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Österreich muh sein Schweigen brechen

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Das Londoner Liebereinkommen brachte den Anschluß des Freistaates Triest an Italien. Alle vier Staaten, die Oesterreich besetzt halten, haben diesem Uebereinkommen ihre Zustimmung gegeben. Triest ist also nicht mehr ein politisches, sondern nur mehr ein wirtschaftliches Problem. Der Inhaber des Hafens, Italien, die Anrainer, das wirtschaftliche Hinterland und bis zu einem gewissen Grade auch die katholische Kirche werden nunmehr dazu gedrängt, dieser neuen Lage gegenüber Stellung zu beziehen. Somit fällt auch Oesterreich die Aufgabe zu — abgesehen von dem obersten Ziel der Erreichung des Staatsvertrages —, sich endlich intensiv mit dem Problem Triest zu beschäftigen.

Triest ist für OeJterreich von eminent wirtschaftlicher Bedeutung, die mit keiner althergebrachten Sentimentalität in Zusammenhang gebracht werden darf. Eine Nichtstellungnahme Oesterreichs in wirtschaftlicher Hinsicht würde die Krise Triest, die nach dem Londoner Liebereinkommen keineswegs abgeschlossen und mit deren weiteren Entwicklung zu rechnen ist, zu seinen Lasten schreiben. Das Schweigen Oesterreichs würde Triest wieder zu einer ausschließlich politischen Frage mit allen Konsequenzen werden lassen.

Wie ist nun die Lage heute? Im großen und ganzen handelt es sich um die alten Problemstellungen, mit denen sich einstens mutatis mutandis unsere kaiserlichen Statthalter und Seebehördenpräsidenten zu befassen hatten, mit dem bedeutsamen Unterschied allerdings, daß der Reichtum, den das einstens geschlossene Hinterland Triest zu bieten vermochte, diese Lösung weit leichter möglich gemacht hat. Triest ist ja 1945 zu einer Art Niemandsland geworden, um das der Kommandant der durch Italien hcraufrückenden englischen Armee, General Alexander, und Tito an der Spitze seiner vorerst in Triest eingedrungenen Partisanen kämpften. Der Friedensvertrag von 1947 schuf dann das „Territorio libero di Trieste“, und diesem folgte schließlich die Angliederung an Italien. Heute ist, wenn nach außen hin und für Laien gesehen vielleicht auch alles in bester Ordnung scheint, das Problem Triest nach wie vor ungelöst und akut.

Der Abzug der alliierten Truppen hat eine Anzahl von vielen tausend Personen, die bisher bei den Alliierten ihren Verdienst fanden, ihres Einkommens beraubt. Die teils unter dem Druck der Alliierten, teils aus politischen Motiven in Hinblick auf Triest, gegebenen Subventionen Italiens, werden von nun ab, trotz aller. Presseerklärungen, spärlicher fließen. Jugoslawien wird Triest in dem Maß, als es Krisen ausgesetzt ist, teils aus dem Gesichtswinkel seiner Protektoratsstellung, teils aus seiner gegen Italien gerichteten Politik, immer als Instrument betrachten. Es ist mit größter Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß eine zurückgehende Beschickung des Hafens zu einer Verelendung der arbeitenden Bevölkerung Triests führen müßte, die ein solches Abgleiten zu Demonstrationen benützen würde.

Außerdem liegt Triest nun im Bereich der italienischen Demokratie, einer Demokratie, in der innerhalb der verschiedenen Parteien auch die verschiedenartigsten Auffassungen über das Problem Triest herrschen. Zeitungsartikel, wie zum Beispiel ein Beitrag des „Corriere d’informa- zione", verstiegen sich sogar zu der Feststellung, daß nicht mehr der Hafen von Triest von Interesse sei, sondern die nunmehr möglich gewordenen Industriegründungen in Zaule. Oesterreich wurde in diesem Artikel einfach totgeschwiegen.

Aus dem Gesichtswinkel gewisser italienischer Kreise betrachtet, ist Triest das Sprungbrett auf den Balkan und damit Ausgangspunkt für das alte Ziel des „Mare Nostrum Adriaticum". Nach italienischer Auffassung darf Triest niemals mehr zu einem Ansatz für das Wiedererstehen eines geeinten Donauraumes werden. Die Angst vor der einstigen Habsburger-Monarchie ist dabei eine der vorherrschendsten Triebkräfte. Genua, Venedig und Livorno wünschen aus materiellen Konkurrenzrücksichten die Kontrolle und Zügelung des Triester Hafens. Es sind die ähnlichen Beweggründe, die einst Italien dazu veranlaßten, nach Beendigung des ersten Weltkrieges den Besitz von Fiume anzustreben und durch die Ausschaltung der Selbständigkeit dieses Hafens den ersterwähnten Häfen den Vorrang zu sichern. Das gegenwärtige Interesse Italiens an Triest ist in erster Linie wohl ein Ablenkungsmanöver für die außerordentlich schwierige Innenpolitik der Ministerien Pella und Scelba.

Anderseits ist der Drang des Balkan-Slawentums nach einer beherrschenden Position im adriatischen Raum ein uraltes Faktum. Das Bestreben des jungen Staates Jugoslawien, das Vordringen des italienischen Imperialismus zu verhindern, ist die korrelative Aktion gegen die italienischen Bestrebungen, das „Mare Nostrum“ zu erreichen. Dabei strebt auch Jugoslawien die Kontrolle und Zügelung des Triester Hafens zugunsten seiner eigenen Häfen an. Auf Grund des beträchtlichen slawischen Anteils der Bevölkerung Triests, wird sich Jugoslawien immer für berechtigt halten, an dem Geschehen auf diesem Territorium und . dem Geschick seiner Bevölkerung entsprechenden Anteil zu nehmen.

Somit ist also Oesterreich in erster Linie berufen, eine Stellungnahme zugunsten Triests zu beziehen. Schon in den Wirren der ersten Nachkriegsjahre war die Bevölkerung Triests, in Erinnerung an die österreichische Vergangenheit und die schweren Schäden, die es unter der italienischen Herrschaft erlitten hatte, aller faschistischen Experimente so überdrüssig, daß es sehnsüchtig auf ein Wort aus dem österreichischen Norden wartete. Allerdings war man sich in Triest nicht recht klar darüber, wie schwer gerade in dieser Zeit die Situation Wiens geworden war. Wenn aber Oesterreich jetzt oder in nächster Zukunft ebenfalls keine Position bezieht, wird es sich in den Augen der Triester Bevölkerung mitschuldig machen und die schweren Fehler Italiens zu seinen Lasten verkitten helfen. Es darf auf keinen Fall zu einer Verschleierung der Tatsachen kommen, und Oesterreich hat die Pflicht, seine berechtigten Forderungen im Hinblick auf Triest anzumelden. Oesterreich kann es nicht mehr länger auf sich nehmen, zu schweigen oder sich in den entscheidenden Fragen einfach übergehen zu lassen.

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