"Ziemlich gnadenlose Maßstäbe"

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Die ORF-Generaldirektorin über die Macht der Bilder, die Notwendigkeit des behutsamen Umgangs mit dem Weisungsrecht, das weite Feld anspruchsvoller Fernsehprogramme, den Lebenshilfecharakter von "Julia" und "Vera" und über Religion im ORF.

die furche: Wie geht es Ihnen nach den ersten zehn Wochen in Ihrem Job? Haben Sie sich ihn so vorgestellt?

monika lindner: Dadurch, dass ich fast zehn Jahre in diesem Stockwerk gearbeitet und im Vorzimmer der Macht gedient habe, habe ich schon ungefähr gewusst, was die Position des Generalintendanten bzw. -direktors beinhaltet. Ich kann nicht sagen, dass ich sonderlich überrascht wäre.

die furche: Wieviel Macht hat ein ORF-Generaldirektor?

lindner: Man ist alleinverantwortlicher Geschäftsführer eines 13-Milliarden-Unternehmens, und damit ist Macht gleichzusetzen mit Verantwortung.

die furche: Wieviel Macht hat der ORF?

lindner: Das bestimmt er ja nicht selber, das bestimmen immer die anderen: Wieviel Macht wird ihm zugerechnet? Der ORF erreicht durch TV und Radio sehr viele Menschen - und daher wird ihm eine gewisse Macht attestiert.

die furche: Was assoziieren Sie mit der "Macht der Bilder"?

lindner: Zuallererst das Bild des Flugzeugs, das in den einen Twin-Tower hineingekracht ist. Da jagt es mir heute noch kalte Schauer hinunter, wenn ich daran denke. Die Macht dieses Bildes war, dass die gesamte Weltöffentlichkeit den Atem angehalten hat. Das Bild der nackten Gewalt, der Aggression, der Zerstörung - das entwickelt eine Eigendynamik. Generell wird die Macht der Bilder immer wieder unterschätzt, sowohl von den Machern als auch von den Konsumenten. Von den Machern deshalb, weil sie sich oft nicht im klaren sind: "Was heißt das Bild, das ich übertrage?". Es macht z.B. einen Unterschied, ob sie bei einer Diskussion den Menschen, der spricht, in der "Totalen" zeigen, ob sie mit der Kamera näher gehen, ob sie nur auf seine Hände gehen etc. Sie entblößen diese Persönlichkeit.

die furche: Das neue ORF-Gesetz hat Ihnen mehr Macht gegeben, Sie haben im Unterschied zu Ihrem Vorgänger ein Weisungsrecht gegenüber der Redaktion. Haben Sie davon schon Gebrauch machen müssen?

lindner: Nein.

die furche: Wie haben Sie vor, dieses Recht in Anspruch zu nehmen?

lindner: Vorsichtig. Ich sehe dieses Weisungsrecht in erster Linie als eine Beendigung des Zustandes, dass jemand sich beim Generalintendanten beschwert und der Generalintendant sagt "Wunderbar, nur leider: Ich nicht, die da unten". Ich glaube schon, dass es zur Ausstattung eines Generaldirektors gehört, dass er etwas mitteilen und notfalls auch anschaffen kann.

Die Programmintendanten im alten Rundfunkgesetz waren ja weisungsungebunden. Wenn der Generalintendant also nicht kraft seiner Persönlichkeit sich den nötigen Respekt verschafft hat, konnte ihm der Intendant sagen: "Ist in Ordnung, ich höre mir das gerne an, aber es hat überhaupt keine Wirkung." Insofern macht das Weisungsrecht Sinn, es macht nur die Position des Generaldirektors nicht leichter. Daher würde ich sagen, man soll das wirklich nur dort einsetzen, wo Gefahr im Verzug ist.

die furche: Erwin Zankel hat Ihnen in der Kleinen Zeitung ins Stammbuch geschrieben, die Feldherrin müsse sich vor ihre angegriffene Truppe stellen. Sehen Sie sich so?

lindner: Erstens braucht mir keiner etwas ins Stammbuch schreiben, weil ich keines habe und mir auch nicht eines anzuschaffen gedenke. Zweitens ist selbstverständlich ein Chef, eine Chefin dazu da, um sich vor die Mitarbeiter zu stellen. Ich würde sogar sagen, auch dann, wenn die Mitarbeiter nicht Recht haben. Das kann aber nicht so weit gehen, dass die Chefin als Geisel genommen wird und für alles den Schädel hinhalten muss. Ich werde mir sicher immer die Freiheit herausnehmen, der Mannschaft zu sagen, was ich wirklich davon halte. Es gibt ja auch Dinge, die wohl noch erlaubt sind, sich aber trotzdem nicht gehören.

die furche: Haben Sie das schon erlebt in dieser kurzen Zeit?

lindner: Ich weiß ja genau, worauf Sie hinauswollen - Sie meinen die Affäre Hanno Settele. Da läuft im Moment ein Verfahren, und wenn das beendet ist, werden wir wissen, wie wir dran sind. Wie ich zu dieser Geschichte stehe, weiß Herr Settele - ich werde ihm das nicht über die Zeitung noch einmal ausrichten lassen; aber es war kein wirklich erbauliches Vorkommnis, noch dazu am dritten oder vierten Tag, nachdem ich hier eingezogen bin. Die Maßstäbe, die hier auf der Stelle angelegt wurden - sowohl intern als auch extern -, die waren jedenfalls ziemlich gnadenlos.

die furche: Das neue Gesetz verlangt, dass sich im Hauptabend auch ein anspruchsvolles Programm befinden soll. Was heißt das für Ihre Pläne?

