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österreichisches Profil durch Regionalisierung

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In der derzeitigen ORF-Debatte wird die Frage der Regionalisierung in eine eigenartige Zwangsjacke politischer Emotionen nach dem Motto „alles oder nichts“ gepreßt. Nach meiner Meinung gehen die Alles-Regionalisierer mit dem Schlagwort der „Lokalisierung“ in der momentanen Situation der österreichischen Medienlandschaft zu weit; jene wenigen aber, die vielleicht meinen, Regionalisierung sei überhaupt überflüssig, erkennen weder programmliche Notwendigkeiten, noch eine gewisse Irreversibilität eingeleiteter Strukturen.

Das Rundfunkgesetz hat das föderalistische Prinzip Österreichs auch für den ORF in eindeutiger Weise zum Ausdruck gebracht. Der § 2 (2) besagt: „Der österreichische Rundfunk hat bei Erfüllung seiner öffentlichen Aufgaben auf die Grundsätze der österreichischen Verfassungsordnung insbesondere auf die bundesstaatliche Gliederung nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Länder, Bedacht zu nehmen.“

Im § 3 (2) heißt es: „In den Programmen des Fernsehens sind die Interessen der Länder zu berücksichtigen. Die Beiträge werden von den Landesintendanten festgelegt.“

Damit hat der Gesetzgeber den Programmanteil der Bundesländer zwar nicht quantifiziert (siehe Kommentar Dr.Twaroch zum § 3 RFG), er hat jedoch dem ORF als einer Einrichtung des Bundes die gesetzliche Verpflichtung auferlegt, die Vielfalt der österreichischen Bundesländer Programmwirklichkeit werden zu lassen.

Die am 18. Februar 1976 im Kuratorium mit 23 Pro-Stimmen bei vier Stimmenthaltungen beschlossenen „Allgemeinen Richtlinien für die Programmgestaltung, Programmerstellung und Programmkoordinierung“ beinhalten in vielfacher und konkreter Form jene Grundsätze, die für die Landesstudios die Grundlage ihrer Programmverpflichtungen sind.

Eine der Konsequenzen dieser Prö-grammrichtlinien ist ein erweitertes (und durchaus erweiterbares) Programmangebot aus allen neun' österreichischen Bundesländern und deren Regionen. Allerdings muß sich ein derartiges Programmangebot im Interesse einer über die Region hinaus erweckbaren Aufmerksamkeit den kritischen Maßstab der Aktualität, der Originalität, des Spezifischen, der regionalen „Einmaligkeit“ und damit Besonderheit gefallen lassen.

Darüber hinaus soll Regionalisierung der Fernsehprogramme nach meiner Meinung als eine Chance zur. Problematisierung von Fakten, gesellschaftlichen Zuständen und Sachfragen begriffen werden. Das heißt, regionalen Problemen der Gemeinden, des Wirtschaftsgefüges, von sozialen Klein- und Randgruppen überregionale Bedeutung zuzumessen. Daraus kann (und wird) sich eine neue Sensibilisierung von Bürgern und Bürgergruppen ergeben; überregionale In-' formation über verschiedene Lebensbereiche unserer Heimat kann (und wird) zu neuem Engagement - in Einzelfragen vielleicht sogar zu einer neuen Solidarität der Österreicher -führen.

Genau diese Überlegungen sind es, die für eine stärkere Programmregio-nalisierung in beiden, Fernsehprogrammen und gegen die Lokalisierung, also begrenzter, eingeengter Programmabstrahlung, sprechen.

Die Darstellung der ganzen Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Länder, der kulturellen, geistigen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen, muß den Programmen des ORF jenes österreichische Profil geben, das dem Gesamtprogramm des ORF die notwendige Konkurrenzfähigkeit gegenüber einer Programmüberfremdung durch ausländische Programmelemente sicherstellt. Der ORF wird im Zusammenhang mit Kabel- und Satellitenfernsehen seinen Beitrag zur Identität des Österreichers mit dem österreichischen zu leisten haben.

Zweifelsohne wird die Verstärkung der aktuellen Berichterstattung aus den Landesstudios, die weitere Produktion des höchst qualitätsvollen Österreichbildes (siehe Strukturanalyse des Österreichbildes vom Februar 1975 - Eugen Semrau, Institut für Publizistik der Universität Wien), sowie gewisser Schwerpunktprogramme aus aktuellen Anlässen heraus (z. B. Steiri-scher Herbst, Theater aus den Bundesländern, mehr Produktionen mit Künstlern aus den Bundesländern usw.) zu einer Verschiebung der Programmproduktion führen.

