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Unter ihm konnte der ORF plötzlich das zeigen, was er kann, wenn er endlich darf, was er soll. Persönliche Erinnerungen an Gerd Bacher zum 85. Geburtstag.

Man wird vielleicht über meine Freude lächeln, die ich beim Schreiben dieser Zeilen empfand, als ich entdeckte, dass Gerhard Bacher vor 85 Jahren auf einen zweiten Vornamen getauft worden ist: Angelo. Die Freude ist zuerst einmal die meiner bildlichen Vorstellungskraft und speist sich daraus, dass Angelo, wie man weiß, Engel heißt. Der Tiger als Engel: wunderbar! Aber hoffentlich noch sehr lange nicht!

Zum zweiten ist diese Freude herzlich, heißt doch der von mir hoch verehrte Johannes XXIII. ebenfalls Angelo. Mit erstem Vornamen allerdings. Damit der Unterschied deutlich wird.

Trotz unübersehbarer Schattenseiten (deren Betonung in der abendländischen Malerei bekanntlich erst zu wirklich plastischen Gestalten führte) zähle ich Bacher zu den charismatischen Lichtgestalten der 60er und frühen 70er Jahre. Damals war doch zuerst einmal jeder, der nicht gerade den Ewige-Jugend-Nektar der Frankfurter Schule getrunken hatte, ein alter Scheißer.

Die lebhafte Farbe des Selbstbewusstseins

Gerd Bacher war jung - vor allem dem Geiste nach. Als er 1967 sein Büro im Funkhaus in der Argentinierstraße bezog, war die Ära der Apparatschiks und Dienstmantelträger mit einem Schlag beendet. Ihm am Morgen im Aufzug zu begegnen, reichte als Motivationsschub für mindestens eine Woche: dieser offene, wohlwollende, ja, auch fordernde Blick mit diesem kräftigen Guten Morgen!

Mit Bacher zog ins bieder-devote Grau des Holzmeister-Baus die lebhafte Farbe gesunden Selbstbewusstseins. "Ich bitte Sie, sich wieder um einige Zentimeter mehr Brustumfang zuzulegen", verkündete er der Belegschaft. Ohne Coach und Psychotricks verstand er zu motivieren. Es war ein Klimawandel, der alle überraschte. Denn plötzlich konnte das Medium zeigen, was es kann, wenn es endlich darf, was es soll. Mit seinem Lob verstand er es, etwas vom Eros zur Erfüllung des Auftrags und der selbstgesteckten Ziele auf seine Umgebung zu übertragen, mit seinem Missfallen hielt er allerdings ebenfalls nicht zurück. Oft bot es ihm ja die bessere Gelegenheit, seiner überbordenden Sprachkreativität freien Lauf zu lassen. Gerd Bacher ist einer der sprachverliebtesten Menschen, die ich kenne. In Sitzungen seinen oft stundenlangen programmatischen Reden zuzuhören, war - wenn man sich nicht gerade in der Schusslinie befand - eine genussreiche Revue geschliffener Formulierungen und bildhafter Pointen, oft mit Hang zu anschaulichen Superlativen und manchmal auch zu ungerechten Übertreibungen, alles natürlich nur zum Zweck der Verdeutlichung. Seine Redeweise war -und ist ja noch immer ungebrochen - so charakteristisch, als wäre jedes Wort unterstrichen und mit ein bis zwei Rufzeichen versehen.

Gerd Bacher und ich, wir waren in so gut wie allen Dingen, die mir damals wichtig waren (und im Grunde noch heute wichtig sind), unterschiedlicher Meinung. Bachers "Ich bin"-Litanei in einem sich selbst porträtierenden Bekenntnistext hätte ich so gut wie keiner Anrufung (gegen die Friedensbewegung ? für den Papst und gegen die Linkskatholiken ? für Amerika ? gegen das Gratisschulbuch ? für Zwentendorf ? gegen die Liedermacher ? etc.) ein Amen hinzusetzen wollen. Wirklich einig wären wir uns wahrscheinlich nur in der Gegnerschaft zur "Musik in den Fußgängerzonen" gewesen.

