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Plädoyer für eine Aufwertung des Presserates

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Ein neues Mediengesetz sieht den Schutz der Privatsphäre vor journalistischen Übergriffen vor. Hört sich gut an. Seriosität und Anstand in der Berichterstattung kann jedoch nicht per Gesetz verordnet werden.

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Ein neues Mediengesetz sieht den Schutz der Privatsphäre vor journalistischen Übergriffen vor. Hört sich gut an. Seriosität und Anstand in der Berichterstattung kann jedoch nicht per Gesetz verordnet werden.

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Harald Schmeretschnik ist 27 Jahre alt, er hat dichtes, dunkles Haar. Als falscher Gaskassier hat Schmeretschnik unschuldigen Opfern, vor allem älteren und hilflosen Menschen, wahrscheinlich schon Millionenbeträge herausgelockt. Auf dem Foto sieht Schmeretschnik energisch und durchaus seriös aus.

Die Informationen stammen aus der Tageszeitung „Kurier". Würde das neue Mediengesetz bereits gelten, dann hätte der „Kurier" mit dieser Berichterstattung 500.000 Schilling riskiert. Soviel steht dem (noch?) nicht verurteilten Schmeretschnik als Bußgeld für die Nennung seines vollen Namens und die Veröffentlichung seines Bildes zu.

Wird er einmal gefangen und verurteilt, dann hilft das dem „Kurier" auch wenig. Der Staat behält das Bußgeld (das er für die sachliche und richtige Berichterstattung kassiert hat) und widmet es irgendeinem Zweck, zum Beispiel der Journalistenausbildung. Vielleicht konnte der „Kurier" mit seinem Bericht dazu beitragen, daß unschuldige Opfer vor Schmeretschnik gewarnt wurden, ja vielleicht hat er sogar mitgeholfen, den Gauner zu finden - dem kommenden Medienrecht ist das egal.

Seit der Präsentation des ersten Entwurfes durch das Justizministerium schlagen die Wogen der Diskussion über den umstrittenen Text hoch. Das legistische Werk soll die Journalisten unter Druck setzen, es ist die politische Rache für allzu vorwitzige Enthüllungen über Skandale, meinen die Kritiker. Es hilft, endlich die Privatsphäre vor Übergriffen amoklaufender Journalisten zu schützen, meint das Ministerium.

Tatsächlich ist ein Handlungsbedarf vorhanden. Das „Schweinchen, das alles macht", ist noch allen in angewiderter Erinnerung. Sowohl die Ausgabe mit dem schlichtweg falschen Titel als auch die Ausgabe mit den Entgegnungen waren Verkaufsschlager. Mit Sensationsberichten läßt sich auf Kosten Wehrloser ein nettes Geschäft machen, das ist unbestritten.

Aber auch das neue Mediengesetz wird das nicht verhindern. Im Gegenteil: Die erhöhten Bußgelder treffen die wirtschaftlich starken Zeitungen (die noch dazu mit entsprechenden Berichten besonders gut verdienen) nicht ernsthaft. Für kleinere und wirtschaftlich schwächere Zeitungen kann hingegen ein aufsässiger Lokalpolitiker existenzbedrohend werden.

Das grundsätzliche Problem lautet aber: Lassen sich Anstand und Seriosität gesetzlich erzwingen?

Die Antwort darauf ist ein klares Nein. Wirtschaftlich stärkere Medien werden sich den besseren Anwalt leisten können, werden auf die Opfer ihrer Meuchelberichterstattung (sofern es eine solche gibt) größeren Druck ausüben, werden Strafen oder Entschädigungen lockerer zahlen.

