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Was wird nun aus dem ORF?

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Wird der österreichische Rundfunk vom August dieses Jahres an zunehmend an geistiger Substanz verlieren? Müssen wir uns gefaßt machen, zukünftig im Fernsehen mehr schwachsinnigen Klamauk, im Hörfunk mehr seichte Plaudereien vorgesetzt zu bekommen? Wird sich der Wille der Regierenden stärker bemerkbar machen? Wird man uns mit Hinweis auf die Freiheit der Kunst verblendete politische Agitation oder Produkte eines aufgeblähten Unvermögens präsentieren?

Die Fragen sind berechtigt, die Sorgen um die Zukunft des Rundfunks allgemein.

Sie müssen auch Gerd Bacher bekannt sein. Das Grundmotiv seines bisherigen Wirkens war es, die (falsch oder richtig erkannten) Gegebenheiten der Realität mit den stillen, harten und beglückenden Erfordernissen des Geistes in Einklang zu bringen.

Der ORF agiert nicht im luftleeren Raum, sondern im Brennpunkt des politischen Lebens. Dieses aber bietet gegenwärtig sowohl in sachlicher Hinsicht wie in seinem Stil einen erschreckenden, tragikomischen Anblick. Während das Dach brennt, wird im Haus über Korruptionsaffären, über Tonbandaufnahmen gesetzwidrig belauschter Gespräche, über die Steuerhinterziehungen des einen und stillen Einkünfte des anderen gestritten. Höflinge fordern Posten und bekommen sie; ihre Anhänger schachern um kleinere Anteile an der Macht; Fred Sinowatz ist ein freundlicher Mensch und zögert, den Saustall auszumisten.

Der ORF kann nicht auswandern, er ist von dieser Atmosphäre nicht nur umgeben, sondern auch infiziert. Das macht Bachers Versuch nicht leichter.

Die Änderung des Rundfunkgesetzes, die nun in Kraft tritt, hat drei Zielpunkte: sie soll durch Vereinfachung der Struktur der Entscheidungsgewalten die Effizienz erhöhen, vor allem angesichts der zu erwartenden Konkurrenz ausländischer Programme; sie soll durch Vermehrung der Zahl der Regierungsvertreter im Kuratorium den Einfluß der gegenwärtigen Machthaber vermehren; sie soll die Position jener stärken, die sich in ihrem Streben „auf die Grundsätze der Freiheit der Kunst" berufen wollen.

Nun geht es darum, die neuen Gesetzesbestimmungen richtig zu deuten. An diesem Punkt wird es sich erweisen, ob Gerd Bacher und Ernst Grissemann, Franz Kreuzer und Ernst Wolfram Mar-boe stark genug sind, im Konkurrenzkampf der geistig-kulturellen Aufgabe treu zu bleiben, den numerisch gewachsenen Einfluß der parteiisch denkenden Machthaber im Zeichen der Objektivität einzudämmen und die „Freiheit der Kunst" als ein demokratisches und ästhetisch anspruchsvolles Postulat zu deuten.

Es wäre immerhin möglich, daß das Werben um möglichst hohe Einschaltziffern das Niveau senkt, und zwar drastisch. Wenn man auf Klamauk mit Posse, auf Western mit Krimi, auf Narretei mit Blödelei antworten will, sind bald nicht nur Sophokles und Shakespeare vergessen, sondern auch die in einer anderen Art und Weise faszinierende Literatur der Gegenwart.

Die Folge wäre ein Abfallen der geistig Anspruchsvollen, eine Hinwendung der Elite zum Buch. Soll aber der ORF die Spaltung des Publikums in „Masse" und „Elite" fördern?

Im Rundfunk gibt es bereits erste Anzeichen einer solchen Tendenz: geplauderte „Magazine" verdrängen das geschliffene Wort. „Die Bildung schwindet, die Unterrichtung wächst. Der Gebildete wird zur komischen Figur", notiert in seinem neuen Buch Ernst Jünger.

Wie sich die vielen Regierungsvertreter im Kuratorium äußern werden, wissen wir nicht. Vielleicht werden sie den geistigen Auftrag des ORF respektieren. Menschen meiner Generation haben in dieser Hinsicht allerdings böse Erfahrungen. Wir, gebrannte Kinder, wissen, daß sich die Machthaber nie gescheut haben, die ganze ungeschlachte Kraft ihrer Möglichkeiten oft tolpatschig, aber immer zugleich wirkungsvoll ins Treffen zu führen.

Gute, dem humanen Geist ihrer Bewegung verpflichtete Sozialdemokraten müßten darüber nachdenken, ob es nicht richtiger wäre, die Freiheit über die Partei zu stellen (die Vertreter der Volkspartei müßten selbstverständlich das gleiche tun). Wo sind sie?

Was aber „die Freiheit der Kunst" betrifft, so ist die Parole schön und die Absicht, die solche Wendungen in einem trockenen Gesetzestext aufscheinen läßt, sicherlich löblich. Was aber ist „Kunst"? Ist der antisemitische Film der Hitlerei, „Jud Süß", als Kunst zu betrachten? Immerhin hat Werner Krauss sehr kunstvoll die Hauptrolle gespielt.

Wird am Ende der ORF im Zeichen der „Freiheit der Kunst" mit sadomasochistischen Blutorgien-Mysterienspielen auf die Konkurrenz Hollywoods antworten?

Die Fragen bleiben offen. Sie beunruhigen. In ihnen liegt die Möglichkeit — die Gefahr — eines neuen Kulturkampfes. Menschen, denen die humanistische Kultur wichtig ist, würden nicht zögern, für demokratische Gesinnung, für eine Vermehrung der Zahl geistig anspruchsvoller Sendungen, gegen Mißbrauch der Freiheit einzutreten. Der Ungeist wäre zu bekämpfen. Auch im ORF.

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