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„Bacher wird es immer geben..."

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Einen heißen parlamentarischen Herbst erwarteten die politischen Auguren von der diesjährigen Budgetdebatte. Aber schon am ersten Tag rückte ein ganz anders geartetes Thema in den Mittelpunkt der Parlamentsdiskussion. Der österreichische Rundfunk und seine Organe wurden ins Visier der Opposition genommen. Was aber die Parlamentarier an Diskussionsbeiträgen zum Thema Rundfunk zu bieten hatten, ging wieder einmal an der wahrscheinlich bedeutendsten Frage der politischen Willensbildung in den siebziger Jahren haarscharf vorbei.

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Einen heißen parlamentarischen Herbst erwarteten die politischen Auguren von der diesjährigen Budgetdebatte. Aber schon am ersten Tag rückte ein ganz anders geartetes Thema in den Mittelpunkt der Parlamentsdiskussion. Der österreichische Rundfunk und seine Organe wurden ins Visier der Opposition genommen. Was aber die Parlamentarier an Diskussionsbeiträgen zum Thema Rundfunk zu bieten hatten, ging wieder einmal an der wahrscheinlich bedeutendsten Frage der politischen Willensbildung in den siebziger Jahren haarscharf vorbei.

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Der Rundfunk, vor allem aber das Fernsehen sind zu einer substantiellen Tatsache unseres öffentlichen Lebens geworden, die mit den Personen, die man auf dem Schachbrett herumschiebt, nichts mehr zu tun haben. Einen Gerd Bacher wird es immer geben, gleichgültig, wie der Generalintendant nun heißen möge und wie die Namen seiner Direktoren lauten. Das Fernsehen ist zu einer Macht geworden, die Montesquieu in seine Gewaltenlehre aufgenommen hätte.

Aber diese Macht hat weder das Fernsehen bei uns noch anderswo bisher verdaut, noch sind die traditionellen Gewalten, wie Parlament, Regierung oder Gerichtsbarkeit, damit fertig geworden. Und ähnlich wie die Eisenbahn die Postkutschenzeit ablöste, werden wahrscheinlich auch spätere Generationen von einer Zeit sprechen, in der der Fernsehapparat die Informationsgeschwindigkeit und Informationsdichte revolutionierte. Auch der österreichische Fernseh- Mensch ist heute dabei, wenn Menschen auf dem Mond spazieren und wenn ein vietnamesisches Dorf beschossen wird. Unmittelbarkeit und Direktheit haben alles Bisherige in den Schatten gestellt.

Österreich hat im ersten Volksbegehren seiner Geschichte eine Rundfunkreform eingeleitet; 1967 verabschiedete der Nationalrat ein Gesetz, das bis heute von der großen

Oppositionspartei abgelehnt wird. Und 1967 wurde ein alleiniger Geschäftsführer bestellt, der den Namen Generalintendant trägt.

Dieses Rundfunkgesetz hat dem ORF maximale Bewegungsfreiheit gegeben. Die Sanierung der Gebührenfrage brachte dem Rundfunk ständig steigende sichere Einnahmen, die er als Monopolbetrieb im wesentlichen nach eigenen Gesichtspunkten einsetzen kann, sieht man von einem tatsächlich nur formellen Bewilligungsrecht des Aufsichtsrates ab. Der Rechnungshof prüft den Rundfunk zwar regelmäßig, aber schon mangels genügender Prüfer nur stichprobenweise. Bleibt eine vom Rundfunkgesetz vorgesehene Kommission aus Wirtschaftsprüfern, die der Gesellschafterversammlung berichtet.

Das Parlament hat keine Kompetenz in Sachen Rundfunk. Gerade diese Tatsache ist ein Anlaß ständiger Angriffe seitens der SPÖ, wenngleich es eben keinen Rundfunk der Welt gibt, der unmittelbare Eingriffsmöglichkeiten der Parlamentarier oder eines Parlamentsklubs ermöglicht. Der Bundeskanzler als Vorsitzender der Gesellschaftsversammlung des Rundfunks kann keine Kompetenz in personellen oder Programmfragen in Anspruch nehmen. Und auch der Aufsichtsrat kann praktisch nur die Abberufung des Generalintendanten beschließen.

Aber auch die Gerichte, vom kleinen Bezirksgericht bis zum Verfassungsgerichtshof, sehen keine Chance, den Rundfunk — wenn nötig — etwa zur Ordnung zu rufen. Denn das Pressegesetz gilt zwar für gedruckte Zeitungen — nicht aber für Rundfunk und Fernsehen. Gegendarstellungen oder Berichtigungen sind dem guten Willen der Programmgewaltigen anheimgestellt.

Was also soll’s? — könnte man vereinfachend mit der Regierungspartei fragen. Wir haben eben ein Rundfunkgesetz, und in Beachtung der Gesetze geht uns der Herr Bacher nichts an.

Anderseits: Der Herr Bacher ist eine Gefahr für die Demokratie, weil er gleich einem Diktator herrscht und niemandem verantwortlich ist, meint die Opposition — und leichtfertig könnte man ihr auf diesem Weg folgen.

Aber was ist seit 1967 alles geschehen?

Man kann nicht umhin, den heutigen Rundfunk unter der Führung von Gerd Bacher mit dem alten Rundfunk unter den Proporzvorständen zu vergleichen:

9 Es erfolgte die Totalreform in struktureller, organisatorischer und finanzieller Hinsicht. Der Rundfunk wurde zu einem nach modernen Managementsystem wohlorganisierten Unternehmen, das endlich Raum zum Atmen hat.

• Die Informationsexplosion rückte den Österreicher näher an das Geschehen rund um ihn und riß ihn aus seiner Biedermeierlichkeit. Breite Schichten der Bevölkerung, die früher Zeitungen nie in die Hand nahmen, finden nun Gefallen am Wechselspiel in der Demokratie.

• Da ist das Unterhaltungsprogramm — sieht man von einigen regelmäß- gen Umfallern ab — ein wenig angehoben worden, was auch erhebliche kulturelle Aspekte eröffnet.

Das alles sind Fakten, deren Auswirkungen erst langsam spürbar werden; schon wächst von Jahr zu Jahr die Zahl der Wechselwähler — Wähler also, die sich Gedanken über die Politik machen und diese Gedanken auch durch einen Wechsel bei Wahlen zum Ausdruck bringen. Schon zeigen sich Veränderungen in unseren Lebensgewohnheiten, die auch wirtschaftliche Aspekte haben: das Kino, das Gasthaus schlittern in eine Krise, und Sportplätze schließen. Und die Kehrseite der Medaille? Ein ständiger Nivellierungsprozeß formt Bürger zu Sehern. Millionen sehen und hören das gleiche: einen Kommentar, eine Schlußfolgerung, eine Meinung. Intellektuelle und Hilfsarbeiter konsumieren die gleiche geistige Kost, weil die Ausweichmöglichkeiten zu gering sind. Das Individuelle des Zeitungslesens und des Buchkonsums geht weiter verloren.

Das ist es, was uns eigentlich bewegen sollte. Probleme, die in ihrer Tragweite kaum erkannt, geschweige denn bewältigt sind.

Und deshalb war das Rundfunkgesetz nicht allein ein Sprung der ÖVP-Regierung über ihren eigenen Schatten, sondern zweifellos ein Sprung nach vorn.

Aber es ist an der Zeit, aus fast drei Jahren Reform einige Schlüsse und Konsequenzen zu ziehen. Das Rundfunkgesetz sollte kein Tabu sein — und Gerd Bacher kein kleinlicher Komplex.

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