Hochamt des Journalismus

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KOMMENTAR. Die Enthüllungen zweier deutscher Medien führten binnen 24 Stunden zum Kollaps von Österreichs Regierung. Der Umgang der Politik mit den Medien ließ aber auch aktuell zu wünschen übrig.

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KOMMENTAR. Die Enthüllungen zweier deutscher Medien führten binnen 24 Stunden zum Kollaps von Österreichs Regierung. Der Umgang der Politik mit den Medien ließ aber auch aktuell zu wünschen übrig.

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D ie vierte Macht hat in diesem Fall ihre Verantwortung voll wahrgenommen.“ Alexander Van der Bellens Lob für den unabhängigen Journalismus am Ende des turbulenten Samstag brachte es auf den Punkt, dass es in den Vorgängen, die zum Showdown der Regierung führten, zentral um Medien und deren Rolle geht. Und – in einem weiteren Sinn – auch ums Verhältnis von Medien zur Politik. Und umgekehrt.
Da ist zu benennen: Es waren zwei deutsche Medien, deren Enthüllungen eine „erfolgreiche“
(© Sebastian Kurz ebenso wie Heinz-Christian Strache & Co) Regierung binnen 24 Stunden zu Fall brachten. Dass nicht nur von den gestürzten FPlern die Frage nach der ethischen Erlaubtheit der Veröffentlichungen aus dem Skandalvideo gestellt wurde, gehört aber in die Kategorie Scheinheiligkeit.
Invertigativer Journalismus lebt davon, dass er auf Material fußt, das auch auf „illegal“ zustande gekommenen Beweisen fußt. Qualitätsjournalismus zeichnet sich dadurch aus, dass er mit derartigen Quellen sorgsam und unter maximaler Wahrung des Schutzes von Personen umgeht. Was die Journalisten von Süddeutscher und Spiegel da vorführten, war und ist ein Lehrbeispiel für den ethischen Umgang mit kompromittierendem Material, das eben von genuin öffentlichem Interesse ist. Bis dato gelangte genau das an die Öffentlichkeit, und nicht sonstige Schmutz- und Schund-Episoden, auf die sich eine gewissenlose Berichterstattung stürzen könnte.

Die Performance des ORF

In ein ähnliches Horn stößt man auch in Bezug auf die Performance des öffentlich-rechtlichen ORF, der seine Professionalität in diesen Tagen wie zuletzt selten unter Beweis stellte. Dass dabei der bis dato nur in den Randsiedlungen der TV-Information präsente Tobias Pötzelsberger sich als unaufgeregter und kompetenter Führer durch die Turbulenzen erwies, war weniger ein „Glücksfall“ für die Berichterstattung als ein Aufweis dafür, dass der gerade von der gesprengten Regierung drangsalierte ORF seiner Informationspflicht nachkommt –
wie kaum ein Medium im Land.
Man könnte Gedankenspiele anstellen, ob das auch so wäre, würde der ORF – wie die Freiheitlichen wollten – aus dem Staatsbudget finanziert. Das beste Argument in der Auseinandersetzung um die ORF-Gebühren kann nur der ORF liefern. Genau das tat die Anstalt in diesen Tagen. Und wer es in Österreich schon vergessen hatte, was das Land am ORF hat, bekam es nun vorexerziert.
Doch auch wenn die Qualitätsmedien im Land und zu einem Gutteil auch der Boulevard zu diesem Hochamt des Journalismus beitrugen, so bleibt bei der Performance der Politik gegenüber den Medien doch mehr als ein schaler Geschmack zurück. Das beginnt damit, dass sich die Player auf Seiten der zerbrochenen Regierung vor allem in Verlautbarungskommunikation übten. Journalisten waren Statisten von Kommuniqués, die vom Kanzler oder den (Ex-)FPÖ-Ministern vorgetragen wurden. Erst am Montagabend ließ Sebastian Kurz erstmals Fragen zu – vor einer schütteren Journalistenkulisse (unschwer zu erraten, warum so wenige da waren …)
Dass der Kanzler zusätzlich ohne ein einziges stichhaltiges Argument Tal Silberstein als möglichen Hintermann des Ibiza-Videos ausmachte, gehört allenfalls in die politische Trickkiste – und bedient auch antisemitische Codes vom finsteren Juden … (der jüdische Schriftsteller Doron Rabinovici hat genau darauf hingewiesen).
Auch die Tatsache, dass Kurz dem Boulevard (der deutschen Bild, der Krone, Österreich) Interviews gab, nicht aber den Qualitätsmedien, auch nicht dem ORF, passt ins trübe Bild derartiger Kommunikation. Dass Armin Wolf am Montagabend nicht mit dem Kanzler, sondern mit dessen Interviewer der Bild-Zeitung darüber sprechen musste, was Kurz sagte, war an Absurdität unüberbietbar.
„Zwar sind die Medien keineswegs die ‚vierte Gewalt‘ im Staate neben Gesetzgebung, Rechtsprechung und Exekutive. Dennoch haben die Medien in der Demokratie eine Kontrollfunktion.“ Mit diesen durchaus demütigen Zeilen brachte der Chef der Süddeutschen, Kurt Kister, das Wesentliche auf den Punkt. Und weiter: „Wir … fühlen uns der Demokratie und der freiheitlichen Gesellschaft verpflichtet. Und wir wollen keinen Staat, in dem Politiker wie Heinz-Christian Strache oder Viktor Orbán sich der lästigen Kontrolle entledigen, indem sie Journalismus und Pressefreiheit erledigen.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

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