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Was wird aus diesem ORF?
Am 11 . Juli hat das Kuratorium des Österreichischen Rundfunks zur Wahl des ORF-Generalintendanten (GI) für die nächsten vier Jahre einen ersten Anlauf genommen. Tageszeitungen, Nachrichterunagazine und alle, die sich für medienpolitisch relevant halten, haben gemutmaßt und eifrig Kuratorenstimmen verteilt und gezählt.
Um diesen oder jenen geht es hier nicht, denn erstens wird man es am Tage, da diese Zeitung erscheint, wissen, und zweitens gibt es wahrhaftig interessantere Fragen zur
Zukunft des. Rundfunks als ausgerechnet jene, wer wohl aus weichem Lager wie viele Bundesgenossen auf die Beine stellt.
Der Rundfunk in Österreich, und das wird im Rest des Jahrtausends nicht mehr nur der ORF sein, braucht ein neues Konzept. Er muß wieder Konturen gewinnen, so wie ihm das - GI hin, GI her - in den Jahren 1967 bis 1974 auf eine im europäischen Vergleich bemerkenswerte Art gelungen ist.
Mit diesem Blick zurück will ich einige hervorragende Leistungen der jüngeren Jahre nicht schmälern. Die Regionalisierung von Hörfunk und Fernsehen, von der man mir Ende der siebziger.Jahre immer wieder versicherte, sie sei aus technischen und Kostengründen „ vollkommen unmöglich", ist in einer Weise vorangetrieben worden, die den Verfechtern der elektronischen Lokalkommunikation allen Respekt abnötigt. Aber weithin glänzende Lorbeerkranze sind damit nicht zu gewinnen
Geglänzt hat der ORF als der starke Dritte im bundesdeutschschweizerisch- österreichischen Kooperationsdreieck. Geglänzt hat der ORF der Alpensaga. Geglänzt (wörtlich) hat der ORF im Silber eines nach außen hin unerhört geschlossen und innovativ wirkenden Corporate Design.
Inzwischen hat sich die (Rundfunk-) Welt verändert. Sollten sich damals dem Corporate Design so etwas wie Ansätze einer Corporate Identity hinzugesellt haben, sie sind längst dahin. Der ORF ist, bösen Zungen zum Trotz, noch nicht wieder zum Proporz-Rundfunk degeneriert. Al;>er er ist in mancher Hinsicht ein Kompromiß-Rundfunk geworden. Wenn man den Journalistenklatsch- Kolumnen ,der Wiener Auguren auch nur d'.ie Hälfte glauben darf, bietet er Konzessionsschulzen besseren Nährboden als Kohlhaasen.
Der neue Generalintendant wird also zunächst einmal personal politisch Kontur gewinnen müssen. An fast jede der unruhigen Hinaus- und Hinein- oder Wieder-hinein-Bewegungen der letzten Jahre sind Konjekturen geknüpft worden, deren
Netz beim wohlwollend-kritischen Hörer-Seher (mindestens) ein Schwindelgefühl hinterlassen hat.
Der neue Generalintendant wird nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern ganz schnell in Taten umsetzen müssen, daß sich die politische Rundfunklandschaft Europas verändert hat Alle Nachbar- .1änder Österreichs können Rundfunk in Freiheit machen. Noch folgenreicher: das größte Sendegebiet in deutscher Sprache ist im Begriff, noch viel größer zu werden. Wie immer sichDeutschlands Rundfunk · organisieren wird, er sendet fortan für70 Millionen, und viele von ihnen· sind oder wären doch gern auch ORF-Publikum. Was „ARD9 0" und „ZDF9 0" bremsen kann, es werden Probleme sein, die schneller, als jemand prognostiziert hat, aus dem dualen Rt:ndfunksystem in Deutschland erwachsen, dessen Wachstum ebensowenig zu überse.:. hen ist wie seine Schattenseiten.
Der neue Generalintendant wird also aktiv und nicht nur durch den Bau von Auffangstellungen (Regionalisierung, Stillhalteabkommen mit den Verlegern) an einer konstruktiven Beendigung des ORFSendemonopols mitwirken müssen. Nur dann nämlich hat er die Chance, uns den ORF so zu erhalten, wie wir ihm Anerkennung und Anhänglichkeit bewahren wollen.
Nur dann entwickelt er einen moralisch berechtigten Anspruch auf Bestandsgarantie und Gebührenmonopol, die Gegenstand eines künftigen Rundfunkgesetzes zu sein hätten: Ausgleich für die funkische Grundversorgung, die wir auch in Zukunft gern vom ORF erwarten. Warum gern? Weil wir durch den Vergleich mit den Programmleistungender „Privaten" mittlerweile neuen Respekt vor der Idee des Public Service der ÖffentlichRechtlichen gewonnen haben, jener Idee, die aus der BBC in deren Blütezeit hervorgegangen ist.
Für Liberalisierung (ohne Stillhalteabkommen) sprechen· wir dennoch, weil Konkurrenz - aus der Sicht des Publikums - gewisse Test-Möglichkeiten eröffnet, etwa im Hinblick auf die Rundfunkgebühren: Ist Österreichs europäische Spitzenstellung wirklich gerechtfertigt?
Der Generalintendant wird dieses, wird jenes tun müssen, sagt die Stimme aus dem Publikum. Wie soll er? Der zu erwartende Fortbestand einer großen Koalition nach dem 7. Oktober wird es ihm schwer machen. Und deshalb sollte ihm die Politik eine Chance geben: Wenn schon ein neues Rundfunkgesetz her muß, dann kehre man zum 1967 bis 1974 bewährten Intendam;prinzip zurück. Wer - Tiger oder kein Tiger - seinen Kopf in den Feuerreifen steckt, muß Recht und Verantwortung haben, selbst ????u brüllen.
Der Autor ist Universitätsprofessor für Publizistik und Kommunikationswissenschaften in Salzburg.
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