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Das Lohn- und Preisspiel in Vorarlberg

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Dr. O., Bregenz, im Dezember Man hat nach dem Krieg das Ländle vor dem Arlberg den „Goldenen Westen“ getauft. Später nannte man es nur noch das „Musterländle“, und dem Jahre 195 5 blieb es vorbehalten, daß auch dieser Titel in Verlust geriet.

Was ist geschehen in Vorarlberg? Nach dem Krieg herrschte hier gegenüber dem Osten unseres Vaterlandes der Vorteil einer nicht allzu harten Besatzung, die, nachdem sie hatte, was sie zu brauchen glaubte, noch ziemlich einiges übrigließ. Die Kriegsschäden waren nicht hart, die Verfassung der Industrie gut, und nachdem ein Bauer an die Spitze der Verwaltung trat, rang man auch dem Boden ab, was er geben konnte. Man arbeitete härter als irgendwo und hatte über jede neue Station des Aufbaues eine reine Freude.

Da der Großteil der Industriebetriebe Familienbesitz ist. was in Vorarlberg heißt, daß Chef und Angestellter vom Morgen bis zum Abend in Freud und Leid nebeneinander arbeiten und sich gegenseitig aus ihren Sorgen kein Hehl machen, ging die Produktion rasch in die Höhe. Langjährige Erfahrungen lehrten schon in der Zeit, da noch alles verkauft werden konnte, was den Leib bedeckte und den Magen beruhigte, daß das Haus für jene Zeit bestellt werden müsse, da dies nicht mehr so ist. Einen

Steinwurf weiter, über dem Rhein, wenn man zum Wochenende durch die Straßen von Sankt Gallen oder Zürich ging, wußte man, was man selbst in wenigen Jahren zu leisten hatte. Man sah in die Schweizer Fabriken hinein und war im Bilde, daß man neue Maschinen haben mußte.

Das war neben den praktischen Vorteilen einer mit der Zeit sehr hilfsbereiten Besatzung, mit deren Vertretern man als Gleich und Gleich an einem Tisch saß, ein zweiter Vorteil, der den planenden Geist vorauseilen ließ. Im Ländle mit seinen 200.000 Einwohnern, wo der Boden nur einen Bruchteil der Familien ernähren kann, lag alles bei der Industrie. Aus Wien verlagerte Betriebe kamen dazu, und mit den Jahren bemerkte man staunend, daß auch die vertriebenen Sudetenfabrikanten, die sich hier zuerst selbst an den Webstuhl und Strickautomaten stellten, wieder Fabrikanten waren. Das niedrige Preisniveau in Oesterreich brachte Devisen durch ausländische Touristen ins Land. Und ob es die Gastbetriebe selbst erfaßten oder sich von der investitionsfreudigen Industrie anstecken ließen, der Bettenbau hatte Konjunktur, die Hotelbauten nahmen zu. Schließlich entstanden aus der rein privaten Initiative vorsorglicher Wirtschaftler die nützliche Kombination von „Brot und Spiele“. In Dornbirn die Textilmesse, in Bregenz die Festspiele. Beide rasch anwachsend aus privater Förderung, Land und Staat viel nützend und nichts kostend.

Daß sich die Theorie vom „goldenen Westen“ nicht hielt, war eine Folge der Tatsache, daß jeder sein Gold erst erarbeiten mußte, der herkam. Daß aber schließlich auch das „Musterländle“ trotz günstigster Landesbudgets in Ungnade bei seinen Propagandisten fiel, war in dem Umstand begründet, daß hier das zugereiste fremde Weltanschauungsgut nur schwer an den Mann zu bringen war. Aber die Vorarlberger haben vielleicht auch ihre Schuld. Der ihnen nicht wichtig genug erscheinende Gewerkschaftsapparat wurde vom Rande her aufgebaut und konnte eines Tages seine Kraft erproben. Das war an einem Herbsttag dieses Jahres, als der einstündige Warnstreik gegen die Vorarlberger Preise ausgerufen wurde. Er war geschickt vorbereitet und wurde von der Mehrzahl der Gewerkschaftsmitglieder akzeptiert, da man ihm nicht auf den Grund sah, sondern hur ins unschuldige Gesicht: Protest gegen Unbekannt!

