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Auf Biegen und Brechen?

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Als im Herbst 1978 wieder „Tiger” Gerd Bacher in den ORF-Tank gepackt wurde, gab es ein Aufheulen in der SPÖ-Reichshälfte: Wer waren die drei Ungetreuen im ORF-Kuratorium, die es gewagt hatten, gegen die Weisung von SPÖ-Zentralsekretär Karl Blecha zu stimmen? Warum hatte die einst so perfekt funktionierende „16:14-Ab-stimmungs-Dampfwalze” versagt?

Der bis heute nicht zu verifizierende Verdacht wurde damals laut, es habe sich bei den drei Abtrünnigen um den Vertreter des Finanzministeriums, um einen ORF-Zentralbetriebsrat und den Vertreter der bildenden Kunst gehandelt.

Gleichzeitig hieß es, die Sozialisten würden versuchen, diese Panne bei nächster Gelegenheit auszubügeln. Nun ist die Gelegenheit da. Die Gremien des ORF, mit Ausnahme der Beschwerdekommission, sind bis September neu zu bestellen.

Im allgemeinen sollte man meinen, daß inzwischen bei allen Beteiligten die Emotionen verflogen sind. Die SPÖ, die praktisch alle Trümpfe bei der Neubesetzung der Gremien in der Hand hat, müßte gemerkt haben, daß eine Taktik auf Biegen und Brechen auch eigene Sympathisanten vergrämen kann (siehe die Bacher-Wahl).

Zudem sind in letzter Zeit etliche Entscheidungen im Kuratorium weitgehend einvernehmlich getroffen worden, da sich Bacher dort gerne als rosaroter Panther gibt und den Tiger mehr gegen Gegner des Rundfunkmonopols und damit die Opposition, die ihm hauptsächlich in den Sattel geholfen hat, herauskehrt.

An sich sind die Mehrheitsverhältnisse im 30köpfigen ORF-Kuratorium klar, auch wenn zum Glück bei einzelnen Mitgliedern die Skepsis gegenüber den starren Parteiblöcken zu wachsen scheint. Sechs Vertreter entsenden die politischen Parteien (3 SPÖ, 2 ÖVP, 1 FPÖ), je einen die Länder und vier kommen aus Ministerien bzw. Bundeskanzleramt. Das ergibt zunächst ein Verhältnis von 10:9 für das Lager der Regierungspartei.

Bei den fünf ORF-Zentralbetriebsräten im Kuratorium rechnet man im allgemeinen mit einem Verhältnis von 3:2 zugunsten der Regierungspartei, ein Verhältnis, das aber leicht ins Gegenteil umschlagen kann (und im Herbst 1978 vermutlich umgeschlagen hat). Daher gibt es Bestrebungen seitens der Regierungspartei, den Zentralbetriebsräten bei Generalintendantenwahlen das Stimmrecht zu entziehen ...

Zum Zünglein an der Waage können dann noch jene sechs Virilisten im Kuratorium werden, die von der 35köpfi-gen Hörer- und Seher-Vertretung (HSV) entsandt werden. In der Praxis erfolgt ihre Auswahl paritätisch: drei sind eher regierungsnahe, drei eher regierungskritisch eingestellt.

Aber auch diese Rechnung ging bei der Bacher-Wahl vermutlich nicht auf. Es ist daher denkbar, daß die Regierungspartei versucht, hier aus ihrer Sicht verläßlichere Leute zu nominie* ren, die sich im Ernstfall von „Mediencharly” Blecha auf eine Linie vergattern lassen.

Die Mitglieder der HSV werden zum Teil (15 Leute) von bestimmten Interessenvertretungen bestellt, die Mehrheit aber (20) bestellt der Bundeskanzler.

Für die erste Gruppe ergeben sich wieder ganz klare Mehrheitsverhältnisse: Drei Vertreter des österreichischen Gewerkschaftsbundes, je zwei Delegierte aus Arbeiterkammer, Landwirtschaftskammern und Bundeswirtschaftskammer, je ein Vertreter der Katholischen und Evangelischen Kirche, der Kammer der freien Berufe und der politischen Akademien der drei Parteien ergeben ein Verhältnis von 7:8 zuungunsten der Regierungspartei.

Umso spürbarer müßte daher der Bundeskanzler bei den übrigen 20 Gesinnungsgenossen bevorzugen, wollte er seiner Partei in diesem Gremium die Mehrheit sichern.

Bis 1. Juli 1980 konnten repräsentative Institutionen auf zehn Gebieten Vorschläge an das Bundeskanzleramt richten. Diese Vorschläge werden demnächst in der „Wiener Zeitung” veröffentlicht, dann wählt Bruno Kreisky daraus aus.

Auch hier sind üblicherweise einige Bereiche proporzmäßig besetzt und daher von vornherein klar: Sport, Touristik, Kraftfahrer, Eltern und Familien, ältere Menschen, Volksbildung. Für die Konsumenten gab es stets nur einen - und zwar regierungsnahen - Vertreter, bei den Künstlern stets ein Verhältnis von 2:1 für die Regierungspartei. Dabei ist der Vertreter der bildenden Kunst, Adolf Frohner, seit der Bacher-Wahl auch im Regierungslager umstritten. Seine Kollegen rätseln, wie er überhaupt in dieses Gremium gekommen ist; am 30. Juni auf eventuelle Gegenvorschläge angesprochen, hörte man allerdings aus Künstlerkreisen nur Verwunderung über den Termin 1. Juli, den man offenbar verschlafen hatte.

Verschlafen hatte bekanntlich im Jahr 1977 auch die Rektorenkonferenz den Einsendetermin für Vorschläge, weshalb es die SPÖ leicht hatte, im Bereich Wissenschaft ihren Mann, Univ.-Prof. Rudolf Wohlgenannt aus Linz, über Vorschlag der Ludwig-Boltz-mann-Gesellschaft in die HSV zu hieven. Für heuer liegt allerdings wieder ein Vorschlag der Rektorenkonferenz auf dem Tisch: er lautet auf den Prorektor der Wiener Universität Univ.-Prof. Kurt Komarek.

Sicher ausscheiden aus der HSV und damit auch aus dem Kuratorium wird der bisherige Mittelbau-Sprecher Gerhard Windischbauer. Die Bundeskonferenz des wissenschaftlichen Personals an Österreichs Hochschulen schlägt diesmal an erster Stelle ihres Vorschlags den Zeitgeschichtler Univ.-Doz. Gerhard Jagschitz vor.

Aber Bruno Kreisky hält sich nicht immer an Erstreihungen. Das könnte im Bereich Jugend der Vorsitzende des Bundesjugendringes (BJR) Franz Küberl zu spüren bekommen, der im BJR-Vorschlag vor dem bisherigen Jugendvertreter Friedrich Verzetnitsch von der Gewerkschaftsjugend aufscheint.

Das Kräfteverhältnis in den neuen ORF-Gremien dürfte sich kaum entscheidend ändern, vielleicht aber werden einzelne Personen ausscheiden, die nicht immer als „verläßlich” eingestuft werden. Was sicher nicht für die Politiker gilt, von denen ÖVP-Medienspre-cher Heribert Steinbauer die HSV verläßt, aber im Kuratorium bleibt, und Holger Bauer Tassilo Broesigke als FPÖ-Mann in der HSV ersetzt.

Auch bei der SPÖ wird es im Kuratorium, hört man, kleine Änderungen geben. Da der Grazer Stradtrat Alfred Stingl sogar als möglicher Kuratorium-Vorsitzender gehandelt wird und Karl Blecha sicher in Amt und Würden bleibt, deutet dies auf eine Ablöse des dritten SPÖ-Parteidelegierten im Kuratorium hin: Max Lotteraner. Aber genau will man sich jetzt noch nicht in die Karten schauen lassen. Wie so oft beim unabhängigen ORF, der nun wieder eine Weile ins Polit-Hick-Hack geraten dürfte.

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