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Digital In Arbeit

Weg von der „Magazinitis“

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In der heißen, schlagwortgesättigten Diskussion um die Bildungsfunktion der Massenmedien — jüngst erst ein Thema der Alpbacher Hochschulwochen-Diskussion — gab es ein dankenswert sachliches Gespräch um neue Wegmarken in der elektronischen Informationslandschaft, deren Zukunft auch für Österreich schon angebrochen scheint.

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In der heißen, schlagwortgesättigten Diskussion um die Bildungsfunktion der Massenmedien — jüngst erst ein Thema der Alpbacher Hochschulwochen-Diskussion — gab es ein dankenswert sachliches Gespräch um neue Wegmarken in der elektronischen Informationslandschaft, deren Zukunft auch für Österreich schon angebrochen scheint.

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Der Rundfunk als Hauptträger einer Educatiion permanente (in wünschenswerter Verklammerung des Hör- und Sehfunks) visiert den souveränen Staatsbürger der zukünftigen Lerngesellschaft an: dem Gebot der Dringlichkeit entspricht dabei der aktuelle Dialog von Unterrichtsminister Sinowatz und Generalintendant Bacher über Konzepte und Finanzierung der audiovisuellen Bil-dungsarbeit.

Das langerhoffte und vieldiskutierte Projekt einer Fernsehakademie, Arbeitstitel ORF-Akademie, beginnt

—wie man einem Interview des Un-terrdchtsminisiters entnehmen darf

—reale Konturen anzunehmen. Mittel für ihren Start seien im Bundesbudget vorgesehen, auch hofft man, Kammern, Fach- und Interessenverbände zu mobilisieren. Formal ist einstweilen noch der Status einer Privatschule mit öffentlichkeiitsrecht, staatlich anerkanntem Prüfungssystem und Abschlußdiplom vorgesehen. Man darf wohl annehmen, daß eine der Zielsetzungen der Akademie institutionalisierte Bildumgsarbeit, Lehrprogramme und ein weitgefächertes Angebot der Erwachsenenbildung ist.

In seinem Alpbacher Referat über „Bildung oder Halbbildung durch die Massenmedien“ zitierte Generalintendant Bacher kürzlich prominente Beispiele institutionalisierter TV-Bildungsarbeit: Das Telekolleg im Studienprogramm des Bayrischen Rundfunks (in Österreich wohl am bekanntesten; wer je eine Broschüre des Lehrkursangebotes in Händen hielt, begreift, wie komplex sich die Materie darbietet), die Broadcasting Correspondence High School in Japan, das Chikago-TV-College in den USA und Englands Open University — alle in großzügige Finanzierungskonzepte wohleingebettet.

So liegen auch die zweijährigen Ergebnisse des englischen Experiments Arbeiteruniversität vor, aufgeschlüsselt nach den 800 Absolventendiplomen: Lehrer, Selbständige, Laboranten, Hausfrauen — die anvisierte Zielgmippe Arbeiter fehlt fast.

Da die Fachwissenschaften aber eine Wende von der Massenkommunikation zur Gruppenkomiminikation prophezeien, werden sich zukünftige Modellentwürfe auch danach zu orientieren haben, Lerninhalt und Lernziel dem Trend der Spezialisierung anzugleichen, dem auch die Massenmedien selbst unterworfen sind; die Zukunft der Medien liegt ja auch nicht in der Konkurrenzierung, sondern eher in einer Komplementärfunktion, einem ergänzenden Zusammenspiel im medienspezifischen Terrain.

Modelle, die dem Bildungsauftrag der Massenmedien, dem Trend der Lerngesellschaft folgen, bedürfen allerdings sowohl finanzieller wie konzeptioneller Grundlagen.

So wird die Marktlage für gezielte Bildungsstreifen von den Produzenten nicht so skeptisch beurteilt. Die usuelle Spieldauer von Lehrfilmen für Unterrichtsserien wird im Schnitt mit 30 Minuten eingeplant (wobei 35-mm-Film und 16-mm-Film sich auch für die mehr oder weniger brandneue Bildplatte eignen). Bei landesüblichen Schulsystemen werden für die eigentliche (essentielle) Information 15 bis maximal 20 Minuten vorgesehen, die Restzeit entfällt auf Motivation, Interpretation, Frage und Antwort zwischen Lehrer und Schüler (bzw. Moderator bei lehrerlosen Streifen).

Für Femprogramme, lehrerlose Unterweisung, wird die Didaktik der Stoffdarbietung, die Effizienz des Präsentators zum Kriterium. Interessant ist, daß man für Lehrprogramme, für qualitativ hochwertige Unterrichtsfilme (Mathematik, Klassische Physik, Darstellende Geometrie) für die „Dritte Welt“ etwa eine Aktualität von fünf bis zehn Jahren einkalkuliert. Deutsche Verlagshäuser sehr unterschiedlicher Größenordnung (Westermann, Klett, Bertelsmann) geben Filmserien in Auftrag, wobei sich bereits Verlagspro-flle nach Fachgebieten abzuzeichnen beginnen. Die Ansprüche für diese Vorausproduktionen am internationalen Markt sind jedenfalls sehr groß, wenngleich die Kosten für Spitzenqualität manchmal exorbitant sind! Dennoch wären tragbare Finanzierungskonzepte zwischen Gremien des jeweiligen Kultusministeriums, der Sendeanstalten, der Film-und Verlagsfirmen denkbar; aber auch Verleihmodalitäten (ohne Monopolisierung), die alle Beteiligten befriedigen.

