6776380-1969_24_05.jpg
Digital In Arbeit

„Schatten an der Grottenwand“

19451960198020002020

In dem Artikel „Sachlichkeit durch rotes Licht“ der „Furche“ Nr. 22 hat Dr. Alexander Emmerich für eine durch den ORF frei gestaltete Übertragung aus dem Parlament Stellung genommen. Unser ständiger Fernsehkritiker Josef Toch ist anderer Ansicht. Dem Prinzip der „Furche“ folgend, auch divergierende, ja gegensätzliche Meinungen in und außerhalb der Redaktion zu Wort kommen zu lassen, bringen wir den Beitrag von Josef Toch in vollem Wortlaut, zumal er sehr ernstzunehmende Argumente enthält.

19451960198020002020

In dem Artikel „Sachlichkeit durch rotes Licht“ der „Furche“ Nr. 22 hat Dr. Alexander Emmerich für eine durch den ORF frei gestaltete Übertragung aus dem Parlament Stellung genommen. Unser ständiger Fernsehkritiker Josef Toch ist anderer Ansicht. Dem Prinzip der „Furche“ folgend, auch divergierende, ja gegensätzliche Meinungen in und außerhalb der Redaktion zu Wort kommen zu lassen, bringen wir den Beitrag von Josef Toch in vollem Wortlaut, zumal er sehr ernstzunehmende Argumente enthält.

Werbung
Werbung
Werbung

Was wäre, wenn die Gesetze nicht im vom Parlament festgelegten Wortlaut, sondern als Unterhaltungslektüre von Romanciers interpretiert und verfaßt und von einem Privatverlag herausgegeben werden würden? Sie wären bestimmt amüsanter und kurzweiliger und würden sich daher wahrscheinlich größerer Popularität erfreuen. Nur eines wären sie dabei leider nicht: authentisch. Zufolge ihrer belletristischen Gestaltung könnte sie jeder auslegen, wie er wollte, und das Ende davon wären Anarchie und Chaos. So ist es auch im Zeitalter der Public Relations und angeblich publizistischer Effizienz manchen beigekommen, daß man das Parlament popularisieren könnte, indem man die in der Tat höchst langweiligen von den Parteien gestalteten Übertragungen der Parlamentsverhandlungen dem Rundfunk zur freien Gestaltung überläßt.

Nun gehört aber das Parlament — so wie die Gesetze — zu jenen Einrichtungen, die wegen ihrer Bedeutung und Funktion nicht ohne weiteres und ohne Gefahr für die Nation von jedermann dargestellt und interpretiert werden können. In den Verhandlungen des Parlaments wird das politische Schicksal unseres Volkes ausdiskutiert, bestimmt und gelenkt. Wie dm geschieht, mag uns manchmal nicht gefallen, noch mögen wir immer mit denen, die es tun, zufrieden sein. Ihre und andere Unvollkommen-heiten und Schwächen unseres politischen Systems zu verbessern, muß unser aller Bestreben sein. Dazu bedarf es unaufhörlicher Kritik mit Hilfe der uns dafür zur Verfügung stehenden Mittel: politische Parteien, Organisationen aller Arten, die Presse. Und auch der Rundfunk. Wie jedes andere Ausdrucksmittel soll er auch der politischen Auseinandersetzung dienen. Kritiker, Kommentatoren und Politiker aller Richtungen und Meinungen sollen dort zu Wort kommen. Das ist aber ganz etwas anderes, als wenn der Rundfunk es unternimmt, den wichtigsten Prozeß unserer politischen Willensbildung selektiv und interpretierend nachzugestalten und dem Publikum als authentisches Gesamtabbild zu vermitteln. Wenn er das tut, erhebt sich der Rundfunk über das Parlament. Dieses kommt durch die Wahl des gesamten Volkes zustande. Die personelle und gestalterische Struktur des Rundfunks ist zufällig, seine politische weit unter der des Parlaments stehend. Es geht jedoch nicht nur um den Anspruch.

Wenn der Rundfunk dem Publikum ein von ihm gestaltetes und als total präsentiertes Abbild der politischen Willensbildung vermittelt, beeinflußt er diese selbst damit. Durch die „Übertragung“ der Aufnahmen auf das Publikum werden bei diesem bestimmte Vorstellungsbilder von den Abgeordneten, den Verhandlungen und dem in seiner Gesamtheit unübertragbaren parlamentarischen Prozeß hervorgerufen. Selbst wenn wir annehmen, daß kein Kameramann, kein Regisseur, kein Redakteur eine solche Gelegenheit benützen wird, um das also entstehende Vorstellungsbild zu manipulieren, ist dessen Zustandekommen also von den wildesten Zufälligkeiten und subjektiven Faktoren abhängig. Wenn ein Unterhaltungsfilm oder die Übertragung eines Boxkampfes durch einen Millimeterfehler bei den Einstellungen verhaut wird, ist dms kein nationales Unglück. Wenn jedoch durch so etwas in der Vorstellung der Fernseher aus einem feurigen Debatter der Opposition ein saurer Zelot und somit aus seiner Partei eine Partei von Zeloten wird, dann kann das sehr wohl zu einem nationalen Unglück führen.

