Schutz vor Sprachtätern

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Seit 30 Monaten gibt es in Österreich keinen Presserat mehr: Diese Lähmung der journalistischen Selbstkontrolle könnte sich als fatal herausstellen.

Solange es in Österreich einen funktionierenden Presserat gab, war die mediale Welt zwar auch nicht besser. Immerhin dachten einige Berufspraktiker und Funktionäre von Standesorganisationen von Amts wegen über das Erscheinungsbild der österreichischen Medien nach. Es gab in den 40 Jahren des Bestehens des Presserates eine Fülle von Problemfällen, und immer wieder zeigte das Gremium auf, wo die Grenzen des Zulässigen liegen und auch, wenn ein Medium dieselben überschreitet.

Seit dem Dezember 2001 existiert diese offizielle Form der journalistischen Selbstkontrolle nicht mehr. Damals hat sie der Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) nach quälerischen Kontroversen mit dem zweiten von vier Trägervereinen des Presserates, nämlich der Journalistengewerkschaft, für beendet erklärt. Hinter uns liegen also 30 Monate Interregnum, und es dauert an. Eine von Claus Reitan, dem Chefredakteur der Tiroler Tageszeitung, gestarteter Versuch, den Presserat in veränderter Struktur zu reaktivieren, ist noch nicht zum Ziel gelangt. Ein Entwurf dieser Chefredakteurs-Initiative ist aber in Kürze zu erwarten. (Stellungnahmen dazu Seite 22, 23 unten, Anm.) Hat der Presserat wirklich gefehlt? Ganz sicher nicht allen, die an ihm interessiert sein sollten. Ein VÖZ-Funktionär sagte kürzlich in einer Mischung aus Ehrlichkeit und Zynismus, er könne das Wort Presserat nicht mehr hören.

Verhängnisvolle Entwicklung

Das ist ein Signal einer verhängnisvollen Entwicklung. Im sensiblen Raum außerhalb des juristisch strukturierten Medienrechts, also dort, wo es nicht gleich um eine klagbare Verleumdung oder üble Nachrede geht, sondern um die juristisch kaum zu fassenden Werte von Anstand und Menschenwürde, ist offiziell niemand mehr zuständig. In Deutschland ist eine derartige Kompetenz für wichtig genug genommen worden, dass der Presserat, also die journalistische Selbstkontrolle, aus öffentlichen Mitteln unterstützt wird. Denn selbstverständlich braucht ein derartiges Gremium einen wenn auch bescheidenen Apparat. So weit ist es in Österreich auch in Presseratszeiten nie gekommen. Die unterschiedlich zusammengesetzte Gruppe, geführt und beeinflusst von ehrenwerten Journalisten wie Hubert Feichtlbauer oder Paul Twaroch sowie dem "Ombudsmann" Peter Klar, funktionierte wie ein ethischer Sanitätszug. Er trat in Erscheinung, wenn er von einem Beschwerdeführer gerufen wurde. In selten Fällen fuhr er aus eigenem Antrieb vor, um nach dem Rechten zu sehen. Das geschah bei der als extrem empfundenen Vorverurteilung des Briefbomben-Attentäters Franz Fuchs in Wort und Foto durch die Kronen Zeitung. "Ein Bild wie ein Geständnis", prangte am 8. Oktober 1997 auf deren Titelseite. Zu dem Zeitpunkt war der Täter bloß festgenommen und noch nicht einmal angeklagt.

Die Fernwirkung dieses medienethischen Missgriffs war freilich katastrophal. Die Krone hängte der Mehrheit der Presseratsmitglieder eine Millionenklage auf Grund des Wettbewerbsgesetzes an, womit sie bei Gericht selbstverständlich nicht durchkam. Aber am Ende war der Presserat kaputt, weil sich der Versuch, ihn so umzugestalten, dass er auch für die Kronen Zeitung erträglich wäre und zugleich die populistische Potenz dieser Massenzeitung in das Warnsystem journalistischer Ethik einbeziehen könnte, als hoffnungslos erwies.

Kein Selbstkritik-Meister

Die Lähmung journalistischer Selbstkontrolle könnte sich in absehbarer Zukunft als fatal herausstellen. Österreich ist ja an sich nicht gerade für selbstkritische Meisterleistungen bekannt, das gilt auch für die hiesigen Medien. Ein Leitartikel wie der von Ende Mai in der New York Times, in der die weltbekannte Zeitung eingestand, dass ihre Berichterstattung und Meinungsbildung über die Irak-Kriegspolitik des Präsidenten George Bush erhebliche professionelle Mängel gehabt habe, ist hierzulande nicht vorstellbar. "Es ist an der Zeit, dass wir das (kritische) Licht auch auf uns selber richten", schrieb die Zeitung. Ihr Ombudsmann Daniel Okrent klagte darüber, dass sich die New York Times vor den Karren der Kriegstreiber spannen und von Informanten missbrauchen hatte lassen.

