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Italiens europäische Mission

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Zwei europäische Nationen sind mehr als alle anderen infolge ihrer geographischen Lage an einer europäischen Friedensordnung interessiert: die deutsche und die italienische. Bei der italienischen kommt noch hinzu, daß sie von Natur friedfertig ist und es ihrem Lande an Kohle und Eisen zu einer unabhängigen Kriegführung gebricht. Das italienische Volk hat zu jeder Zeit Beweise seines Verständnisses für eine europäische Ordnung auf breiter Grundlage gegeben. Ein so ungestümer Revolutionär wie Mazzini setzte sich in seinen jungen Jahren als Emigrant in der Schweiz mit einer von ihm herausgegebenen Zeitschrift für eine europäische Union ein. Nach der nationalen Einigung Italiens schloß sich das Königreich der Bismarckschen Friedensordnung an, wiewohl seine Ansprüche auf Trient und Triest unbefriedigt geblieben waren. Selbst Mussolini wollte noch mit seinem Vorschlag eines Viermächtepaktes, der an dem Einspruch der ehemaligen „Kleinen Entente“ scheiterte, die Grundlage eines einigen Europa schaffen. Heute ist der Gedanke eines europäischen Zusammenschlusses, wenn man von Schuman und Adenauer absieht, in keinem europäischen Staatsmann so kraftvoll verkörpert wie in dem italienischen Außenminister Graf Sforza.

Ein mehr als zwanzigjähriges Exil während seiner besten Mannesjahre hat ihm zu der angeborenen, staatsmännischen Begabung noch jene politische Überlegenheit verliehen, mit welcher er in seiner gegenwärtigen Aufgabe sich durch Verletzungen des italienischen Nationalgefühls an der Verfolgung großer Ziele nicht abhalten läßt, deren Erreichung ihm auf weite Sicht hinaus vordringlicher erscheint als dieser oder jener augenblickliche Vorteil. So ist er über die Tatsache, daß sich Frankreich im Friedensvertrag mit Italien einen Streifen savoyischen Gebietes hat zubilligen lassen, ohne weiteres hinweggegangen, als er den Plan einer italienisch-französischen Zollunion mit einem Elan entwickelte, der leider im französischen Parlament nicht die notwendige Erwiderung fand. Die jugoslawischen Maßnahmen in der Triester B-Zone, die zeitweise heftige Reaktionen in der öffentlichen Meinung Italiens hervorriefen, waren für Sforza kein Hindernis, immer wieder eine direkte Verständigung mit Belgrad zu suchen. Und die kolonialen Opfer, die ihm die Westmächte zumuteten, haben ihn nicht gehindert, dem Anschlüsse Italiens an die Abmachungen des Atlantikpaktes auf Anraten der amerikanischen Regierung seine volle Zustimmung zu geben. Seit dem offenen Konflikt zwischen Moskau und Belgrad geben die Westmächte gelegentlich sogar zu erkennen, daß ihnen Rücksichten auf Jugoslawien unter Umständen politisch wichtiger sein können als solche auf Italien. Wenn man dazu nimmt, daß von den Regierungen, in deren Macht es läge, etwas zur Erleichterung des Problems der italienischen Uberbevölkerung zu tun, bisher in dieser Richtung nichts geschehen ist, kann man es begreiflich finden, wenn in der italienischen Presse und in Montecitorio häufig Ausbrüche gegen die westliche Orientierung des Graf Sforza vorkommen, wie das jüngst wieder einmal anläßlich der Veröffentlichung des Berichtes Feldmarschall Lord Alexanders über die italienische Kriegführung an der Seite der Alliierten geschehen ist. Diese Politik der Westmächte hat Sforza, seitdem er im Amte ist, gezwungen, gegen den Wind zu segeln, und hat ihm in oppositionellen Kreisen den Beinamen eines Verzichtleisters, eines „renuncia-tore“ eingetragen. Doch sein persönliches Ansehen und die hohe Anerkennung, die seinem politischen Mute gezollt wird, sind viel zu groß, als daß dieser Beiname, der jedem andern Minister gefährlich werden müßte, seine Stellung bisher in irgendeiner Weise erschüttern konnte.

