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Digital In Arbeit

Kalter, heißer Markt

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Seit einigen Wochen ist es an Israels Staatsgrenzen ruhig. Die Grenzen werden zwar wie bisher scharf bewacht. Reserven werden zu Übungen einberufen und drei Jahre Dienstpflicht sind weiterhin obligatorisch, doch Israels Hauptsorge ist zur Zeit seine „zweite Front“, die Teuerungswelle mitsamt den daraus folgenden Lohnforderungen.

Der Reigen der Lohnforderungen wurde von den Hafenarbeitern eröffnet. Sie haben eine Schlüsselposition inne und melden jedes Jahr, zu Beginn des großen Zitrusversandes, mit der Genauigkeit einer Schweizer Uhr neue Forderungen an, durch die der Zitrusversand — der termingebunden ist — auf das schwerste gefährdet wird.

Kaum war der Arbeitskonflikt in den Häfen beigelegt, wurden Lohnforderungen auf fast allen Sektoren des öffentlichen Dienstes angemeldet. Die Arbeiter und Angestellten der Post, des Telegraphen- und Telephondienstes machten den Anfang, ihnen folgten die Zollbeamten, deren Streik teilweise den Import blockierte, die Beamten der Einkom-mensteuerbehöFden, die Krankenschwestern und das technische Personal der Krankenhäuser. Eine Anzahl von Lohnforderungen führte zu Spannungen mit den Arbeitgebern. Der Streik sämtlicher Diplom- und Fachschulingenieure, die eine Lohnerhöhung von 35 Prozent forderten, konnte für weitere zehn Tage aufgeschoben werden. Auch die Mittelschullehrer erklärten sich damit einverstanden, ihren bereits angekündigten Streik zu vertagen.

Gleichzeitig mit den Lohnerhöhungen zogen die Preise um 20 bis 30 Prozent an, so daß die Lohnempfänger von ihren höheren Löhnen kaum einen Vorteil hatten. Durch die Kältewelle, die im Dezember begann und einige Wochen andauerte, wurde ein Großteil des Obst- und Gemüseanbaus in Mitleidenschaft gezogen. Die Obst- und Gemüsekonservenproduktion erhöhte sofort die Preise. Fast zur gleichen Zeit hob das Handelsministerium — was bereits Monate vorher geplant war — die Preiskontrolle für fast alle bisher preisgebundenen Lebensmittel auf. Auch hier nutzten die Produzenten und Grossisten sofort die Gelegenheit.

Nur die Schuh- und Bekleidungsartikel sind in den letzten Wochen nicht teurer geworden. Der Grund hiefür liegt darin, daß zur Zeit ein Großteil der Bevölkerung gezwungen ist, den Hauptanteil des Einkommens für tägliche Gebrauchsgüter aufzuwenden, so daß der Erwerb von Bekleidungsartikeln — sogar in den Wintermonaten — an die zweite Stelle rückte.

Die letzte Teuerungswelle war so gewaltig, daß die allgemeine Gewerkschaftsbewegung Histadruth die Bevölkerung zu einem halbtägigen Käuferstreik aufrief, dem sehr viele Folge leisten.

Durch die Ankunft größerer Neueinwanderergruppen wurde die Wohnungsnot weiter verstärkt und die ohnehin viel zu teuren Mieten stiegen um weitere 30 Prozent.

Die andauernde Inflation vertieft die sozialen Gegensätze, denn die sozial schwachen Einkommensschichten, die kinderreichen Familien und die Rentenempfänger werden ärmer, nur ein kleiner Teil der Bevölkerung wird reicher.

Unter den Verlierern befindet sich ein Großteil der Industriearbeiter, die in saisonabhängigen Betrieben oder für den Export arbeiten, und deren Lohnforderungen vom Arbeitgeber nicht direkt oder indirekt auf andere Gebiete abgewälzt werden können. Streiken solche Arbeiter, müssen sie damit rechnen, daß sie ihren Arbeitsplatz verlieren.

Im Gegensatz hiezu erhöht sich das Einkommen der Bauunternehmer. Durch die bestehende Wohnungsnot konnten sie Preise für die von ihnen angebotenen Wohnungen fordern, die in keinem Verhältnis zu den Kosten für Baugrund, Baumaterialien und erhöhte Arbeitslöhne stehen. Ihr Schäfchen ins Trockene bringen konnten auch Importeure, die mangels staatlicher Preiskontrolle für billig eingeführte Ware hohe Preise verlangen. Ähnlich handelten Kaufleute, die ihre Gewinne durch höhere Preise für alte Lagerbestände erhöhen konnten, oder Industrielle, die für den hiesigen Markt produzieren und ihre restlichen Lagerbestände zu überhöhten Preisen anboten. Hinzu kommt, daß die mangelnde Konkurrenz (es gibt hohe Schutzzölle für den Import) die Kalkulation verhältnismäßig hoher Preise nicht allzu schwer macht.

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