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Die Milch unfrommer Denkungsart

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Die „politischen Preise“, etwa jener für Milch, entstehen außerhalb der normalen Marktgesetze im Bereich politischer Gremien oder durch behördliche Intervention. In einem gewissen Sinn zeigen sie auch die Angst der Politiker vor dem sogenannten „Publikum“ an.

Die Wirtschaftslage Österreichs und der Bestand unserer demokratischen Ordnung sind eng mit dem Vorhandensein eines stabilen Preisgebäudes verbunden. Nun führen aber die verständlichen, insbesondere jedoch die unverständlichen Forderungen mancher Interessentengruppen dazu, daß in Abständen und gerade meist zur Zeit der Budgeterstellung am Preisgebäude bedenkliche Manipulationen vorgenommen werden, vor allem an seiner Basis, die eben von den politischen Preisen gebildet wird. Anderseits sind gewisse Preisänderurigen, die mit den Bemühungen um die Herstellung eines Budgetgleichgewichtes zusammenhängen, unbedenklich. Ein Ansteigen der Preise von Schaumwein kann nur jene kleine Schichte erregen, der „Champagner“ ein Grundnahrungsmittel bedeutet. Ebenso wird eine gewisse Revision der Tarife der Bundesbahn, trotz der nicht zu übersehenden Gefahren, mit einem gewissen Verständnis hingenommen. Anders ist es jedoch bei jenen Gütern, deren Preise tatsächlich oder nach Meinung der Massen die allgemeine Lebenshaltung wesentlich bestimmen. Steigen diese Preise, so kommt es zu Beunruhigung und Ressentiments.

Wir haben seit Jahren ein ungebrochen steigendes Bruttonationalprodukt und dürfen auch in den kommenden Jahren einen Zuwachs jener Güterfonds erwarten, aus denen schließlich die Einnahmen des Budgets fließen und seine Ausgaben gedeckt werden. Die Forderungen aber, die man in diesem Jahr an das Budget, das heißt a n uns alle stellt, können unter keinen Umständen mit den zu erwartenden Einnahmen finanziert werden. Die Zuwachsrate des Brutto-nationalproduktes hat offensichtlich eine Abflachung erfahren, vor allem weil der Arbeitskräftemangel eine intensivere Nutzung der vorhandenen Kapazitäten oder ihre Erweiterung über ein begrenztes Maß hinaus kaum mehr möglich macht.

Während man in einer erstaunlichen Spielleidenschaft und Sorglosigkeit von allen Seiten zusätzliche Forderungen an den Staatshaushalt stellt, weiß man sich auf der anderen Seite keinen anderen Ausweg zur Bedeckung der Mehrforderungen als die Steigerung der Preise dessen, was der Staat „kostet“. Daß auch gespart werden könnte, wird kaum erwogen. Wozu denn auch? Sparen würde wieder „die Massen erregen“. Nun sind aber die Preise öffentlicher Güter nicht immer von der Gewichtigkeit der Preise von Schaumwein, sondern haben meist maßgeblichen Einfluß auf die anderen Preise, zumindest aber führen sie zu jener gewissen Unruhe, die nachfolgenden Preissteigerungen den Weg ebnet. Dazu kommt'noch, daß ein Teil des Zuwachses, den sich einzelne Gruppen aus dem künftigen Budget erwarten, als Folge der Preissteigerungen nur nomineller Natur ist und durch eine Geldvvertverdünnung abgewertet wird.

Schließlich werden auch breite Schichten in der Form erhöhter Abzüge zu spüren bekommen, mit welcher Bedenkenlosigkeit man das Sozialbudget aufzupumpen versucht. Nichts gegen die Erhöhung der Renten an sich Bedenklich aber ist die Erweiterung der Anspruchsgrenzen auf Gruppen, denen eine Arbeitsunfähigkeit und eine Unterstützungswürdigkeit geradezu eingeredet werden muß. Wir wollen annehmen, es sei nur ein Scherz, wenn beispielsweise in einem ministeriellen Vorschlag eine Witwenrente für Frauen gefordert wird, deren Männer vor dem einundzwanzigsten Lebensjahr (!) gestorben sind. Das ständig versuchte Herausnehmen von Dienst-nehmergruppen aus dem Arbeitsprozeß lastet der Sozialversicherung neue Kosten auf und verringert anderseits, weil diese Gruppen als Beitragszahler ausfallen, das Beitragsaufkommen.

Jedenfalls werden gerade am Block der politisch empfindlichen Preise, der die Grundlage unseres Lohn- und Preisgefüges ist — indirekt auch unserer Position auf den Weltmärkten — in einer wirtschaftlich und staatspolitisch gefährlichen Weise Manipulationen vorgenommen.

Grotesk, daß oft die gleichen Personen, die auf der einen Seite durch Mehrforderungen an das Budget Preiserhöhungen provozieren, die von ihnen mitverursachten Preiserhöhungen dann auf der anderen Seite zum Anlaß neuer Forderungen nehmen. (Motto: „Alles wird teurer!“)

Wenn nun einzelne Politiker (nicht d i c Politiker, wie in einer unsachlichen Vereinfachung behauptet wird) zugleich Ausgabenerhöhung und Einnahmen Verringerung fordern, wenn hohe Funktionäre des Staates in einem Atemzug Preis- und Lohndisziplin verlangen, aber Maßnahmen gutheißen, die Anlaß von Preissteigerungen (und Lohnforderungen) sein müssen, hat man Grund, da und dort eine „Bewußtseinsspaltung“ zu vermuten.

Es gibt .Situationen, in denen es besser ist, die Forderungen einzelner Gruppen an das Budget, soweit sie das vertretbare Ausmaß übersteigen, abzulehnen. Die Bedachtnahme auf die Stimmung der Massen ist dabei nicht notwendig, da die gleichen Massen ja ohnedies, wenn dann die Preise steigen, wieder „böse“ sein werden.

Kommt es einmal zu einem Einsturz des Preisgebäudes, kann nicht der eine Koalitionspartner auf den anderen verweisen um die „Volkswut“ abzulenken. Das Volk von Österreich begreift die Regierung als ein Ganzes und wählt weitgehend bereits nicht eine der beiden Parteien, sondern die Koalition. Daher wird sich der Unmut der Massen auch schließlich gegen beide Parteien richten und keinen Unterschied zwischen den Partnern machen. Ein Allzuviel an Forderung und eine Nachgiebigkeit aus Gründen der Parteiräson kann über eine Gefährdung unseres Staatshaushaltes auch die Demokratie in Österreich gefährden.

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