Von Zeit zu Zeit taucht in der Presse der Gedanke eines Mittelmeerpaktes auf, der nach amerikanischer Ansicht den Atlantikpakt ergänzen sollte. Es ist möglich, daß dem italienischen Außenminister bei der geduldigen Taktik, mit der er das Triester Problem und das der ehemaligen italienischen Kolonien behandelt, die Absicht vorschwebt, sein Land für die führende Rolle in einem Paktsystem bereitzuhalten, das im östlichen Mittelmeerbecken die Aufgabe haben müßte, die christlich-westliche Zivilisation gegen das Eindringen östlich-kommunistischer Einflüsse zu schützen. Die Diplomatie Sforzas läßt sich besonders die Pflege herzlicher Beziehungen zur Türkei und zu Griechenland angelegen sein. Sforza war es auch, der die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Griechenland und Jugoslawien gefördert hat. Sosehr ihm natürlich die Rückkehr Triests in den italienischen Staatsverband am Herzen liegt, so wenig scheint er gewillt, sich wegen dieser Frage in eine Spannung zu Jugoslawien drängen zu lassen, die ihm als ein Handikap für größere Pläne erscheint. Die Erregbarkeit der italienischen öffentlichen Meinung wegen Triests ist ihm ebenso unbequem wie dem westdeutschen Bundeskanzler der Lärm wegen der saarländisch-französischen Abkommen war. Staatsmänner, die überzeugt sind, daß die Rettung Europas von der Einigung Europas abhängt, können sich durch solche Probleme zweiten Ranges nicht wie ein Schwimmer von Schlinggewächsen in die Tiefe ziehen lassen, sie müssen trachten, darüber hinweg vorwärtszukommen.

Graf Sforza verfügt indessen über ein viel zu umfangreiches Wissen von den politischen Zuständen im südlichen Europa und im Nahen Orient, um die Schwierigkeiten zu unterschätzen, die sich hier dem Abschlüsse eines Bündnisses nach Art der Westunion oder des Atlantikpaktes in den Weg stellen. Die Auffassungen der interessierten Mächte über den Kreis und die Orientierung eines Mittelmeerpaktes gehen vorläufig noch zu weit auseinander. Die Situation wird hier noch durch die Erinnerungen an französische und britische Protektorate, durch das Dardanellenproblem und durch die Interessen an den vorderasiatischen ölgebieten beherrscht. Dazu kommen heute die Gegensätze zwischen den arabischen Staaten und Israel, die Rivalitäten inerhalb der arabischen Staaten sowie gewisse britische Bestrebungen, solche Spannungen machtpolitisch auszunutzen. In der jüngst zustande gekommenen arabischen Liga zeigen sich beachtliche Neigungen, mit der Sowjetunion in ein freundschaftliches Verhältnis zu treten, um der Unterstützung zu begegnen, welche die Vereinigten Staaten Israel gewähren. Alle Länder des östlichen Mättelmeerbeckens, in denen die Unterschiede zwischen reich und arm prädominieren, wie vor allem Ägypten und Libanon, sind natürlich der Ausbreitung kommunistischer Einflüsse zugänglich. Die Kominform hat in solchen Gebieten namentlich dann ein leichtes Spiel, wenn sie gleichzeitig auch noch auf Vorherrschaftstenclenzen westlicher Regierungen hinweisen kann.

Diesen schwierigen und verworrenen Verhältnissen steht das heutige Italien neutral gegenüber. Das bedeutet für die italienische Außenpolitik einen großen Vorteil, den Graf Sforza im gegebenen Augenblick sicherlich wahrnehmen wird. Sein Konzept eine Mittelmeerpaktes weicht daher von dem ab, das unter dem

Drucke des amerikanisch-russischen Antagonismus heute in Washington oder London besteht. Es ist weit weniger militärisch und auch weniger wirtschaftspolitisch betont. Sforza sieht hier d i e Aufgabe Italiens in einer zivilisatorischen Führung der östlichen Mittelmeer-1 8 n d e r, in deren geistigem und kulturellem Anschluß an Europa, in der Europäisierung der Küstenländer des östlichen Mittelmeers. Für die Politik, die Graf Sforza in diesem großen Wirkungsgebiete des einstigen römischen Imperiums verfolgt, gelten .die Worte Rankes, die dieser der Orientpolitik des Papstes Sixtus V. widmete: „Unser europäisches Gemeinwesen hat sich noch niemals dem Gebote der reinen Gewalt unterworfen; nod ist es in jedem Momente mit Ideen erfüllt; es kann kein wichtiges Unternehmen gelingen, keine Macht zu allgemeiner Bedeutung emporsteigen, ohne daß zugleich in den Gelstern das Ideal einer hervorzubringenden Weltordnung erschiene.“ Sigma

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