Was nach dem Streik der einmütigen Arbeitnehmer aber kam, mußte die Geister doch scheiden. Angesichts des lachenden linken Auges öffnete sich betrübt das leicht zugedrückte rechte. Kein Krieg, aber eine halbe Schlacht war für die bürgerliche Mehrheit gegenüber den sich der Mehrheit so geschickt bedienenden sozialistischen Gewerkschaftsfunktionären bereits verloren. Diese gingen mit ihrer moralischen „Vollmacht“ zum Generalangriff über. Es wurde ausgesprochen demagogisch. In ruhiger Art, nach nicht sehr ergebnisreichen Preisverhandlungen der Kammern und Landesregierung, erwiderte die Handelskammer der Parole von den

„Wucherpreisen“ in Vorarlberg. Populär zusammengefaßt ergibt dies: Erstens dürfen nicht Wiener Preise allein denen von Vorarlberg gegenübergestellt werden, sondern muß ein Bundesdurchschnittspreis gerechterweise herangezogen werden; zweitens ist zu bedenken, daß aus dem Vorarlberger Boden selbst nicht viel zur Ernährung herauszuholen ist. denn die Steine des Piz Buin und des Hohen Freschens sind nicht aus Brot; drittens sind die Transportwege ins Ländle von Wien her so weit, wie der Weg nach Berlin; viertens stehen den höheren Preisen höhere Durchschnittslöhne in Vorarlberg gegenüber; und fünftens lassen sich doch verschiedene Waren finden, die billiger als anderswo sind. Weiter kann man von der Wirkung eines starken Fremdenverkehrs auf die Preise sprechen und nicht zuletzt muß die Nachbarschaft mit dem Franken bedacht werden.

Eine gewisse, bei allem aufrechten Oester-reichertum unvermeidliche Orientierung nach der hochentwickelten Schweiz liegt in der Natur der geographischen Lage und des alemannischen Volkstums. Was aber in Vorarlberg nach reichlichem Studium der Situation den Beobachter zu höheren Preiskalkulationen kommen läßt, ist der LImstand der überdurchschnittlichen Investitionen. Diese beobachtet man bei der Industrie, dem Handel und dem Gewerbe gleichermaßen. Sie aber sichern nicht nur die Vorarlberger Vollbeschäftigung, sondern gestatteten seit manchen Jahren einen starken Arbeiterzustrom aus unterentwickelten Bundesländern, hauptsächlich aus Kärnten. Wäre das nicht gerade ein Lob von der Gewerkschaft her wert, die sich so besorgt um die Vollbeschäftigung zeigt?

Rein psychologisch versteht man ja gerade in höherentwickelten Ländern eine gewisse Beunruhigung über hohe Preise und kleine Löhne, auch wenn man eine solche Stimmung im Rückblick auf das Chaos, aus dem wir kommen, fast wie eine Sünde empfinden müßte. Der Arbeiter

sieht gerne neue Maschinen und Werkhallen als einen Uebergewinn des Unternehmers an, der ihm entzogen wurde. Leider sagt ihm seine Interessenvertretung aus demagogischen Gründen nicht, wie tödlich die Gefahr schleppender Investitionen ist. Die Linkstheoretiker kennen nur das Spiel von Löhnen und Preisen, das Wirtschaftsleben „von der Hand in den Mund“, das gegenüber den Realitäten des internationalen 'Markts, auf dem zu behaupten unsere Zukunft beinhaltet, wie eine schlechte Vogel-Strauß-Politik anmutet.

In Vorarlberg ist man heute ernstlich beunruhigt über die Störung gesunder Wirtschaftsansichten von der Gewerkschaft her, in deren Landesexekutive sich Linkskräfte häufen, die sich keineswegs auf Wahlstimmen berufen können. Auch die jetzt stattfindenden Betriebsratswahlen zeigen deutlich, daß das Vertrauen zu den bodenständigen christlichen und parteilosen Betriebsräten weiterwächst und alle Unruhen von links her an Gegenliebe verlieren.

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