Nun kann man bagatellisierend sagen, Österreich befinde sich ja nicht im Krieg, in der die Wahrheit bekanntlich das erste Opfer ist. Aber journalistische Ethik ist keine Angelegenheit für den Ausnahmezustand, sondern für den Alltag. Der soeben zu Ende gegangene EU-Wahlkampf hat deutlich gemacht, dass die politische Kultur in Österreich immer mehr versandelt. Die Medien haben ihren Anteil an dem Niedergang, wenn sie Politik fast durchgängig als einen Ringkampf zwischen Personen und Mächten darstellen und sich vielleicht sogar selbst als Ringkämpfer fühlen, während von der Sachdiskussion nichts übrig bleibt. Gegen diese Symptome genereller Verzerrung hilft natürlich auch ein Presserat nicht. Auf ihn aber zu verzichten heißt, stillschweigend zu akzeptieren, dass eine Qualitätsdiskussion sowieso unnötig ist.

Und elektronische Medien?

Der ORF ist dem früheren Presserat ferngeblieben, und er hatte Argumente für diese Haltung. Als öffentlich-rechtliche Institution unterliegt er gesetzlichen Verpflichtungen, die auch ausführliche Qualitätsauflagen enthalten. Nun hätte zwar auch dem ORF dort, wo er sich auf fast ungebremste Quotenjagd begab, ab und zu ein warnendes Wort aus dem journalistischen Lager gut getan, aber das ist nicht der aktuelle Punkt. Österreich tritt soeben und mit großer Verspätung in die duale Phase der Rundfunk- und Fernsehordnung ein, und das heißt, es wird in zunehmendem Maß auch relevant werden, was auf den Privatsendern alles gespielt wird und wie die wesentliche Fragen der Zeit auf den lokalen und regionalen Wellenlängen der Privaten behandelt werden. Mit der Zurückdrängung des alten ORF-Monopols durch die private Konkurrenz turnen in der Trapezkuppel, unter welcher derzeit kein Netz journalistischer Selbstkontrolle ausgespannt ist, mehr Leute und mehr Macher. Was immer geschieht, es gibt keine Instanz, die nach sachlicher und fairerPrüfung sagt, ob das nun zulässig oder unerträglich gewesen ist.

Ein Ehrenkodex oder ein Presserat sind nicht dazu da, die kritische Arbeit der Medien zu behindern oder suspekt zu machen, sondern dazu, rechtzeitig darauf hinzuweisen, wenn Medien sich von allen Fakten ausklinken und eine auf Vorurteilen beruhende Kampagne einleiten. Die Gelegenheit dazu wird es so wie in der Vergangenheit auch in Zukunft geben. Schattenseiten der soeben erfolgten EU-Erweiterung könnten sehr rasch zu gezielten Pauschalverdächtigungen missbraucht werden. Was in diesem Zusammenhang die Diskussion über einen EU-Beitritt der Türkei alles bringen kann, müssen schon jetzt auch diejenigen fürchten, die diesen Beitritt aus sachlichen Motiven ablehnen.

Keine "Schurken!"-Sprache

Der deutsche Soziologe Ulrich Beck sagte bereits vor Jahren: "Die Verwirrung der Begriffe ist der Unterschlupf, den die Sprachtäter überall den Menschenjägern bieten." Das Regime des amerikanischen Präsidenten George Bush führt zur Zeit aller Welt vor, wie sich die Verwilderung der Sprache am Ende auswirkt. Wer Staaten und Völker in Schurken oder Böse einteilt, sie also begrifflich diskriminiert, darf sich nicht wundern, wenn auf unterer Ebene solche "Schurken" Folterungen unterzogen werden. Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen Begriffen und der Tat. Und somit auch journalistische Verantwortung, die auch darin bestünde, nicht in eine mediale Schurkensprache abzugleiten, in der Mord mit Exekution verwechselt wird und Menschentötung mit Liquidation. Die Aufgabe verantwortlicher Persönlichkeiten, und dazu müssen sich Journalisten rechnen, besteht darin, freiwillig und überlegt auf die Aussendung von Signalen zu verzichten, die instabile Menschen dazu verführen könnten, sich wie Unmenschen zu benehmen.

Der Autor ist stv. Chefredakteur des "WirtschaftsBlatts" und Vorsitzender der Initiative Qualität im Journalismus (IQ).

Infos: www.iq-journalismus.at

Ehrenkodex der österr. Presse: www. voez.at/download/PR_Ehrenkodex.pdf

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