lindner: Dass man sich jeden Hauptabend sehr genau anschauen muss, wiewohl natürlich der Begriff "anspruchsvoll" sehr breit gefächert ist. Ich habe da zumindest im Vorfeld der Diskussion den Musikantenstadl genauso gehört wie österreichische Serien, etwa Julia, und daher denke ich, dass wird damit kein Problem haben werden.

die furche: Was wäre beispielsweise nicht anspruchsvoll?

lindner: Das weiß ich nicht.

die furche: Dann ist die Bestimmung aber sinnlos.

lindner: Ich habe die Bestimmung ja nicht gemacht. Aber ich glaube, dass man bei so manchen Kaufserien der Meinung sein kann, dass das nicht wirklich anspruchsvoll und daher verzichtbar ist. Man sollte schauen, dass man Programme ansetzt, von denen man sagen kann "Das bringt mich schon weiter". Um bei Julia zu bleiben: Es ist ein gutes Buch, da sind durchaus Situationen drinnen, die auf eine sehr kluge Weise gelöst werden. Solchen Serien kann man durchaus auch eine Art Lebenshilfecharakter zusprechen.

die furche: Hilft Vera auch weiter?

lindner: Mitunter schon.

die furche: Sie haben auch gesagt, das Programm müsse österreichischer werden. Was stellen Sie sich darunter vor?

lindner: Ich habe hier in erster Linie an ORF1 gedacht. Im gesamten Verlauf von ORF1 haben Sie - mit Ausnahme der durchgeschalteten Nachrichten - eigentlich nie ein Gesicht, sondern Sie haben Spielfilme und Serien. Ich glaube, dass da die Verwechselbarkeit eine große Gefahr ist. Wir müssen deshalb in ORF1 verstärkt Eigenproduktionen platzieren - für ein junges Publikum, das heißt hier für die Zielgruppe der 12- bis 49-Jährigen.

die furche: Heißt das, dass sich hauptsächlich bei ORF1 etwas ändern wird und ORF2 im Wesentlichen gleich positioniert bleiben wird?

lindner: Man wird sich die Sachen sehr genau anschauen. Ein lebendiges Programm muss sowieso ununterbrochen justiert werden. Irgendwann einmal läuft sich alles tot und muss einen neuen Schub bekommen - und sei es eine andere Sendezeit oder eine andere Redaktion oder einen anderen Titel.

die furche: Sie werden jetzt wahrscheinlich nicht sagen wollen, was sich Ihrer Meinung nach totgelaufen hat?

lindner: Da liegen Sie richtig.

die furche: Der Bereich Religion hat zuletzt zur Informationsintendanz gehört, nun wird er der Programmdirektion zugeordnet. Warum?

lindner: Ich bin der Meinung, er ist im Programm gut angesiedelt. Die Information ist in erster Linie dazu da, aktuelle Informationen zu verarbeiten, das ist das Tagesgeschäft. Ich glaube, dass gerade die Religionssendungen da nicht so dazu passen.

die furche: Quantitativ ist in diesem Bereich in den letzten Jahren gekürzt worden. Kreuz & Quer hat es vor ein paar Jahren noch stundenlang - wenn auch nicht wöchentlich - gegeben, jetzt läuft es eine halbe Stunde pro Woche. Planen Sie da Änderungen?

lindner: Ich glaube, dass diese Dinge sehr gut laufen. Mit Kreuz & Quer haben Sie überhaupt ein Erfolgsprogramm angesprochen. Funktionieren können solche Sachen immer nur, wenn sie es einmal pro Woche machen, da spielt die Länge keine so große Rolle.

die furche: Die Sendezeit ist doch relativ spät.

lindner: Es ist um 23 Uhr, aber wenn Sie die Reichweiten anschauen, so sehen Sie, dass die sehr gut sind. Offensichtlich ist das Publikum, das bereit ist, sich dieses Magazin anzuschauen, einfach auch um diese Zeit fernsehbereit. Wenn Sie dieselbe Sendung um 20 Uhr ansetzen würden, hätten Sie wahrscheinlich im Vergleich viel weniger und vor allem nicht das Zielpublikum.

Das Gespräch führten Otto Friedrich und Rudolf Mitlöhner.

Zur Person: ORF-Frau in Westenthaler-Schusslinie

Am 21. Dezember 2001 wurde die damalige niederösterreichische Landesintendantin Monika Lindner als erste Frau an die Spitze des ORF gewählt. 1957 geboren und in Tirol aufgewachsen kam Lindner zum Studium der Philosophie, Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte nach Wien. Das journalistische Handwerk lernte sie beim TV-Historiker Helmut Andics, unter anderem war sie als Redakteurin bei dessen Serie Das österreichische Jahrhundert tätig. 1975 kam Lindner in die ORF-Abteilung "Politik und Zeitgeschehen", 1979 übernahm sie die Pressestelle des ORF. Ab 1991 leitete sie die Lebenhilfesendung WIR, danach wurde sie Chefin der Vorabendleiste Willkommen Österreich auf ORF2. Generalintendant Gerhard Weis schickte Monika Lindner als Landesintendantin nach St. Pölten. Bei der Neuwahl im Dezember 2001 verhalf ihr die schwarz-blaue Mehrheit im Stiftungsrat schon im ersten Wahlgang zu einem Erdrutschsieg gegen Weis. Doch bereits mit der Bestellung der zweiten Führungsebene, die Lindner im Stiftungsrat glatt durchbrachte, machte sich die seit 1. Jänner 2002 Amtierende im blauen Parteilager kaum Freunde, und die Querschüsse von rechts waren keineswegs zu Ende: Trotz aller koalitionären Beteuerungen, den ORF aus der parteipolitischen Schusslinie nehmen zu wollen, richtete FP-Klubobmann Peter Westenthaler der ORF-Generalin noch letzten Montag aus, ihre Direktion sei bislang "dürftig" ausgefallen. ofri

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