Daß vermehrte Programmproduktion mittelfristig zu Konsequenzen hinsichtlich Programmbudget und Personal führen wird müssen, ist nicht nur „Insidern“ des Betriebes klar. Im Personalbereich ist allerdings vorerst mit großer Vorsicht an die Lösung der Probleme heranzugehen, da mögliche

Auswirkungen des kommenden Me-dienmitarbeitergesetzes auf den ORF kalkuliert werden müssen. Außerdem besteht ein Grundsatzbeschluß des Kuratoriums, der die Geschäftsführung des ORF an eine Mitarbeitergrenze von etwa 3000 Dienstnehmern bindet. Auch aus dieser Sicht erscheint eine „Lokalisierung“ derzeit nicht zielführend.

Daß im Interesse der Vielfalt der regionalen Druckmedien (Tages- und Wochenzeitungen, Regional- und Bezirksblätter) an eine Werbung (und damit Werbeeinnahmen) in einem lokalisierten Fernsehprogramm nicht gedacht werden kann, vervollständigt die Argumente gegen die Lokalisierung.

Im Bereich der Technik wurden seitens der Geschäftsführung - durch Beschlüsse des Kuratoriums - entsprechende Maßnahmen eingeleitet. Die Landesstudios sind heute fernsehtüchtig. Im besonderen Maße darf die Steiermark zufrieden sein, da es für unser Bundesland gelungen ist, den Bau eines neuen Landesstudios in Graz-St. Peter sicherzustellen.

Verschiedene Landespolitiker der ÖVP haben sich in den letzten Monaten mit Eifer, aber manchmal auch in scheinbarer Unkenntnis über die Unterschiede zwischen Lokalisierung und Regionalisierung für das erstere Prinzip ausgesprochen. Während der Landeshauptmann von Oberösterreich, Josef Ratzenböck, in einem Schreiben vom 12. Mai 1978 an die Kuratoriumsmitglieder mit dem Vorschlag nach einem „TV-Lokalversuchsprogramm“ noch Vorsicht erkennen läßt, steuern die Landeshauptmänner von Steiermark und Salzburg, Friedrich Niederl und Wilfried Haslauer, einen medienpolitischen Kurs, der selbst innerhalb der ÖVP als verwirrend und widersprüchlich qualifiziert wurde und der letztlich zu einer sinnlosen Zerschlagving des österreichischen Rundfunks führen würde. Die Exponenten der ÖVP werden erkennen müssen, daß die für das Problem Regionalisierung gebotene Sachdiskussion und Sachentscheidung nicht zu einem parteipolitisch motivierten Keulenschlag gegen den ORF und seine Dienstnehmer (auch in den Landesstudios) umfunktioniert werden kann.

Das Kuratorium des ORF wird gut beraten sein, wenn es der Geschäftsführung den Auftrag erteilt, den begonnenen Weg der Regionalisierung überlegt und konsequent fortzusetzen. Im FS-Regionalisierungsreport des Generalintendanten vom Mai 1978, der den Kuratoriumsmitgliedern zum Studium übermittelt wurde, stellt der Generalintendant u. a. fest, daß „die Ermöglichung der Ausstrahlung von FS-Lokalprogrammen zwar einen wichtigen Zielpunkt bedeutet, aber doch nur einen Teilaspekt der FS-Re-gionalisierung darstellt“. Und weiter: „Auf der Grundlage der bereits realisierten Maßnahmen zur FS-Regionali-sierung ist eine Entwicklung eingeleitet, die zunehmend FS-Beiträge der Landesstudios ermöglicht und die die Landesstudios in die Lage versetzt, auch im Bereich der Kooperation zwischen Landesintendant und Fernsehintendant die verstärkte Föderalisie-rung des Fernsehens mitzutragen.“

Dieses Bekenntnis zur verstärkten Kooperation zwischen den Landesintendanten und den für das Gesamtprogramm Verantwortlichen wird möglicherweise auch zu neuen Uber-legungen hinsichtlich einer erweiterten Dispositionsfähigkeit der Landesintendanten im Bereich der Bundesländerredaktion führen.

Für die Verwirklichung neuer Programmimpulse aus den Landesstudios (z. B. auch für die neue Sendereihe „Club regional“) soll es jedenfalls keine Schranken geben.

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