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Aus dem Parlament

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„Was anderes ist's, Gesetze willig achten — Man kann die Welt auch bürgerlich betrachten“, sagt Christian Morgenstern. So geht's auch ■mit der ebenso diskutierten Frage der Übertragungen aus dem Parlament durch das Fernsehen. Wobei weder von den Politikern noch von den Rundfunkleuten das Wesentliche an der Sache bisher berührt wurde. Die bisher von den Parteien gestalteten Übertragungen sind in ihrer steifleinernen Offiziosität undis-kutierbar: darüber sind sich alle einig, außer vielleicht Dr. Pittermann, der sie grimmig verteidigt.

Und dies vielleicht mit mehr Recht, als er selber bisher geltend zu machen verstanden hat. Natürlich könnte man sich diese Übertragungen, von Leuten mit dramatischem und journalistischem G'spür gestaltet, anders vorstellen. Nur kommt es gar nicht darauf an. Es geht in der Tat darum, ob irgend jemand in Österreich — der Rundfunk miteingeschlossen — dazu legitimiert ist, diese Sendungen zu „gestalten“. Das Parlament ist nämlich nicht irgendeines der für Übertragungen geeigneten Objekte. Es ist keine Skimeisterschaft, kein Schauspiel und keine Revue. Und es ist auch viel mehr als die Arena, in der die Matadoren der Politik ihre Kämpfe mehr oder weniger dramatisch austragen. Das Parlament ist — es mag ein bißchen bombastisch klingen — der Ort, an dem die Essenz unseres politischen Seins destilliert wird. Die damit verbundenen Vorgänge bilden das wichtigste der Verfahren, durch welche das politische Schicksal unseres Volkes demokratisch ausdiskutiert, bestimmt und gelenkt wird oder werden sollte. Wie das geschieht, mag uns oft nicht als der Weisheit letzter Schluß erscheinen. Auch mag es zuweilen schwerfallen, sich mit jenen, die das dort besorgen, den von uns zwar gewählten, aber nicht aus gewählten Vertretern, zu identifizieren. Doch eben ist das Parlament mit all diesen und anderen Unvollkommen-heiten und Schwächen Brenn- und Widerspiegel der politischen Entwicklung und Ansprüche unseres Volkes. Es obliegt jedem Bürger im 'Staate, die Vollziehung der Politik durch einzelne Mandatare oder ganze Parteien oder alle Parteien zusammen zu kritisieren. Dazu stehen ihm die Meinungsträger zur Verfügung, denen er sein Vertrauen schenkt — seine besondere Partei oder die Zeitungen, die er vorzieht- Wie ist das aber mit dem Rundfunk?

Worin unterscheidet er sich — insbesondere in Österreich — grundsätzlich von allen übrigen Meinungsträgern? Vor allem durch eines: Er hat auf seinem Gebiet ein Monopol. Ihm stehen keine anderen Rund-funkgesellschaften gegenüber, die seine Darstellung — zum Beispiel — der Vorgänge im Parlament durch die ihrige ergänzen, korrigieren oder in Frage stellen können. Können wir daher dieser Einrichtung mit ihren mehr oder weniger zufällig Angestellten das Recht einräumen, als einziger und oberster Richter in diesem besonderen Medium über das höchste Gremium unserer politischen Willensbildung zu walten und diese damit auch letzten Endes über das Publikum zu beeinflussen? Jegliche Art von Gestaltung beinhaltet subjektiv motivierte Auswahl und Darstellung von Blickwinkeln. Es wird eingewendet: Das Parlament könnte die Erlaubnis zur Gestaltung der Übertragungen durch den ORF zurückziehen, wenn dieser sich nicht als genug befähigt erwiese. Wer jedoch ist in diesem Fall das Parlament? Letzten Endes immer die jeweils vorherrschende Mehrheit. Das ist, was die Gesetze und die Politik betrifft, durchaus in Ordnung. Was anderes ist's aber mit der Darstellung aller politische n Vorgänge im Parlament: Sie sind ein objektives Votum. Und hier muß der Bürger die Chance haben, verschiedene Darstellungen kennenzulernen und gegeneinander abzuwägen. Beim Rundfunk hätte er diese Chance nicht, die übrigen Medien, wie Presse usw., können nicht als gleichwertige und voll wirksame Korrektive angesehen werden.

Es dürfte kein Zufall sein, daß bisher in keinem Land der Welt die Übertragung der Verhandlungen im Parlament als ein regelmäßig wiederkehrender Programmpunkt des Rundfunks zugelassen worden ist. Dies nicht einmal in Ländern mit nebeneinander wirkenden privaten Rundfunkgesellschaften. Es scheint, daß dem parlamentarischen Prozeß an sich zu große Bedeutung beigemessen wird, als daß man seine Darstellung Einrichtungen überließe, deren personelle Zusammensetzung von anderen und qualitativ niedrigeren Faktoren bestimmt wird als durch die Wahl des gesamten Volkes

— wie dies beim Parlament der Fall ist.

Wie aber gelangt man — im Hinblick auf die offensichtliche und natürliche Unfähigkeit des Parlaments, Übertragungen selber zu gestalten — trotzdem zu einer für alle Teile — Parlament, Publikum und Rundfunk

— erträglichen Lösung? Dies könnte in einem besonderen Vertragsverhältnis zwischen Parlament und Rundfunk liegen. Demnach könnte das Parlament den Rundfunk beauftragen, die Übertragungen zu treuen Händen für das Parlament zu gestalten; hierbei würde dem Parlament oder, präziser gesagt, dessen Präsidialkonferenz, die oberste Aufsicht über die Sendungen vorbehalten bleiben.

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