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Was ist der Triester Freistaat?
Triest, im Jänner 1948.
„Bivio-Aurisiana” — Grenzstation zwischen Italien und dem Triester Freistaatgebiet, von den Triestinem nach dem bekannten Kleinauto der Fiat-Werke „Topo- lino” ironisch: „Topolinia” genannt. Ein sonderbarer Zufall: diese schicksalshafte Ortsbezeichnung — wörtlich „Abzweigung Aurisina” — hat ihren Ursprung darin, daß sich an diesem unansehnlichen Knotenpunkt inmitten des Karstes die Schienenwege der Eisenbahn in zwei Richtungen teilen: der eine führt über das Karstplateau nach Laibach, also nach Jugoslawien, während der andere Hoch über der Adria nach Triest zu läuft. Heute ist Aurisina amtliche Grenzrevisionsstelle, gleich hinter Schloß Duino bereits auf Triester Gebiet gelegen. Blau uniformierte V.-G.- („Venezia-Giulia”-) Polizei betritt den Zug und fordert die Reisenden zum Vorweisen der Einreiseerlaubnis auf. Da gibt es dann meist unliebsame Überraschungen für alle NichtTriestiner, also für alle jenej die nicht im Besitz der besonderen Identitätskarte sind, die das Privileg der „residents” ist. Der Ausländer, der oft nicht weiß, wo und wie er um eine Triestiner EinreiJeerlaubnis anzusuchen gehabt hätte, muß dann an den Toren des Freistaates umkehren, und selbst ein Diplomatenpaß kann ihn nicht vor diesem Schicksal bewahren. Man sieht; es ist ernst mit dem Triester Freistaat, ob er nun lebensfähig ist’ oder nicht!
Die Aufteilung der italienischen Provinz „Venezia Giulia” mit der Hauptstadt Triest (die etwa dem alten österreichischen „Küstenland” entsprach) auf der Pariser Konferenz 1946 brachte nur eine Scheinlösung dieser durch die weltpolitischen Umstände äußerst komplizierten Frage — nicht einmal eine Notlösung.
Nach außen hin entschieden einseitige nationale Bestrebungen über die Zukunft der Stadt und ihres Gebietes. Im gesamteuropäischen Geiste gehaltene Vorschläge zur Schaffung eines Freistaates mit einem wirtschaftlich und verkehrspolitisch lebensfähigen Staatsgebiet konnten weder erörtert noch erwogen werden. Wohl wurden der Pariser Konferenz von der Triester „Inde- pendisten”-Partei — einer Sammlung aller unter dem Leitwort „Triest den Triesti- nern” zusammengeschlossenen Interessentengruppen — durchaus diskutable Vorschläge unterbreitet. Sie sollten die national wohl strittigen, aber wirtschaftlich und verkehrspolitisch sowie traditionel! zusammengehörigen Gebietsteile zusammenschließen. Außer Triest wären auch die Städte Görz, Pola und Monfalcone, also ganz Istrien und ein Teil des Friaul bis zur gemeinsamen Grenze mit Österreich, in dieses Gebiet gefallen. Allein dieser Lebenskraft für den neuen Freistaat verheißende Vorschlag fiel sofort unter den Tisch und es kam zu einem für die westlichen Alliierten verlustreichen Kompromiß, das sich notgedrungen zu dem jetzigen Zustand ausgebildet hat.
In dem heutigen kleinen Freistaat ergaben sich nach der im Mai-Juni 1945 erfolgten Besetzung durch alliierte Truppen zwei getrennte Zonen: die eine umfaßt das Triester Stadtgebiet im weiteren Sinn mit Einschluß der Vororte und eines schmalen Küstenstreifens sowie ein bis zur sogenannten „Morgan-Linie” reichendes Stück des Karstplateaus. Es ist dies die „A”-Zone, die unter anglo-amerikanischer Militärverwaltung steht. Die „B”-Zone fiel den Jugoslawen zu, die sie autonom verwalten, und umschließt einen Teil Istriens sowie das Triester Karstgebiet. Nach Inkrafttreten des Friedensvertrages mit Italien und Abtrennung der an dieses und an Jugoslawien gekommenen Gebietsteile der „Venezia Giulia” sollten beide Zonen zum Rumpfgebilde des Triester Freistaates zusammengeschlossen werden und bis zur Bestehung eines Gouverneurs durch den Sicherheitsrat der UN unter paritätischer alliierter Verwaltung stehen. Aus dem Provisorium wurde ein Dcfinitivum: die „A”-Zone, die Stadt Triest, steht weiterhin unter anglo-amerikanischer Verwaltung, während die „B”-Zone mit der Hauptstadt Capodistria von Jugoslawien administriert wird. Zur Erledigung der laufenden, beide Gebietsteile betreffenden Geschäfte, zu denen vor allem die Ernährungsfragen gehören, finden regelmäßige Zusammenkünfte beider Verwaltungszentren statt, deren Arbeit sich nicht ohne Reibungen vollzieht. Für wie dauerhaft die Zweiteilung des Freistaates angesehen wird, kann man daraus ersehen, daß die „B”-Z one in die kilometertief ins Innere Istriens reichende militärische Schutzzone Jugoslawiens einbezogen wurde.
Abgesehen von der Erschwerung und Behinderung der Verhältnisse des täglichen Lebens, die dieser Dualismus zur Folge hat, reagiert er ungeheuer empfindlich auf alle weltpolitischen Schwankungen zum Schaden einer Normalisierung der Beziehungen Triests zu seinen Nachbarländern, vor allem des Handels- und Transitverkehrs.
Noch deutlicher wird die Zweispaltigkeit des neuen Gebildes bei Prüfung seiner völkerrechtlichen Unterlagen: diese sind der Friedensvertrag zwischen Italien und Jugoslawien und das „Permanente Statut” Triests Artikel 21, Absatz II, des Friedensvertrages und Artikel 2 des Statuts legen den Grundsatz fest, daß „die Integrität und Unabhängigkeit des Triester Freistaates vom Sicherheitsrat der UNO garantiert werden”. Es ist einleuchtend, daß diese Sicherheitsklausel jederzeit durch das Veto einer Großmacht wertlos werden kann. Würden eine oder mehrere Großmächte eine individuelle Garantie der Sicherheit des Freistaates übernehmen, so stände ein eventueller Vertragsbruch diesem gegenüber unter viel stärkeren Sanktionen.
Da die Ernennung eines, über eine entsprechende Regierungsgewalt verfügenden Gouverneu rs bisher unterblieb und aller Wahrscheinlichkeit nach noch lange ausbleibt, wird die gegenwärtige Militärverwaltung wohl wie bisher praktisch fortbestehen, wenn auch mit der Zeit eine gewisse Verwaltungsautonomie in technisch-bürokratischer Hinsicht Platz greifen wird. Das „Permanente Statut” könnte erst durch Beschluß des Sicherheitsrates der UN in Kraft gesetzt werden, aber dies würde kaum vor Ernennung des Gouverneurs geschehen. Dann erst müßten die Truppe der Besatzungsmächte das Gebiet des Triester Freistaates bis zu einem gewissen Termin verlassen, falls nicht der Gouverneur einen zeitlich begrenzten Aufschub der militärischen Räumung wünscht. Unklar ist in einem solchen Falle, ob die Truppen der Besatzungsmächte dann als unmittelbare Organe ihrer Länder oder als Sachwalter der UN anzusehen sind. Darüber gibt das .Permanente Statut” keine eindeutige Auskunft. Fragezeichen steht neben Fragezeichen. wenn von der Zukunft dieser Stadt die Rede ist.
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