ORF-Chance liegt im Netz

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Der ORF hat, meint Medienwissenschafter P. Bruck, strukturelle Probleme. Das Unternehmen braucht Werbung, Gebühren sowie einen neuen Auftrag.

Nein, es ist nicht gescheit, dem Pessimismus, den ORF würde es bald nicht mehr geben, zu frönen; nein, es ist weiters auch nicht gescheit, in der Werbefreiheit eine anstrebenswerte Lösung für die Zukunft des ORF zu sehen. Aber ja, es ist Bürgerrecht und Bürgerpflicht für einen erneuerten ORF das Wort und die Initiative zu ergreifen.

Wie in der letzten Ausgabe der FURCHE zu lesen, kann man stundenlang über das "Was und Wie" des ORF diskutieren und die gegenwärtige Finanzmisere zum Anlass nehmen, Argumente auszugraben, die entweder resignativ oder in sich selbst widersinnig sind.

Faktum ist: Österreich ist ein kleines Land in einem großen deutschen Sprachraum, ein kleiner Werbemarkt mit einem klar begrenzten Volumen. Jeder Vorschlag zur Abschaffung von Werbung im ORF ist ein Totengräberdienst an der einzigartigsten Medieninstitution, die Österreich in moderner Form im Kulturraum präsent macht. Denn die Realität für den ORF im Lande ist doch die: Vom ORF wird erwartet, dass er Breitenwirkung hat und auch Unterhaltung für Familien und die Bürgergesellschaft anbietet.

Kulturelle Versorgung kostet

Dies ist eine kulturelle Grundversorgung, die zu hoher Qualität anzubieten auch entsprechend kostet. Wer die Kalkulation dafür gemacht hat, weiß, dass es eine Verdoppelung der ORF Gebühr brauchen würde, um das zu finanzieren.

Argumente, dass das ORF Programm "besser" werden würde, wenn der mit der Werbefinanzierung einhergehende "Quotendruck" wegfiele, übersehen zweierlei: Erstens, der Druck, Reichweite zu erzielen, lastet auch auf einem gebührenfinanzierten Rundfunkanbieter, nur wird er nicht über den Tausenderpreis der Werbeagenturen ausgeübt, sondern unter dem Legitimationsdruck einer sehr schnell als "Zwangsabgabe" denunzierbaren Pflichtgebühr.

Strukturen behindern

Zweitens, das ORF Programm hat nicht deswegen eine abnehmende Zustimmung, weil der Quotendruck so hoch ist, sondern weil Strukturprobleme hindern, die Governance nicht passt und das Zukunftskonzept fehlt.

Beginnen wir jedoch bei den Erfolgen: Die ORF Radioprogramme sind bestens gelungen: Ö1 ist Kult für eine Schicht von Bildungsbürgern und Altersklassen, die mit dem Begriff wenig anfangen können, aber sehr genau wissen und fühlen, ob ihnen etwas als tägliche Informationsquelle, abendliche Inspiration und wochenendliche Geisteserquickung richtig passt. Am anderen Ende des Alters- und Geschmacksspektrums hat FM4 einen ähnlichen Status unter jungen Leuten erreicht. Das wird eine Weltoffenheit und Blutfrische gezeigt, die nahezu alle Österreichvorurteile Lügen straft. Man blicke nur auf das FM4 FREQUENCY Festival. Da wird jährlich am Salzburgring Unvergesslichkeit geschaffen und Jugendkultur ohne totalen Kommerz praktiziert. Der ORF ist mit Ö1 und FM4 nicht Programmanbieter alleine, er ist Plattformanbieter für Leute, die sich vernetzen. Auf diese Funktion wäre viel mehr zu setzen!

Ö3 spielt ebenso diese Rolle, aber mit mehr Flachheit und damit auch mit mehr Reichweite. Und auch hier ist klar: Ö3 muss es geben, damit nicht aus jeder Blödelei Blödsinn wird, nicht aus Reichweite Hirnlosigkeit und Käuflichkeit und aus dem Mainstream-Pop reine Vermarktung für globale Plattenlabels. Ja, es sollte mehr Ö-Inhalte geben, eine bessere Vernetzung mit TV etc. - aber da sind wir wieder bei den drei Punkten: Strukturprobleme, Governance und Zukunftskonzept. Zu jedem dieser drei nun ein Argument von vielen, um nicht zu langweilen:

Strukturproblem: Die Personalkosten des ORF sind enorm, die Reformchancen gering, die Inflexibilität ist groß. Hier geht es um Macht und Rechtsfragen. Die Anstellung der freien MitarbeiterInnen vor vier Jahren war eine teure Schutzmaßnahme vor einer befürchteten Sammelklage; die Auswirkungen davon für den ORF als programmproduzierende Organisation sind mehrfach schlecht: höhere Kosten, weniger Flexibilität; mehr Betriebsregeln, weniger Kreativität. Hier braucht es neue Ansätze.

Governance: Die ORF Gesamtsteuerung wird durch die Abhängigkeit der Schlüsselpersonen von externen Interessen in einer Krise gehalten. Gegen den Parteieneinfluss zu polemisieren, ist billig und ergebnislos; gescheiter ist es, sich Konstruktionen anzusehen, wo die Governance offensichtlich funktioniert und Spitzenleistungen im öffentlichen Interesse erbracht werden. Sie brauchen ein Beispiel? Nehmen wir das WIFO. Bei der Wirtschaftspolitik geht es auch um die handfesten Interessen in unserem politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen System. Das WIFO segelt hart an den innenpolitischen Winden und kreuzt öfters erfolgreich gegen sie an. Das Kriterium zu wissen, ob Governance funktioniert, sind der Mut und die Entschlossenheit, mit der Neuerungen entwickelt und umgesetzt werden.

Zukunftskonzept: Debattenbeiträge, ob ORF 1 privatisiert gehört oder nicht, gehören auf den Misthaufen der Medienpolitik. Der Bezugsrahmen dieser Beiträge ist aus dem letzten Jahrhundert und geht an den Herausforderungen einer digitalen Medienzukunft vollkommen vorbei.

Jugend ist im Netz

Wichtiger ist die Beobachtung, dass Fernsehen grundsätzlich zuschauermäßig veraltert. Junge Leute schauen kaum fern, sie hängen hauptsächlich im Netz. Im ORF wurde dies schon als trimediale Realität erkannt, aber es fehlt an Initiative und der entsprechenden Radikalität. Da ist die BBC schon sehr viel weiter, wo TV Formate im Netz ausprobiert werden, und dann vom Web ins TV migrieren können. Hier rührt sich beim ORF grässlich wenig.

Richtig liegt der ORF aber bei dem Punkt, dass "öffentlich-rechtlich" in Zukunft klarer und unabhängig vom Medium definiert werden muss. Die von der ORF Führung gesetzte Public Value Initiative geht hier völlig in die richtige Richtung, heißt aber auch in der Konsequenz, dass die ORF Inhaltepräsenz im Netz zentraler Angelpunkt für die Erfüllung des Mandats sein müsste. Denn da liegt die Zukunft. Und das braucht einen neuen Programmauftrag.

Der Autor ist Kommunikationswissenschafter in Salzburg und Wien (Internet-Technologien und Neue Medien). Er initiierte mit der UNO Wettbewerbe für qualitätsvolle Multimedia-Inhalte und innovative Anwendungen.

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