Und dennoch: Gerd Bacher ist und war einer der zuhörfähigsten Menschen, die ich kenne. Selbst in kontroversesten Diskussionen hörte und hört er mit größter Aufmerksamkeit zu, ohne bereits während der Worte des Gegenübers die Gedanken bei der eigenen Antwort zu haben. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit ihm - nach einem der häufigen Eklats im Zusammenhang mit der verschrienen Ö3-Sendung Musicbox, in der Zeit der heftigen Zürcher "Jugendkrawalle", 1981, als gewaltbereite Jugendliche mit dem Ruf "Befreit Grönland vom Packeis!" das Eis sozialer Wohlstandskälte mit Äxten zerschlagen wollten. Als ich schließlich in dem erregten Gespräch sagte: "Weil es uns gibt, gibt es in unserem Land keine Zürcher Zustände!", hat er diese kühne Behauptung gelten lassen: "Vielleicht haben Sie recht!" Und es gab die Musicbox noch ein weiteres Dutzend Jahre. Bis sie ein sozialdemokratischer Generalintendant, der sich selber einmal als von der Musicbox sozialisiert bezeichnet hatte, 1994 aus dem Ö3-Programm kippte, weil sie den Kommerzinteressen des Senders im Wege stand.

Gerd Bacher war (und ist vermutlich noch immer, auch wenn er es möglicherweise selber nicht ganz so sieht) sehr viel vom Geiste des Aufklärers Voltaire eigen: "Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst." Für diese zutiefst humanistische Gesinnung zeugt auch, dass er auf Menschen wie Wolfgang Schaffler, den Verlegerpionier der österreichischen Gegenwartsliteratur, gehört hat. Oder auf den Sophokles-Übersetzer Rudolf Bayr. Oder auf André Heller, den liebenswerten Papierblumenzauberer, dem er - einst im Oktober 1967 - über mich ausrichten ließ: "Bei uns heißt man nicht André, sondern meinetwegen Andreas!"

Apropos Papst: In seinem Text "Gerd Bacher über Gerd Bacher" (in dem im Jahr 2000 erschienenen Sammelband "Der Generalintendant") bezeichnet er als das stärkste Erlebnis seines Lebens "die zwei Stunden im Dezember 1983 beim Papst. Ich habe mir damals ein paar Sachen vorgenommen ?".

Was den "Kirchenfunk" betraf - Bacher mochte in diesem Zusammenhang das von mir bevorzugte Wort "Religion" nicht - war er Traditionalist. Inhaltlich maßte er sich keine Zuständigkeit an ("? da bin ich Gott sei Dank nicht Ihr Vorgesetzter"), lehnte aber das allzu verzeihende und "Christentum light" verkündende Gerede ab. Da konnte ich ihm recht geben. "Ich will hören", sagte er einmal, "dass ich in die Hölle komme, wenn ich ?" Da konnte ich ihm nicht recht geben.

Mut zu einer mitteilenden Kreativität

Nachdem sich der Chefredakteur einer großen Tageszeitung bei Gerd Bacher empört beschwert hatte, was denn "ein Filmregisseur" in einer katholischen Morgensendung verloren hätte - Axel Corti hatte zum 50. Todestag von Franz Jägerstätter gesprochen -, verwies ihn Bacher, den ich offenbar in einem langen Telefonat nicht ganz überzeugen konnte, schließlich persönlich an mich: "Der soll dir's selber sagen!"

Ein schönes Zeugnis von Gerd Bachers edler (und im Grunde christlicher) Gesinnung habe ich in dem bereits zitierten Text "Gerd Bacher über Gerd Bacher" gefunden. Es ist sein Bekenntnis zur Freundschaft: "Einem Freund zuliebe Schaden, Nachteil zu erleiden, diese Bereitschaft ist nicht nur Tugend. Das hat viel mit Eigenwürde zu tun, das ist wie Müdigkeit nach dem Bergsteigen, wie das Schwebende beim Fasten, und wie das Tiefatmen in der Angst."

Was ich Gerd Bacher bis heute verdanke, ist jene Ur- und Grundermutigung zum bedingungslosen Einsatz für etwas, das man als sinnvolle Aufgabe erkannt hat. Ist der Mut zu einer mitteilenden Kreativität - auch noch im Alter. Ist jener vitale Optimismus der Tat, wie er für mich auch von einem Johannes XXIII. ausgegangen ist. So groß der Unterschied zwischen den beiden auch sein mag - der Vergleich kommt von Herzen.

* Der Autor leitete 1970-83 die Abt. "Gesellschaft, Jugend, Familie", danach bis 1999 die Abt. "Religion" beim ORF-Hörfunk

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