so doch zur Zufriedenheit vieler durch den Bundestag gebracht zu haben, zerbrechen sich ernst zu nehmende Kreise bereits über eine Reformieruhg der Reform den Kopf. Wenn etwa der deutsche Richter Dr. Horst Wösner kritisiert, daß „der große Sprung nach vorn nicht stattgefunden hat, der Sprung auf eine Stufe des Rechts, auf der sich Strafnormen zu einem System helfender, heilender und sichernder Maßnahmen wandeln könnten, wie dies in einigen Ländern weitgehend verwirklicht worden ist“, so rührt er zweifelsohne am Urproblem des Strafrechts, dessen Lösung eine Überwindung weltanschaulicher Schatten erfordert und schon allein deswegen ungeheuer schwierig ist. In Österreich hingegen stehen im Justizausschuß nach wie vor auch .jene Änderungen zur schier endlosen Diskussion, deren Bewältigung in Deutschland relativ reibungslos vor sieh ging. Was Wösner mdt „den ersten zaghaften Schritten im Bereich des Sexualstrafrechts, wo zunächst nur das beseitigt wurde, was

unter keinen Umständen aufrechterhalten werden kann“, bezeichnet und von einer Mehrheit traditionell eingestellter christlich sozialer Mandatare ohne allzu große Bedenken akzeptiert wurde, stößt in unseren Landen noch immer auf den heftigsten Widerstand im Lager jener, vornehmlich in der Volkspartei beheimateter Sittenstrafrechtsapostel, die vor der Entscheidung: Heilung und Resozialisation auf der einen und „Einspirrn“ auf der anderen Seite, eine bedenkliche Neigung zu letzterem aufweisen.

Gefallene Tatbestände

Während beispielsweise Deutschlands Homosexuelle ab 1973 ihr Untergrunddasein frei von Furcht vor strafgerichtJicher Verfolgung — von qualifizierten Fällen wie Unzucht mit Minderjährigen, Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhältnisses, Gewerbsmäßiigkeit und Gewaltanwendung abgesehen — weiter fristen können, ist in Österreich die Überwindung des klerikalen Vetos fraglich. Dafür werden andere Wege beschritten, wie die im Juni erfolgte

„sensationelle“ Grundsatzentscheidung des Obersten Gerichtshofes in einer Ehestörungsoausa aufzeigt: das Halten des Händchens einer oder eines vom Ehebande Gefesselten reicht nicht mehr für eine strafgerichtliche Verurteilung. Mag man auch gegen die Gewaltinterpretation des 525 juristisch gewichtige Einwände vorbringen können, ist dieser Fall doch nur ein Symptom für jene Krampflösungen, welche halbwegs aufgeschlossene Richter suchen müssen, um durch die permanente Saumseligkeit des Gesetzgebers nicht häufig zu der Allgemeinheit völlig unverständlichen Schuldsprüchen gelangen zu müssen. Daß anderseits einer bedenklichen Durchbrechung der Gewaltentrennung durch eine solche Entwicklung der Weg bereitet wird, kann zwar nicht gutgeheißen, in derartigen Fällen aber als entschuldbar angesehen werden. Ebenso erfolgte die Elimination der Sodomiebestimmung, die nach vorherrschender Auffassung in die Zuständigkeit des Psychiaters fällt — inwieweit sich auch Verwaltungsbehörden in Hinkunft damit zu beschäftigen haben, ob der Tatbestand einer Tierquälerei erfüllt ist. soll hier nicht untersucht werden —, wozu man sich eventuell auch in Österreich wird durchringen können. Etwas überraschend kam das einstimmige Votum des deutschen Ausschusses für die Abschaffung des Ehe-bruchstatbestamdes — mit der Zustimmung maßgeblicher Vertreter der katholischen und evangelisehen Kirche. Es siegte die in der Praxis oft gewonnene Einsicht, daß eine Strafandrohung manchmal weniger einen wirksamen Schutz als ein willkommenes Erpressungsmoment darstellen kann — in Österreich besteht allem Anschein nach keine Aussicht für eine solche Einsicht.

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