2/3-Mehrheit für FP-VP
Programmauftrag unpräzise, Unabhängigkeit gefährdet: Eine Kritik am ORF-Gesetz-Entwurf.
Programmauftrag unpräzise, Unabhängigkeit gefährdet: Eine Kritik am ORF-Gesetz-Entwurf.
Der ORF-Gesetzesentwurf ersetzt das bisherige Kuratorium durch einen Stiftungsrat, der weitreichende Rechte gegenüber dem künftig Generaldirektor genannten Generalintendanten haben wird. Während der Generalintendant bisher kein Durchgriffsrecht auf das Programm hatte, erhält der Generaldirektor künftig ein Programmweisungsrecht. Dies hat im Umfeld des Verhältnisses zum mächtigen Stiftungsrat wahrscheinlich große Folgen für die Entwicklung des ORF zu einem regierungsabhängigeren Rundfunk.
Der Stiftungsrat verfügt nicht nur per Gesetz über eine große Machtfülle, sondern er kann oder muss Teile des in Begutachtung befindlichen ORF-Gesetzes auch auslegen. Denn Kernbereiche sind einfach nicht ausreichend definiert: Im Programmauftrag (§ 4) wird beispielsweise gefordert, "dass jedenfalls in den Hauptabendprogrammen (prime time) anspruchsvolle Programme zur Wahl stehen" müssen. Die politische Debatte darüber in den letzten Tagen sorgte für keine Klärung, was darunter zu verstehen ist, sondern zeigte lediglich, dass unter "anspruchsvollem Programm" recht Unterschiedliches verstanden wird. Vor allem aber sind - als Beruhigung gedachte? - Interpretationen etwa von ÖVP-Klubobmann Khol nicht rechtsverbindlich. Zudem klärt der Gesetzesentwurf derzeit nicht einmal, welcher Zeitraum mit "Hauptabendprogramm" genau gemeint ist, weiters lässt er offen, wieviel "anspruchsvolles" Programm den Seherinnen und Sehern am Abend angeboten werden muss. "Insbesondere Sendungen in den Bereichen Information, Kultur und Wissenschaft haben sich durch hohe Qualität auszuzeichnen", lautet ein weiterer Programmauftrag. Doch wie "hohe Qualität" definiert wird, verraten auch die Eräuterungen zum Gesetzesentwurf nicht.
Nun wird über Programm-Qualität im Fernsehen und Hörfunk seit zumindest zehn Jahren in der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaft reichlich diskutiert und geforscht. Verschiedene Qualitäts-Messmodelle liegen mittlerweile vor und die dort aufgestellten Qualitätskriterien könnten in ein neues ORF-Gesetz mit dem Vorteil einfließen, dass diese gesetzlichen Ansprüche dann auch sozialwissenschaftlich überprüfbar wären.
Die Politik versprach bei der Ankündigung des Gesetzes vorrangig die Entparteipolitisierung des ORF. Der nun vorgelegte Entwurf realisiert aber nur eine vordergründige, denn im Detail wird der potenzielle Durchgriff der Regierungspolitik auf den ORF vielfach ermöglicht. So führt etwa der Bestellungsmodus des Stiftungsrates bei den derzeitigen politischen Machtverhältnissen im Land zu einer einfachen Mehrheit von der ÖVP verbundenen beziehungsweise nahe stehenden Stiftungsräten.
Da im Stiftungsrat für fast alle Entscheidungen eine einfache Mehrheit genügt, ist die damit verbundene Einflussmöglichkeit ausreichend vorstellbar. Zusammen mit den künftigen FPÖ-nahen Stiftungsräten verfügt die derzeitige FPÖ-ÖVP-Koalition vermutlich über eine Zweidrittelmehrheit. Damit kann auch ein widerborstiger Generaldirektor abberufen werden, jedenfalls aber gefügig bedroht werden.
Der Stiftungsrat kann im laufenden Betrieb die per ORF-Gesetz vorgeschriebenen Monatsschemata der Fernsehprogramme blockieren und damit entsprechenden Druck auf den Generaldirektor ausüben, der seinerseits über ein Programmweisungsrecht verfügt. Diese Konstruktion, befürchtet der ORF-Redakteursrat, "kann nur als Verlockung verstanden werden spezifischen Druck auszuüben". Wenn diese Regelung so bleibt, wird der Redakteursrat des ORF wohl auf einen Ausbau der Schutzbestimmungen für unabhängiges journalistisches Arbeiten im ORF drängen.
Der Autor ist Assistenz-professor für Publizistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien.
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