Ein Gespräch mit Gerd Bacher über Struktur und Methodik der Basisprogramme und Modellentwürfe — im Sinne der Alpbacher Initialzündung des Generalintendanten — lassen ein österreichisches Modell erkennen, das auf der Basis allerjüng-ster Informationstechnik beruht. Gemachte Erfahrungen des ORF sind dabei ausschlaggebend. Da gibt es etwa die TV-Dokumentation, und gar erst den unglückseligen Zwitter der Semi-Dokumentation: hier müßte nicht nur dem Kommentar mehr als nur Skelettfunktion zugestanden werden, denn dessen fleischlose Apo-diktik reizt nicht selten nur zum Widerspruch, sondern führt auch zu heillosen Simplifizierungen, öffnet in einer Zeit der Geschichtsblindheit der Halbbildung Tür und Tor. Sprachdifferenzierung und eine flexiblere Methodik müßten wegführen von Journalismen, weg von der international grassierenden „Magazini-tis“. Nicht Verwischen der Medien-spezifika, sondern pluralistische Differenzierung in Methodik und Stil sollte auch im ORF neue Gestaltungsformen inspirieren.

Auch dem Gestalterteam sollte im ORF ein flexibler Freiraum der Phantasie gewährt werden; nur so können neue Formen gefunden und die Kreativität der Gestaltergruppe „dynamisiert“ werden. Nicht nur der Sozialaspekt spricht für langfristigere Bewährungsproben der Programmierer und Gestalter. Wenn man dem umworbenen Hörer einen langwierigen Erziehungsprozeß konzediert, um ihn zum hellhörigen „Souverän“ heranzubilden, warum nicht auch dem Gestalterteam für eine mediengerechte Formflndung? Qualitätsspitze, nur sie zählt im Bereich internationalen Maßstabes, kann nur durch fortschreitende Sensibilisierung, Steigerung des Formempfln-dens, Kritik, erneut verfeinertem Zusammenspiel von Autor, Regisseur, Kameraleuten und Technikergruppe erreicht werden.

Bacher hält dem entgegen, es mangle an kreativen Persönlichkeiten.

Überdies: wie ist das mit der österreichischen Programmprofilierung?

Hat Österreich kein Potential an Persönlichkeiten für „optische“ Kunst — ein Ödland im musikgesättigten Wien? Als Beispiel der Bildkunst würden sich etwa Raritäten anbieten, die in unseren Museen schlummern, die auch aus konservatorischen Gründen in Zukunft immer weniger zu Ausstellungen entsandt werden dürften, Kostbarkeiten der großen Sammlungen, die für den Bildschirm sichtbar gemacht werden sollten. In Zusammenarbeit mit österreichischen Kulturinstituten im Ausland ergäbe sich eine echte Symbiose: das Fernsehen gewinnt Stoff, die Museen erobern breitere Publikumskreise und dem Ausland könnten gelungene Austriaca-Spitzen-produkte geboten werden.

Um echte Bildungsprozesse des Individuums zu inspirieren, müßte das ungeheure Reservoir an kostbarstem Bildungsgut in Museen, Kabinetten, Bibliotheken, Galerien, Musikarchiven, historischen Dokumentationsstätten in neue Darbietungsformen umgegossen werden, die geistesgeschichtliche Einbettung, Grundlageninformation bietet, aber auch Denkimpulse und Kritik aktiviert.

Diese Zukunftsmodelle für das Bildungswesen einer Lerngesellschaft werden freilich kaum ganz wertneutral bleiben können — auch jede Selektion bedeutet strenggenommen Manipulation. Doch gegen die apokalyptische Vision einer uneindämm-baren Programmlawine, einer Informationsschwemme akzentlos aneinandergereihten enzyklopädischen Wissens, die den selektionsunfähigen Konsumenten chaotischer Orientierungslosigkeit überläßt, könnte die utopische Vorstellung einer Informationslandschaft gesetzt werden, der Gestaltstrukturen abzulesen wären, neue, profilierte Gestaltformen, die zugleich Wegmarken setzen.

Wenn in dieser utopischen Bildungslandschaft die Problematik des Lehrermangels in der Bildungsexplosion überwunden, das Brotbedürfnis institutionalisierter Berufsausbildung mit Diplom gesättigt ist, ließen sich sogar multimediale Stimulantien für die Persönlichkeitsbildung der mehr oder weniger frustrierten Freizeitgesellschaft entwickeln — kein Paradies der Manipulierer natürlich, aber von verantwortungsbewußten Pädagogen und Psychologen — ja Philosophen.

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