Abhängig vom Boulevard

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Nach dem Jubel-Event der Gratis-Postille "Heute" feierte Wolfgang Fellner, Gründer des Halbgratis-Blattes "Österreich: ein gesellschaftliches Sittenbild, 2. Teil.

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Nach dem Jubel-Event der Gratis-Postille "Heute" feierte Wolfgang Fellner, Gründer des Halbgratis-Blattes "Österreich: ein gesellschaftliches Sittenbild, 2. Teil.

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Während sich in Wien die Tramwaypassagiere immer noch die Augen rieben, weil sie mit einer Beflaggung der Straßenbahnen belästigt wurden, auf denen das 10-Jahr-Jubiläum der Gratis-Postille Heute gefeiert wird, dräute längst der nächste jubelnde Boulevard herauf: Wolfgang Fellner, Gründer von Österreich und einiger anderer Rabiat-Medien, wurde 60. Und deshalb lobhudelte sein Halbgratisblatt am Vortag mit einer 32-seitigen Beilage, und am Wiegenfest feierte die Spitze des Landes - vom roten Kanzler über den schwarzen Landeshauptmann Nr. 1 bis zum notorischen Baumeister - nachzusehen in den ORF-Seitenblicken ebenso wie in Österreich selber, das dem Jubel-Event gleich zehn Seiten mit hunderten (!) Köpfen aus der Schar derer, die gekommen waren, widmete.

Alles, was der FURCHE-Leitartikler schon vor fünf Wochen unter dem Titel "Gesellschaft ohne Genierer" argumentierte - damals zelebrierte sich Heute anlässlich seiner ersten 10 Jahre -, wäre zu den Fellner'schen 2x30-Feiern (im boulevardesken Jugendwahn nimmt man das Best Age von 60 nicht oft in den Mund) zu wiederholen.

Skrupellosigkeit und Tabubrüche

Aber man muss dem Fellnerismus doch mehr an Skrupellosigkeit und Tabubrüchen vorhalten als dem, was anderen wirtschaftlich erfolgreichen Boulevardmachern im Land nachzusagen ist. Es ist unbestritten, dass Wolfgang Fellner (im Verein mit Bruder Helmuth) in der heimischen Medienwelt umgerührt hat wie kaum ein anderer: Rennbahn-Express, Basta, News, Woman, Österreich oder das Internetportal oe24 - niemand sonst weist eine solche Liste von Mediengründungen vor.

Dass sich Wolfgang Fellner als medienunternehmerischer Nimmersatt erweist, geht aber mit einer Kehrseite umher, auf der journalistische Standards und Qualität eine Nebenrolle spielen. Das getürkte Interview etwa ist ein immer wiederkehrender Vorwurf an den Fellnerismus - dem Grün-Politiker Herbert Fux (1927-2007) etwa wurde im mittlerweile wieder verblichenen Basta auf diese Weise ein bestimmtes Sexualleben angedichtet. Die gleiche Monatsillustrierte veröffnetlichte 1986 auch ein "Beichtgespräch" mit dem neu ernannten Wiener Erzbischof Hans Hermann Groër. In einer der ersten Ausgaben von Österreich anno 2006 wurde, weil Natascha Kampusch sich von den journalistischen Fellner-Emissären offenbar nicht erweichen ließ, einfach das ORF-Interview mit dem Entführungsopfer abgetippt und gedruckt. Die Beispiele lassen sich fortsetzen.

Durch den "erfolgreichen" Boulevard erpressbar geworden

Selbstredend, dass Österreich immer wieder Gegenstand von Beanstandungen durch den Österreichischen Presserat ist. Wolfgang Fellner erkennt das journalistische Selbstkontrollorgan auch gar nicht an und lässt sogar dagegen prozessieren. Das alles ist lang bekannt und ein mediales wie gesellschaftliches Übel. Doch Gesellschaft und Politik lassen gewähren. Man geht kaum fehl, wenn man behauptet, die heimische Politik ist durch den "erfolgreichen" Boulevard erpressbar geworden. Vielleicht lassen sich deren Protagonisten deswegen so gerne auf den beschriebenen medialen Jubel-Events ablichten.

Und darum unser Ceterum censeo: Der wirklich bedrohte Qualitätsjournalismus müsste auch politisch gefördert werden. Denn der oft beklagte Zustand der Politik hat auch mit der Boulevardisierung der Medien zu tun. Vor genau 50 Jahren haben die Qualitätszeitungen im Lande mit dem Rundfunk-Volksbegehren (übrigens das einzige Volksbegehren, das je zum Gesetz wurde), ein Tor geöffnet, das zur Revolutionierung des Rundfunkjournalismus im Lande geführt hat. Heute geht es längst nicht mehr um diesen: Mediale Qualität ist im Multimediazeitalter auf allen "Plattformen", wie es heute heißt, vonnöten. Aber das ist gesellschaftlich wie politisch kein Thema. Dafür feiert man mit Wolfgang Fellner &Co. Sicher auch deswegen, weil man sich von ihm und seinesgleichen abhängig fühlt.

otto.friedrich@furche.at

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