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Fast wie im Krieg

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Premierminister Heath appellierte im Fernsehen und im Rundfunk an alle Briten, „ihre Reihen zu schließen“, um einen durch Energiemangel erzeugten wirtschaftlichen Zusammenbruch das Landes zu verhüten. Aber die Schuldigen sind nicht die Ölscheichs, sondern die Bergarbeiter und die Lokomotivführer, das heißt ihre Weigerung, Überstunden zu machen, sowie die Bummelstreiks. Die von Heath im Parlament über den Äther verkündeten Maßnahmen (,Aim unserer Zukunft und unseres Landes willen“) sind von solchen in einem Staat im Kriegszustand kaum zu unterscheiden. Sie bedeuten auch das vorläufige Ende der wirtschaftlichen Expansionspolitik der Heath-Regierung sowie gleichzeitig des ökonomischen Wachstums.

Ab 31. Dezember werden die meisten Industrien nur drei Tage in der Woche arbeiten dürfen, während Fabriken mit „kontinuierlichen Produktionsprozessen“ (in der Stahl-,Automobil-, Glas-, Aluminium- und chemischen Industrie) ihren Stromverbrauch um 36 v. H. einschränken müssen. In den Tagen bis zum Jahresende dürfen andere kommerzielle Stromverbraucher, wie die Geschäfte, nur fünf Tage geöffnet sein. Das Fernsehen schließt — ein wichtiger symbolischer Akt — um 22.30 Uhr außer Weihnachten, Silvester und Neujahr. Außerdem sind alle Briten dringendst aufgefordert worden, nur ein Zimmer ihres Heims elektrisch zu heizen. Der Premierminister hatte sicher nicht unrecht, als er seinen gepeinigten Landsleuten das „schlimmste Weihnachten seit dem Kriege“ voraussagte.

Heath versetzte die Labour-Opposition im Unterhaus in unbändigen Zorn, als er die Schuld an dieser schweren nationalen Krise den Streikmaßnahmen der Bergarbeiter und Lokomotivführer, nicht dem Erdölmangel, zurechnete. Die Führer beider Gewerkschaften haben sich trotz des Notstandes kategorisch geweigert, ihre Aktionen abzublasen. Sie haben sich damit wohl die letzten Sympathien der geplagten Bevölkerung verscherzt. Das Ausmaß der Rolle, die politische Außenseiter hier spielen, ist mit Genauigkeit nicht festzustellen. Aber es ist bekannt, daß mindestens sechs langjährige Kommunisten im Vorstand der Grubenarbeitergewerkschaft ein wichtiges Wort mitzureden haben. (Wie andere kommunistische Gewerkschafter befolgen sie genau die Anordnungen von Bert Ramel-son, dem „industriellen Organisator“ der Kommunistischen Partei.) Der Generalsekretär jener Gewerkschaft, Daly, ist überzeugter Trotzkist. Außerdem haben sich die Führer der Kumpel und Lokführer-Gewerkschaften geeinigt, sich gegenseitig zu „unterstützen“. Dies eröffnet die verheerende Aussicht, daß die Beförderung der Kohle — durch die Überstundensperre der Grubenarbeiter ohnehin um eine Million Tonnen je Woche reduziert — zu den Kraftwerken nun akut gefährdet ist.

Aber die schlimmste Aussicht ist der unvermeidliche Anstieg der Arbeitslosigkeit infolge der erzwungenen Dreitagewoche in der Industrie. Teilweise wird die Schließung vieler kleiner und mittlerer Betriebe befürchtet. Erwähnt werden da etwa 2000 bis 3000. In manchen Zeitungen wird schon von zwei Millionen Arbeitslosen bis März 1974 gesprochen. Die gegenwärtige Anzahl ist 490.000. Ob die von der Dreitagewoche betroffenen Lohnempfänger (außer in der ersten Woche) mit Arbeitslosenunterstützung rechnen können, weiß man nicht. Das Endresultat der Krisenmaßnahmen für die Arbeiterschaft dürfte jedenfalls schmerzhaft „deflationär“ sein.

Aber die Regierung bleibt jedenfalls fest entschlossen, die Kraftwerke des' Landes — und damit die wesentlichen Industrien —, koste es, was es wolle, in Betrieb zu halten. Daher muß der Stromverbrauch der Nation radikal um mindestens ein Fünftel beschnitten werden. Vielleicht ist der größte Fehler des Kabinetts Sein bisheriger Optimismus.

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