Man wird einwenden, daß die Parlamentsberichterstattung durch die Presse wahrlich nicht frei von parteiischen und subjektiven Verzeichnungen ist. Hier gibt es aber wesentliche Unterschiede. Die Berichte einer Zeitung kann ich mit denjenigen anderer Zeitungen vergleichen und mir so mein eigenes Bild schaffen. Bei den Fernsehübertragungen bin ich auf den ORF angewiesen, er hat dafür das Monopol. Doch selbst in jenen Ländern, in denen es mehrere Rundfunkgesellschaften nebeneinander gibt, gestattet man nicht, die Parlamentsverhandlungen zu übertragen. Aus Verhandlungsberichten des „Parlaments der Parlamente“, der Interparlamentarischen Union, geht hervor, daß hierin überall die gleiche Meinung herrscht. Ihr zufolge ist insbesondere das Fernsehen ungeeignet, ein echtes Bild vom parlamentarischen Vorgang zu vermitteln, und zwar deshalb, weil es als ein visuelles Medium ugett stärker Gefühlseindrücke verursacht als solche des Verstandes. *

In dem jüngst in der ,furche“ erschienenen Artikel von Alexander Emmerich zugunsten der Übertragungen wurde insbesondere die Begründung hervorgehoben, welche Präsident Maleta für das den Rundfunkleuten gegebene Grünlicht für die Übertragungen angeführt hat. Sie lautet dem Sinn nach: In den anderen Ländern gibt es keine Übertragungen. Weil es aber bei uns bereits die von den Parteien gemachten und als unzulänglich erkannten Übertragungen gegeben hat, müsse man nun dem Rundfunk selbst eine Chance dafür geben. Neben diesem Argument läuft in Emmerichs Artikel ein weiteres: „Das durch das Rund-funkuolksbegehren durchgesetzte Prinzip des vom leistungshem-menden Parteienproporz unabhängigen Rundfunks kann nun folgerichtig auch auf die Parlamentsberichterstattung angewendet werden.“ Beide Argumente gehen an zwei wichtigen Umständen vorbei: 1. Auch in Österreich wäre es aus den gleichen Gründen wie im Ausland zu keinen Übertragungen aus dem Parlament gekommen, wenn es damals nicht im Parlament die Koalition und im Rundfunk den Parteienproporz gegeben hätte. Darauf und auf die Gestaltung der Übertragungen durch die Parlamentsparteien gestützt, glaubte man die anderswo erkannten Gefahren vermeiden zu können. Und mit Recht. Man hat die Gefahr vermieden — freilich um den Preis, daß die Übertragungen unmöglich langweilig und offiziös wurden. Festzuhalten ist jedoch, daß es ansonsten überhaupt keine Übertragungen gegeben hätte. Nicht einmal dem vom Parteiproporz dirigierten Rundfunk hätte man sie anvertraut. Somit ist es gar nicht folgerichtig, wenn man sie nun einem Rundfunk anvertraut, auf den das Parlament keine Ingerenz bezüglich der Gestaltung der Übertragungen besitzt. 2. Parlament und Rundfunk können nicht gleichgesetzt oder gar der Rundfunk, wie das durch die Gestaltung eines als vollgültig arrogierten Abbilds der Parlamentsverhandlungen geschieht, über das Parlament gesetzt werden. Zudem: der Rundfunk hat sich unter dem neuen Regime zwar frei vom Parteien pr o-porz, nicht aber von Parteilichkeiten gezeigt. So war erst unlängst die Interpretation der Übertragungen vom ersten Wahlgang um die französische Präsidentschaft merklich von gaullistischen Sympathien durchwärmt. Und dies in einigem Widerspruch zu in den Übertragungen ermittelten Meinungen französischer Kommentatoren. Sei's darum. Daran wird die Zweite Republik noch nicht zugrundegehen. Und es ist mit der Preis, den wir für die Rundfunkreform, derer es dringend bedurft hat, zahlen müssen. Die Frage ist, wessen der Rundfunk nunmehr bedarf. Zunächst wohl der Enthebung von einiger Willkür und Anmaßung. Zum Beispiel von dem Glauben, daß die Schatten der hinter dem Feuer isitzenden Männer an der Grottenwand ebensosehr Wirklichkeit seien wie die Männer selbst. Will heißen: Die Zweite Republik bedarf des Parlaments und seiner vor jeder Anmaßung gesicherten Willensbildung. Dem zuliebe ist sogar ein Rundfunkrezensent bereit, auf Übertragungen zu verzichten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung