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Thema „ausgereizt“?

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So lustlos und fad sei die Budgetdebatte im „Hohen Haus“ am Ring noch nie gewesen, meinte dieser Tage ein Parlamentarier, der dem Nationalrat seit 1966 angehört — und der sich, weil er der SPÖ angehört, über eine angriffslustige Opposition sogar freuen würde. Nein — müde Debattenbeiträge werden vor einem sichtlich übermüdeten und desinteressierten Plenum pflichtgemäß abgespult; schlimmer als je rezitieren die Abgeordneten aller Fraktionen lustlose Verteidigung und saftlose Kritik vom Blatt, oft mit deutlicher Distanz zum Thema, meist auch vor leeren Bänken.

Berufsmäßige Beobachter der parlamentarischen Szenerie sprechen schon offen von einem Tiefpunkt des parlamentarischen Geschehens in Österreich. Und das alles bei der Diskussion einer Budgetpolitik, die noch vor wenigen Monaten zu den zentralen Themen im Wahlkampf gezählt hat. Fast lautlos geht beispielsweise die Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes an einem Freitag über die Bühne — also zu einem Zeitpunkt, da die meisten Abgeordneten bestenfalls noch „physisch anwesend“ sind (wie ein bissiger Parlamentsjournalist meinte).

Das Budgetthema sei eben schon „ausgereizt“ — heißt es in den Couloirs; nach den fortgesetzten Höhepunkten im Sommer 1975 sei eben eine Steigerung kaum mehr möglich. So klingt es aus den Reihen der Opposition, die übrigens die Ansicht vertritt, daß die Affäre rund um (noch) FPÖ-Chef Peter das Interesse von der Budgetdebatte abgelenkt hätten.

Nun, „ausgereizt“ kann und darf eine Diskussion zu einem Bundesvoranschlag und damit zu einem in Zahlen gegossenen Regierungsprogramm für immerhin ein Jahr nie sein. Auch dann nicht, wenn die Opposition glaubt, über dieses Thema schon im Wahlkampf gestolpert zu sein. „Wen interessiert schon ein sachlicher Beitrag über die Höhe des Budgetdefizits, wenn die Regierung beteuert, daß damit — und nur damit — eine höhere Arbeitslosigkeit verhindert wird?“ — nehmen Oppositionspolitiker derzeit offenbar als Ausrede für das lustlose Schauspiel im Hohen Haus am Ring. Demnach ist die Bevölkerung selbst schuld, wenn im Augenblick ihre Abgeordneten nicht so recht wollen. Noch billigere Erklärungsversuche sind kaum mehr vorstellbar...

Wem kann und muß daran liegen, daß die Budgetdebatte so fad verläuft wie nie zuvor? Sicher nicht der Regierung und ihrer parlamentarischen Fraktion! Sie sind rollengerecht an weitgehend reibungslosen Diskussionen interessiert; müssen vor jeder Budgetdebatte mit Blessu-ren rechnen und können nun plötzlich feststellen, daß sie nicht nur heil, sondern sogar gestärkt davongekommen sind. Für die Opposition wiederum ist die Budgetdebatte eine der günstigsten Gelegenheiten, vor aller Öffentlichkeit Präsenz, Wachsamkeit und Alternative dokumentieren zu können. Nun, im Dezember 1975 hat sie bisher diese Gelegenheiten gründlich vertan.

Möglicherweise ist die Lustlosig-keit der Opposition im Parlament freilich Teil einer größeren Strategie, die davon ausgeht, einmal Zeit verstreichen zu lassen und nach der Wahlniederlage nicht mit aufgeblasenen Muskeln spielen zu wollen. „Die Wähler könnten sonst glauben, daß die ÖVP eine schlechte Verliererin ist“, sagte ein Berichtsprecher der VP. Dieses Argument hat einiges für sich. Tatsächlich zeigte sich in der

Budgetdebatte 1970, daß die ÖVP ihre damals knapp acht Monate zurückliegende Wahlniederlage noch nicht verkraftet hatte, mit Muskeln spielte, die längst schon abgeschlafft waren. Es brauchte noch einige Zeit, ehe die ÖVP-Parlamentarier aus diesem falschen Rollenbewußtsein herausfanden.

Aber es gab — vor allem von 1973 bis zum Frühjahr 1975 — tatsächlich eine parlamentarische Opposition, die anzugreifen, zu kontrollieren und zu dominieren verstand. Das aus historischen Gründen bei bürgerlichen Parteien eher unterentwickelte parlamentarische Verständnis wurde in verhältnismäßig kurzer Zeit von einem neuen „Feeling“ abgelöst.

Man sollte meinen, daß dieser Prozeß des Entdeckens und Erkennens endlich abgeschlossen ist und sich nicht alle Jahre nach einer Wahlniederlage wiederholt. Und man sollte auch hoffen, daß sich die Volksparteispitze nicht damit zufriedengeben kann, daß abseits des parlamentarischen Betriebs ohnedies genug geschieht, was der Regierung und ihrem Bundeskanzler schadet. Denn das feste Vertrauen auf die Fehler der Bundesregierung kann nicht die Basis einer erfolgreichen politischen Strategie sein. So handelt man nur dann, wenn einem tatsächlich nichts mehr einfällt. Und Einfallslosigkeit ist von den Wählern noch nie mit hoher Zustimmung honoriert worden.

Im Parlament hat die Volkspartei dieses Jahr besser begonnen als geschlossen. Ihre in den letzten Tagen oft aufreizende Müdigkeit schadet ihr nicht nur bei ihren Wählern. Sie schadet vor allem dem in diesem Land ohnedies nicht hochentwickelten parlamentarischen Bewußtsein. Sie schadet sicherlich mehr, als das der Regierungspartei im Augenblick recht sein kann.

IN DIESER NUMMER

Unser Beitrag von Franz Kardinal König, Erzbischof von Wien, ist der Auszug eines Referates vor dem österreichischen Cartell-verband (Seite 3).

Prof. Herbert Krejci ist Pressereferent der Vereinigung österreichischer Industrieller und Chefredakteur der Zeitschrift „Die Industrie“ (Seite 1).

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