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Digital In Arbeit

Was kann, was darf ein Journalist?

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Bewußt falsch eingesetzter Journalismus ist für den Autor - selbst mit einer „Enthüllungsstory“, auf die er „nicht sehr stolz“ ist -, bekannt geworden, Machtmißbrauch.

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Bewußt falsch eingesetzter Journalismus ist für den Autor - selbst mit einer „Enthüllungsstory“, auf die er „nicht sehr stolz“ ist -, bekannt geworden, Machtmißbrauch.

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Für. viele, vor allem junge Menschen ist der Journalismus ein Traumberuf, vereinigt er doch wesentliche Vorteile, die es in den meisten anderen Sparten nicht gibt: hohes Einkommen, ungeregelte Arbeitszeit, die Möglichkeit, eigene Gedanken in eine breite Öffentlichkeit zu tragen — und Macht.

Journalisten sind mächtig. Diesen Umstand zu bestreiten, ist müßig: Es ist ein materieller Unterschied, Gedanken in einer Maturazeitung einigen Dutzend Le- i sern nahezubringen, oder diese in einer gut florierenden Tageszeitung Hunderttausenden, vielleicht Millionen Lesern zu vermitteln.

Wer, was laufend passiert, von der „Kronenzeitung“ (oder anderen Medien) zu Unrecht zum Mörder oder Fälscher abgestempelt wird, ist chancenlos: Auch wenn sich derlei Vorwürfe im nachhinein als haltlos herausstellen, sind die Betroffenen — durch Hunderttausender-Auflagen zuvor desavouiert — im nachhinein nicht mehr zu rehabilitieren.

Journalismus bedeutet Macht. Bewußt falsch eingesetzter Journalismus, wozu auch das Verschweigen von Fakten gehört, ist Machtmißbrauch. Und unbeabsichtigt verbreitete Falschmeldungen können zwar im Leben der Betroffenen verheerende Wirkungen verursachen, im rechtlichen Sinne werden sie aber, wenn gewisse rechtliche Kriterien („Aufwendung der journalistischen Sorgfaltspflicht“) zutreffen, als „Irrtum“ straffrei gestellt.

Journalisten reiten unentwegt über den Bodensee: Uberzeugt von ihrer eigenen Notwendigkeit, getrieben vom Redaktionsschluß und dem generellen Streß dieses Metiers, und hin und her gerissen von dem, was „Tragen von Verantwortung“ heißt, bringen sie ihre Artikel in mehr oder weniger großer Auflage unters Volk.

In hundert Fällen geht das gut, beim hundertersten passiert die Katastrophe: Die Falschmeldung mit zum Teil schrecklichen Auswirkungen; der Kommentar, dessen Zynismus dem Anlaß nicht gerecht wird; oder die Nichtmel-dung eines Umstandes, der sehr wohl von öffentlicher Relevanz ist.

Journalisten sind Menschen wie andere auch: voll der Fehler, Eitelkeiten, voll der unterdrückten Wünsche nach Verbesserung dieser unserer Welt. Journalisten sind, so lesen wir es unentwegt in den Kommentaren, wesentlich besser als Politiker. Journalisten stehen mit der Amtspolitik auf Kriegsfuß, so lesen wir es auch, und dennoch sind sie in bedenklichem Ausmaß mit Politikern ver-habert.

Die Zustände sind schizophren: Was immer unter der Flagge des

Journalismus segelt, erhebt Anspruch auf Perfektion und ist dennoch vom Stigma der Unvoll-kommenheit geprägt.

Journalismus ist die zu Papier oder über sonstige Medien unter den Konsumenten gebrachte Un-Perfektheit schlechthin.

Beispiel: Der Krach der Grünen und Alternativen, der die letzten Wochen die Gazetten und den ORF beherrschte. Daß junge, politisch noch nicht etabberte PoHt-gruppierungen am Leidensweg zur Macht zuerst den Kreuzweg ihrer Selbstfindung zu gehen haben, muß jedem, der logisch zu denken vermag, eine Selbstverständlichkeit sein.

Hierzulande beherrschte diese Selbstfindung, die Gewichtigkeit des Anlaßfalls bei weitem übersteigend, über Gebühr lange alle Medien. Was den Schluß zuläßt, daß es den Journaüsten weniger um die Sache, als vielmehr um den Umstand geht, die Grün-Alternativen lächerlich und unwählbar zu machen.

