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Wie ödipus

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Während der härteste Zeitungskrieg der Zweiten Republik über die innenpolitische Bühne Österreichs rollt (siehe Seite 4), und privatkapitalistisch-organisierte Verlage mit immer neuen Preisausschreiben, Sonderaktionen und Gerichtsverfügungen gegeneinander und um Leser kämpfen, schließt sich ein Belagerungsring um den österreichischen Rundfunk immer enger.

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Während der härteste Zeitungskrieg der Zweiten Republik über die innenpolitische Bühne Österreichs rollt (siehe Seite 4), und privatkapitalistisch-organisierte Verlage mit immer neuen Preisausschreiben, Sonderaktionen und Gerichtsverfügungen gegeneinander und um Leser kämpfen, schließt sich ein Belagerungsring um den österreichischen Rundfunk immer enger.

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Mit eigenen Sorgen beschäftigt, sind Österreichs Zeitungen offenbar heute nicht mehr kraftvoll genug, das von Minen vor nunmehr acht Jahren gezeugte Kind, nämlich den reformierten ORF, davor zu bewahren, auf den Weg des alten rotschwarzen Proporzrundfunks zurückgezwungen zu werden. Genauer: die Novellierung des Rundfunkgesetzes — soweit die Pläne der Regierung dazu bekannt geworden sind — richtet sich gegen eine der Zentralideen des Volksbegehrens, selbst dann, wenn sie für sich in Anspruch nimmt, dem Volksbegehren gegenüber dem Gesetz im nachhinein zum Durchbruch zu verhelfen.

Was bedeutet es nämlich für die Szenerie in Österreich, wenn nun plötzlich aus einem Rundfunk drei autonome Programmbereiche werden sollen und wenn gleichzeitig die (sowieso beschränkte) Programmhoheit des Generalintendanten verlorengeht?

Es bedeutet in letzter Konsequenz: nichts anderes als die neuerliche Pro-porzierunig des Unternehmens („halbrechts“ — „halblinks“ — „links“?), die Zerschlagung einer geordneten Verantwortung und damit die Gefährdung der Unabhängigkeit des Unternehmens — der Unabhängigkeit eines Staatsunternehmeins vom Staat, also von der Regierung. (

Was hatten die Initiatoren des

Volksbegehrens seinerzeit nicht alles an moralischem Prestige, an Initiative und Hoffnung in dieses Volksbegehren investiert? War es nicht auch so etwas wie eine Sternstunde der Demokratie in Österreich, als 900.000 Österreicher mit vollem Namen gegen das, Systems des Proporzes unterschrieben? Wurde damit nicht eine Tür aufgestoßen, die erst die demokratische Verlebendigung möglich machte, Wählermobilität erzeugte und Alleinregierungen in Österreich seit 1966 den Weg ebnete?

Es steht außer Frage, daß der ORF selbst nicht alle Erwartungen erfüllte, die die Initiatoren des Volksbegehrens, viele Parlamentarier — vor allem der ÖVP, aber auch der heutigen Regierungspartei (und vielleicht Bruno Kreisky selbst?) —■ in eine Rundfunkreform setzten.

Mag sein, daß man die Vorstellungen über die Möglichkeiten des Rundfunkunternehmens eines Kleinstaates zu hoch ansetzte, eines Unternehmens, das mit steigenden Kosten, der Hinterlassenschaft eines finanziell ausgehungerten Vorgängers und mit einer gesetzlich verordneten föderalistischen Hypertrophie zu starten hatte; mag auch sein, daß die Rundfunkführung, insbesondere aber der Generalintendant, seinen Amtsantritt mit allzuviel Euphorie einleitete — ohne sich über die Tagesrealitäten noch in.aller Konsequenz klar gewe-

sen zu sein; — mag auch sein, daß die Zeitungen in Österreich sehr bald einsahen, daß sie da einem Riesenbaby zur Geburt verholfen hatten, das sich eilends zum ödipus mauserte, der bekanntlich der Sage zufolge seinen Vater eigenhändig ums Leben brachte? Mag schließlich auch sein, daß der Rundfunk nicht jene Formen dm Verkehr mit den Institutionen und ihren Repräsentanten aufbrachte, die eben die Gesellschaft in diesem Staat ausmachen und die auch verlangen können, daß man sie und ihre Arbeit ernst nimmt.

Das alles aber rechtfertigt hic et nunc nicht, das Rad der Entwicklung um einige Jahre wieder zurückzudrehen.

Weshalb der Offenbarungseid fällig ist: will der österreichische Gesetzgeber, will die Regierungspartei tatsächlich den Rundfunk wieder an die lange Leine des Regierungseinflusses legen oder will sie im Interesse der Demokratie die Rundfunkfreiheit — als Korrelat zur Pressefreiheit — anerkennen? Will sie mit ahrer Mehrheit das ungeschehen machen, was 1964 von der breiten Phalanx der Presse dieses Landes und hundert-tausenden Bürgern eingerichtet wurde?

Offenibarunigseid: das heißt, daß man vorweg dem Rundfunk jenen Schutz einräumen müßte, der dem Schutz der Presse entspricht. Genauer: die Unabhängigkeit des Rundfunks ist verfassungsgesetzlich zu garantieren! Erst danach — aber nur danach — kann an die Detailreform des Rundfunkgesetzes geschritten werden. Und weil jedes Gesetz nach einer gewissen Zeit reformbedürftig ist, ist auch die Debatte darüber legitim.

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