Besonders werden sie aber davon profitieren, daß das neue Gesetzeswerk statt effizienter Spielregeln eine völlige rechtliche Unsicherheit schafft. Ohne darauf nher einzugehen: Es gibt namhafte Juristen, darunter Presserichter und Presseanwälte, die das Mediengesetz entsprechend seinem vorliegenden Entwurf für nicht judizierbar halten. Das Ministerium ist zwar der Meinung, daß diese Juristen irren - hier sollte man aber nicht vergessen, daß nicht die Ministerialräte und Sektionschefs mit dem Gesetz leben müssen, sondern Anwälte, Richter, Journalisten, Zeitungsleser und Medienopfer.

Eine Passage des Entwurfes verrät indessen, was die Ministerialbeamten offenbar wirklich mit dem Gesetz wollten - das sinngemäße Zitat sollten sich Zeitungsleser auf der Zunge zergehen lassen: Die Zeitungen werden darin bezichtigt, ihren Lesern ein „verzerrtes Bild" von der Kriminal-Wirklichkeit zu liefern, das Ministerium kritisiert, daß Berichte über Kriminalfälle und Gerichtsverfahren in den Medien überhandnehmen. Mit anderen Worten: Das Justizministerium hat offenbar eine recht konkrete Vorstellung, was Zeitungsleser über die Krirninalwirklichkeit lesen dürfen, und die Medien sollen nun unter Druck gesetzt werden, um diese Wirklichkeit brav ihren Lesern zu servieren* (Tun sie das nicht, werden sie eben vor Gericht gezerrt). Diese verräterische Passage fehlt dann natürlich in den Folgeentwürfen.

Freilich gilt der Schutz der Persönlichkeit nur solange, wie es dem Staat paßt. Fordert nämlich der Staat selbst zur Menschenhatz auf, dann ist die Nennung des Namens und die Veröffentlichung des Bildes natürlich straf-und entschädigungsfrei.

Im Gesetzestext wird sich das dann etwa so lesen: Dem Betroffenen (einer derartigen Berichterstattung) steht dann kein Anspruch auf Entschädigung zu, wenn „die Veröffentlichung durch Zwecke der Strafrechtspflege oder der behördlichen Verbrechensvorbeugung geboten" war. Wenn also das Gericht befindet, die Preisgabe der Identität (eines möglicherweise schuldlosen Menschen) ist gerechtfertigt, dann hilft diesem nichts und niemand.

Unbestritten bleibt aber ein Unbehagen, und das Problem hat jedenfalls zwei Seiten. Einerseits wollen die Leser natürlich möglichst detailliert über Kriminalfälle unterrichtet werden, und oft dienen derartige Berichte der Verhinderung weiterer Straftaten. Andererseits ist die Position des einzelnen, wenn er zum Medienopfer wird, tatsächlich verbesserungswürdig.

Selbstreinigung der Medien

Ansätze zu einer Selbstreinigung des Mediensektors existieren aber bereits, und es fragt sich, warum diese nicht genutzt werden und plötzlich ein Gesetz her muß. Der Presserat beschäftigt sich schon jetzt auf unbürokratische Weise mit Klagen von Betroffenen gegen Übergriffe der Medien. In seiner jetzigen Form sind seine Interventionsmöglichkeiten allerdings begrenzt.

Eine mögliche Lösung wäre es daher, den Presserat aufzuwerten. Beispielsweise könnte er Entgegnungen formulieren und auch deren Plazierung in der betreffenden Zeitung fordern. Scheinheilige Gegenargumente, die da von Zensur sprechen, berücksichtigen nicht, daß die Gerichte ja ähnliches tun werden - aber ohne den Sachverstand der Medienprofis, die im Presserat sitzen. Auch eine Ergänzung der Institution durch Zeitungsleser und Richter ist denkbar.

Ahnliches funktioniert bereits im Ausland: In Schweden bewährt sich schon seit Jahrzehnten eine Art Presserat als Selbstreinigungsinstrument der Medienszene. Warum ähnliches in Österreich nicht funktionieren sollte, ist unverständlich.

Der Autor ist Präsident der Journalistengewerkschaft.

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