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Tiger oder Kätzchen ?

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An ORF-Generalintendant Gerd Bacher scheiden sich die Geister. Daran wird sich auch nach seinem 60. Geburtstag gar nichts ändern.

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An ORF-Generalintendant Gerd Bacher scheiden sich die Geister. Daran wird sich auch nach seinem 60. Geburtstag gar nichts ändern.

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Gerd Bacher wird 60. An sich ein erstaunliches Datum. Für ihn gilt, was so schön die Zirkusausrufer sagen: Es ist nicht möglich, an Gerd Bacher vorbeizugehen. Ob in Kampf oder in Frieden, seit mehr als zwei Jahrzehnten können die Maßgeblichen der Innenpolitik — und die Medienmenschen erst recht - an Gerd Bacher nicht vorbei. Sie müssen sich mit ihm auseinandersetzen. Das spricht für ihn.

Gerd Bacher ist ein Kraftbündel. Er weiß das auch, und er ist stolz darauf. Je nach Standort nennen die Kommentatoren das Kraftbündel „immer noch“, „gerade noch“ oder „es war einmal“. Die jeweilige Wortwahl hat nichts mit Freundschaft oder Feindschaft zu tun. Es hängt bloß davon ab, ob man in einer wichtigen Frage mit Bacher verschiedener Meinung ist. Dann kann es passieren, daß der scheinbar kraftlos gewordene Tiger unerwartet Kraftreserven zum Einsatz bringt. Allerdings zeigen die letzten Jahre, er teilt sich solchen Krafteinsatz immer mehr ein.

Zum Tiger hat ihn ein Freund gemacht, der Professor unter den Karikaturisten, Gustav Peichl. Und wie es Freunden zusteht, hat dieser Professor den Tiger Bacher über die Jahre höchst unterschiedlich präsentiert. Nicht immer kraftstrotzend, bisweilen auch bandagiert und manchmal sogar amputiert. Jedenfalls aber ist der Tiger immer wieder aufgetaucht, auch dann, wenn selbst die Freunde meinten, daß er nun endgültig genug hätte. Bisweilen tauchte der Tiger auch auf, wenn alle meinten, er hätte sich rundherum arrangiert und wäre zum Kätzchen geschrumpft.

Der Generalintendant ist für Außenseiter einer jener in Österreich seltenen Typen gewesen, die man nur mit forschem Ja oder klarem Nein zu kennen glaubt. Die Wahrheit ist nicht ganz so einfach. Gerd Bacher kann, wenn es ihm darauf ankommt, nicht nur ja oder nein sagen, sondern unendlich differenziert und mit großer Geduld ein angestrebtes Ziel verfolgen. Das ist dann der wenig bekannte, der stille Bacher. Dann hört man nicht die knallharten Sätze, dann ist weder das deutliche Ja noch das klare Nein zu vernehmen. Dann beginnt der Machtapparat rund um Gerd Bacher zu spielen.

Den Machtapparat hat er in aller Unschuld über die Jahrzehnte aufgebaut, und der umfaßt nicht nur, wie es Außenseiter meinen, die Freunde. In Wahrheit hat Gerd Bacher in diesen Jahrzehnten, trotz Streit mit beinahe allen Mächtigen des Landes, systematisch ein belastbares Beziehungsgeflecht errichtet. Das reicht von Karajan und Kardinal König über manch Mächtigen der ÖVP bis Benya und Sinowatz. Allein dieses Machtgeflecht ist eine Leistung, wie sie wenige in der Zweiten Republik zustande gebracht haben. Nur Hannes Androsch hat mit weniger am Start über die Jahre mehr an Machtpositionen aufgebaut.

Gerd Bacher hat Phasen unterschiedlicher Präsenz, aber auch innerer Bestimmtheit hinter sich gebracht. Wie bei einem Berg gibt es Gesteinsschichten. Gneis und Granit dominieren. Schlieren und Sand findet man auch. Und da und dort in den letzten Jahren auch Risse.

Zuerst trat er als Zeitungsmann auf. Schon damals operierte er aus einem Freundeskreis heraus. Angriffig in seiner Positionierung vom großen Journalisten Cana-val der Nachkriegszeit geprägt, war er nicht nur früh Chefredakteur, sondern auch handelnder Akteur in den Zeitungskriegen der 50er und 60er Jahre. Schon damals empfand er sich nicht so sehr als dienender Journalist, sondern als Stimmführer und Leitartikler. Er beanspruchte vierte Gewalt zu sein im vollem Wortsinn. Er wollte nicht bloß beschreiben, sondern auch tatsächlich verändern. Der Buchmensch Bacher, der Verlagsherr, kennzeichnet die nächste der Stationen.

