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Angeschlagener Heath

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Wohl kaum eine Wirtschaftskrise in Großbritannien hat sich so schnell zugespitzt und hat so plötzlich dermaßen weitreichende Auswirkungen gehabt wie der jüngste Bergarbeiterstreik. Allerdings bestand der Konflikt zwischen den Bergarbeitern und dem staatlichen Kohlenamt bereits seit geraumer Zeit. Schon Ende vorigen Jahres hatten sich die Bergarbeiter geweigert, Überstunden zu machen.

Im Anfang wurden beruhigend klingende Erklärungen abgegeben, worin es hieß, die Kraftwerke (die zu ungefähr 75 Prozent Kohle verwenden) hätten reichliche Vorräte. Der Winter war bisher ungewöhnlich mild. Man hatte den Eindruck, daß die Regierung einfach warten wollte, bis den Bergarbeitern der Atem ausging (so wie sie es vorigen Jahres beim Streik der Postbediensteten tat). Der Poststreik dauerte neun Wochen und endete mit einer Regelung, die mehr oder weniger auf der Basis des ursprünglichen Angebotes getroffen wurde — also ein Sieg der Regierung in ihrem Kampf gegen inflationäre Lohnforderungen.

Im jetzigen Fall jedoch lagen die Dinge anders. Die Bergarbeiter sind bekannt für ihre Solidarität und Zähigkeit. Nach dem Generalstreik von 1926 nahmen sie erst viele Monate später die Arbeit wieder auf. Es gab eine Zeit, in der sie zu den höchstbezahlten Arbeitern gehörten.

Aber in den Jahren seit der Verstaatlichung der Kohlengruben gerieten sie im Wettrennen um höhere Löhne ins Hintertreffen. Jetzt, bei ihrem ersten Streik seit 46 Jahren, waren sie offensichtlich entschlossen, nicht einfach eine durchschnittliche Lohnerhöhung von beispielsweise 8 Prozent zu verlangen, sondern so viel, daß sie gegenüber anderen Gruppen mehr oder weniger wieder aufholen konnten.

Vermutlich waren sich Premierminister Heath und die Mitglieder seines Kabinetts hierüber im klaren, als sie entschieden, daß das Kohlenamt das ursprüngliche Angebot nicht erhöhen dürfe, um einen Streik zu verhüten. Die Labour-Opposition vertrat den Standpunkt, die Regierung habe die Lage völlig falsch eingeschätzt und die Krise unvermeidlich gemacht, indem sie zu spät eine Untersuchungskommission einsetzte.

Von seiten der Regierung wurde zugegeben, daß man die Folgen der Belagerung von Kraftwerken durch

Streikposten unterschätzt habe. Aber Premierminister Heath konnte sich auf den Standpunkt stellen, daß der Schaden, der der britischen Industrie durch eine wochenlange Produktionsstörung erwächst, auf längere Sicht nicht so ernst sei wie die Folgen inflationärer Lohnerhöhungen.

Neuwahlen?

Edward Heath — ob als Segler oder Staatsmann — ist von seinem einmal eingeschlagenen Kurs nicht leicht abzubringen. Sein erstes wirtschaftspolitisches Ziel ist, die inflationäre Entwicklung zu bekämpfen (selbst um den Preis ungewöhnlich starker Arbeitslosigkeit), um damit ein anhaltendes wirtschaftliches Wachstum zu ermöglichen. Aber wie sind seine Erfolgschancen jetzt?

Das Ergebnis des Streiks wird sich auf die Wirtschaftspolitik der Regierung und auf ihr Prestige auswirken — und dazu noch in einem Augenblick, in dem sie sich mit anderen schwierigen Problemen wie Nordirland konfrontiert sieht. Und ohne Zweifel war der Streik der Bergarbeiter das bisher schwierigste Dilemma für den Premierminister.

Die Regierung ist im Augenblick so unpopulär, daß mit Neuwahlen kaum zu rechnen ist.

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