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Sachlichkeit durch rotes Licht?

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Ein Wendepunkt in der Geschichte der Pariamentsberichierstat-tung oder nur ein zeitweiliges Experiment? Die Frage bleibt, auch nach der Premiere der freien TV-Berichterstattung aus dem Österreichischen Nationalrat am 21. Mai, vorerst hoch unbeantwortet. Die Standpunkte der Parteien sind bekannt: Die Reglerungspartei, seinerzeit Befürworter des.Rundfunk-Volksbegehrens, ist der Meinung, daß das damals durchgesetzte Prinzip des vom leistungshemmenden Parteienpropott unabhängigen Rundfunks folgerichtig auch bei der Parlamentsberichterstattung angewendet werden muß.

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Ein Wendepunkt in der Geschichte der Pariamentsberichierstat-tung oder nur ein zeitweiliges Experiment? Die Frage bleibt, auch nach der Premiere der freien TV-Berichterstattung aus dem Österreichischen Nationalrat am 21. Mai, vorerst hoch unbeantwortet. Die Standpunkte der Parteien sind bekannt: Die Reglerungspartei, seinerzeit Befürworter des.Rundfunk-Volksbegehrens, ist der Meinung, daß das damals durchgesetzte Prinzip des vom leistungshemmenden Parteienpropott unabhängigen Rundfunks folgerichtig auch bei der Parlamentsberichterstattung angewendet werden muß.

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Die Freiheitlichen haben keinen Grund, sich der freien Berichterstattung und damit der größeren Publizität der Sitzungen zu widersetzen, denn sie kommen dabei selbst dann, wenn der Rundfunk sich bemüht, die Parteien nach ihrer Mandatsstärke zu Wort beziehungsweise aufs Bild kommen zu lassen, auf jeden Fall über den ihnen zustehenden Prozentsatz hinaus. Schließlich die Sozialisten: Sie führten von Anfang an einen Stellungskrieg gegen. den reformierten Rundfunk, wobei ihre Behauptung, Generalintendant Bacher und Nachrichtenchef Dalma seien Befehlsempfänger des ÖVP-General-sekretariates, wahrscheinlich' als Denkzettel zu verstehen ist, mit dem sie den Rundfunk zur besseren Berücksichtigung der SPÖ veranlassen wollen. Eine ähnliche Taktik scheinen sie auch in der Frage der Fernseh- und Hörfunkübertragungen zu verfolgen. Sie lehnen die freie Berichterstattung hauptsächlich mit der Begründung ab, die Rundfunkleute würden die ÖVP begünstigen Vielleicht wollen sie damit nur erreichen, daß der Rundfunk zum Beweis seiner Unabhängigkeit nun eher sie begünstigt. Die beiden SPÖ-Alhgeord-neten Broda und Gratz schireiben in ihrer jüngst erschienenen Broschüre „Für ein besseres Parlament — für eine funktionierende Demokratie“, Teilübertragungen gäben ein falsches Bild vom wirklichen Geschehen im Parlament, daher meinen sie: entweder vollständige Übertragungen der Sitzungen, was auch sie für unmöglich halten, oder 'aber gar keine.

Die Hauptursache dieses Meinungsstreites schien inzwischen fast in Vergessenheit geraten zu sein. Es war der Präsident des Nationalrates, Dr. Maieta, der auf diesen Ausgangspunkt der Auseinandersetzungen um die freie Parlamentsberichterstattung mit allem Nachdruck hingewiesen hat: Die bisherige Praxis, wonach die Parteien selbst die Rundfunkübertragungen aus dem Parlament redigierten und kontrollierten, hat sich als unzulänglich erwiesen. Das Publikum lehnte diese bisherige Art der Übertragungen ab. Nachdem es aber in der Zweiten Republik Rundfunkübertragungen aus dem Parlament immer schon gegeben hat, wäre der Ubergang zur Praxis des englischen Parlamentes, wo bekanntlich keine Rundfunkübertragungen stattfinden, nicht gerechtfertigt gewesen, ohne daß der von der Rundfunkleitung gebotenen Alternative nicht vorher eine Chance geboten worden wäre.

Präsident Maleta hat also der letztlich fruchtlos gewordenen Diskussion gemäß seiner alleinigen Verfügungsgewalt und Verantwortung ein Ende bereitet und damit ein interessantes Experiment ermöglicht. Er hat auch den dafür notwendigen Rahmen geschaffen, innerhalb dessen die Rundfunkberichterstatter frei arbeiten können:

• Während der Aufnahmen macht das Leuchten eines roten Lämpchens auf der Stirnseite des Sitzungssaales die Abgeordneten darauf aufmerksam, daß die Fernsehzuschauer und Radiohörer Zeugen des Geschehens sind;

• es ist sinmvollerweise auch für einen gewissen, freilich nicht restlosen Parteienproporz Sorge getragen worden, wie man es auf Grund der beiden ersten Übertragungen annimmt

Was hat Präsident Maleta veranlaßt, diesem Experiment freie Bahn zu geben? Sein Hauptanliegen war, wie er es in einem Pressegespräch ausdrückte, im Interesse des besseren Verständnisses der parlamentarischen Demokratie ein echtes Bild von der Arbeit des Parlamentes, vom Werdegang eines Gesetzes und der Mitwirkung der Abgeordneten, zu geben. Diesem Ziel soll eine wohldurchdachte, übersichtlich, frei und interessant gestaltete Berichterstattung dienen.

Die ersten beiden Tage haben bereits gezeigt, wie die Rundfunkleute dabei ans Werk gehen. In einem einleitenden Kommentar wurde der Gegenstand der gerade laufenden Debatte kurz dargestellt. Es folgten Einblendungen von Debattenreden. Die einzelnen Standpunkte wurden, unter möglicher Vermeidung rhetorischer Floskeln, einander gegenübergestellt. Auf den Angriff folgten Verteidigung und Gegenangriff; in diesen ersten Tagen nahmen die „dringlichen Anfragen“ an Regierungsmitglieder den breitesten Raum in der Berichterstattung ein, die naturgemäß scharfe Polemik und dramatische Auftritte mit sich brachten und dem sonst eher faribJoseren parlamentarischen Alltag insofern nicht ganz entsprachen. Aber die zunehmende Aufheizung der Atmosphäre entspricht der zeitlichen Nähe des Wahlkampfes, und es ist nicht zu beweisen, daß die Stimmung ohne die Anwesenheit der Mikrophone und der Fernsehkameras friedlicher gewesen wäre.

Ein abschließendes Urteil über das Experiment zu fällen, wäre selbstverständlich noch verfrüht. Die Sozialisten zeigten sich unzufrieden, aber vielleicht nur deshalb, weil auch sie bemerkt haben mußten, daß ihre „dringlichen Anfragen“ und der forciert polemische Ton der Reden und Zwischenrufe zu den ruhig und überzeugend argumentierenden Regierungspolitikern einen gar zu starken Kontrast bildeten und diesen nicht unbedingt überlegen waren. Wird am Ende die freie Panlaments-ülbertragung wider Erwarten zu einer sachlicheren Atmosphäre der Sitzungen beitragen? Es wäre ein überraschendes, ganz und gar erfreuliches Ergebnis.

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