Bei der Rundfunkreform 1967 war Gerd Bacher bereits eine Forderung. Als es darum ging, den mit außerordentlichen Vollmachten ausgestatteten Generalintendanten zu besetzen, war er eine Bedingung der Zeitungsseite. Gleich wichtig übrigens wie die Beschränkung der Werbezeiten für den so renovierten Rundfunk. Die Zeitungsforderung wurde von den Politikern erfüllt. Das, was als Ära Bacher I zu einem Kapitel Rundfunkgeschichte wurde, begann. Es war zweifellos eine außerordentliche Periode, die in allen Bereichen des Unternehmens, im Hörfunk, im Fernsehen, in der Technik, bei den Bauten, einen radikalen neuen Anfang brachte. Es ist sicherlich unfair, Gerd Bacher an dieser Zeit zu messen, dennoch wird man es immer wieder tun.

Das Ende 1974 durch sozialistische Willkür hat eine Zäsur gebracht. Das daranschließende Zwischenspiel war weniger vom Verlagsherrn Bacher geprägt, als vielmehr von seinem Versuch der Auswanderung. Für den Berater der CDU und des Kanzlerkandidaten Kohl war zunächst der Schritt zum Politiker in Reichweite. Er hat diesen Schritt nicht getan. Ob er das heute bedauert, wird man so leicht nicht herausfinden. Reizen wird ihn das Politische immer. Die Auswanderung nach Deutschland blieb beim Versuch. Der seelische Exkurs in den größeren deutschen Sprachraum führte letztlich nicht zum Verlassen Österreichs.

1978 gelang das Comeback in den Rundfunk. Die Ära Bacher II begann. Sie brachte nicht — und konnte es nicht bringen — die Frische eines neuen Anfangs. Sie war von Anbeginn gezeichnet durch ein Arrangement mit Mehrheitsverhältnissen, die von den Sozialisten in der Folge sogar noch ausgebaut wurden. Die, die ihn noch vor Jahren abgehalftert hatten, wurden nun zum Mehrheitspartner seiner Geschäftsführung. Das ist ein Faktum. Wie er damit umging, zeigt, daß Bacher ein handfester Pragmatiker ist. Für manchen oft zu handfest.

Was macht nun den Mann aus, der solche Phasen, solche Erfolge und solche Mißerfolge hinter sich gelassen hat? Loyalität, Emotion und Dynamik sind wesentliche Konstruktionsprinzipien für ein Ego, das sich selbst nicht aus dem Auge verliert.

Dazu kommt die Selbstverpflichtung und der Hang, stets das Größte zu leisten. Damit kurbelt er aber auch andere an und reißt ganze Unternehmen in die Höhe. Wer jedoch das Größte anvisiert, wird sich ungern von Kritik ablenken lassen. Das ist die Kehrseite seiner Dynamik. Allzuleicht und in den letzten Jahren eher zunehmend, empfindet er Kritik als Behinderung, als Hindernis am Weg. Er, der Kritik im vollen Maße immer austeilt, kennt die Empfindsamkeit, wenn es ihn betrifft.

Die Fähigkeit zur Begeisterung ist auch die Fähigkeit, andere zu begeistern. Die Kehrseite von soviel Emotion ist in der Konsequenz Mißtrauen gegen allzuviel Rationalität. Gerd Bacher lebt von den Früchten der Epoche europäischer Aufklärung. Wahlverwandt ist er eher den Perioden davor, als Herrschen noch eine absolute Sache war.

Dazu gehört der Meister des Wortes und der Uberzeichnung. Genußvoll die eigenen Worte ausspielend, gelingen die plakativen Sager, die auch noch Jahre später Freund und Feind beschäftigen. Allein sein Sprachklang ist so stark, daß manche seiner engen Freunde ihn an den harten Kadenzen seines Sounds erkennen. Klang, Sprachschöpfung und pointierte Polemik sind die Waffen, mit denen er alle seine Schlachten geschlagen hat.

Immer neue Journalistengenerationen bekommen die Aufgabe, Bacher-Portraits zu schreiben. Die entdecken dann die knallharten, oft uralten Bacher-Worte, und so entsteht in immer neuen Varianten, über Generationen hinweg, der Grusel-Bacher. Wie gruselig ist Gerd Bacher nun wirklich? So einseitig kann er nicht sein, wie er oft dargestellt wurde. Das bezeugt seine eigene Erfolgsstory. Auch so makellos, daß die Hommage überfällig wird, ist er nicht. Das beweisen viele Wunden, die er geschlagen hat.

Deswegen ist Gerd Bacher auch mit 60 kein Jubilar, von dem man sich mit nettem Händedrucl^ver-abschiedet. Er ist auch in Zukunft ein Streitfall, der Freund und Feind beschäftigt; etwa in Jahresfrist, wenn wieder einmal die Frage aufgeworfen wird, wer Generalintendant werden soll.

Der Autor, Nationalratsabgeordneter und Mediensprecher der OVP, war Generalsekretär des ORF.

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