Unter dem Deckmantel der Seriosität ist dies letztlich nichts anderes als subtiler Machtmißbrauch: Im Präsidentschaftswahlkampf verweigerte der ORF der Grün-Kandidatin Freda Meissner-Blau wichtige Sendezeit; im Streit um die Listenplätze wichen die Küniglberger nicht von ihrer Schürze.

Dennoch: Die Vielfalt des heimischen Medienmarktes rechtfertigt es, ein Plädoyer zugunsten des heimischen Journalismus zu halten.

Einem Politiker, der sein Leben lang falsche Entscheidungen trifft, billigt die öffentbchkeit praktische Lebenserfahrung zu. Die Fehlleistung eines einzigen JournaUsten dagegen wird zur Krise der heimischen Medienszene hochgejubelt.

Und das, obwohl es gravierende Unterschiede zwischen dem mächtigen Politiker und dem (zumindest gleichmächtigen) Journalisten gibt: Der Bezieher eines Nationalrats- oder Landtagssalärs kann sich bei gravierenden Fehlleistungen hinter dem Deckmantel seiner Partei, notfalls auch dem seiner Immunität verkriechen; der Journalist dagegen ist für sein gesamtes Tun und Handeln im vollen Umfang persönlich haftbar.

Er ist — im Gegensatz zum Politiker — voll satisfaktionsfähig, denn er unterliegt dem Mediengesetz, dem Strafgesetz, dem ORF-Gesetz und, zumindest theoretisch, auch dem journalistischen Ehrenkodex.

Politiker, die fürs Allgemeine Krankenhaus oder für die Vereinigten österreichischen Eisen-und Stahlwerke Verantwortung tragen, flüchten wohlbestallt in die Pfründe des Staates. Journalisten, denen weitaus weniger gravierende Fehlleistungen unterlaufen, stehen nicht nur kurze

Zeit danach vor dem Strafrichter, sondern auch vor dem Verlust ihrer beruflichen Existenz.

So darf man wohl als Journalist das nebulose Berufsbild in jenem Rahmen sehen, den Wissen und Gewissen, den Medien- und Strafrecht vorgeben: Es ist nicht sinnvoll, vor Drucklegung jedes Artikels ein Seminar über Ethik zu absolvieren, sehr wohl aber die Folgen jedes einzelnen der zu publizierenden Worte abzuschätzen.

Juristen werden das Wort „Beweiswürdigung“ vermessen finden, dennoch sei es hier erlaubt: Journalismus ist Macht, und der Einsatz dieser Macht sollte in Form einer „Beweiswürdigung“, besser: einer Gewissenserforschung, vor Veröffentlichung geprüft werden.

Gewissen heißt, zu prüfen, ob der Anlaßfall eine Berichterstattung gehässiger Art rechtfertigt. Gewissen ist aber auch, dort nicht zuzudecken, wo Aufdeckung erforderlich wäre.

Teil dieses Gewissens sollte es aber auch sein, daß unter dem Deckmantel der Unabhängigkeit keine Abhängigkeiten zu gewissen Gruppen bestehen (es gibt unter den Journalisten gleichermaßen die Polit-, Kunst-, Sport-, wie auch die Kulturlobby), die dem eigenen Gewissen eigentbch diametral entgegenwirken müssen. Und es entspricht zwar dem Ehrenkodex, wochenlang dem Gerangel innerhalb der Grünen und Alternativen nachzuhecheln, dabei aber die Berichterstattung über wesentliche Probleme des Staates - neueTechnologien, Spitalsproblematik, Sozialversicherungen, das unnötige Sterben auf unseren Straßen und wesentliche andere Themen, wie sie dankenswerterweise von der FURCHE seit Jahren aufgegriffen werden— zu unterlassen.

Was darf ein Journalist?

Es gibt keine allgemein gültige Antwort. Außer der einen: Er sollte freiwillig weniger wollen, als er darf. Dort aber, wo er Dritten — sozial Benachteiligten, den Hilflosen unserer Zeit, den Unmächtigen, den Armen, den Behinderten, den Wortlosen — helfen kann, sollte er mehr tun, als er muß.

Und eines sollte jeder Journalist unseres Landes tun: Er sollte sich einen Spruch einrahmenjas-sen und diesen neben die Schreibmaschine stellen. Und dieser Spruch lautet: „Wirklich mächtig ist nur der, der freiwillig auf Macht verzichtet“.

Der Autor ist Journalist und Gemeinderat der Osterreichischen Volkspartei in Wien.

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