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Triest und der Staatsvertrag

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In der Antwortnote vom 14. August hat die Sowjetunion betont, daß die internationalen Abkommen zwischen den westlichen Großmächten und der Sowjetunion nicht eingehalten wurden; dabei wurde besonders auf die Bestimmungen des Friedensvertrages mit Italien über Triest hingewiesen und der Vorwurf erhoben, daß die internationalen Verpflichtungen, die von den drei Mädchen bezüglich Triest übernommen wurden, schon seit Jahren nicht eingehalten würden. Es bestehe daher die Befürchtung, daß das gleiche Schicksal auch den Vertrag mit Österreich treffen könne. Somit haben — zu diesem Schluß gelangt die russische Note — die Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs voll und ganz die Verantwortung für die augenblickliche Lage des Staatsvertrages zu tragen.

In einer Regierungserklärung vom 15. Jänner 1948 betonte der österreichische Bundeskanzler im Nationalrat, daß es neben den Hauptfragen noch eine ganze Reihe anderer Fragen gebe — wie die der Sicherheit, des freien Verkehrs mit Triest —, die dem Staatsvertrag (dieser schließt bekanntlich die Anerkennung des Friedensver- trages mit Italien ein) eine besondere Aufgabe zuweisen. Ein Zusammenhang der Triester Frage mit dem Staatsvertrag steht also außer Zweifel. Es hat daher befremdet, daß kürzlich von ministerieller Seite die Frage: „Was hat der österreichische Staatsvertrag mit dem Freistaat Triest zu tun?" aufgeworfen und hinzugefügt wurde, „daß dieser Zusammenhang zu den strenggehüteten Geheimnissen der sowjetischen Diplomatie gehöre“.

Dieser Zusammenhang reicht schon einige Jahre zurück. Um dem internationalen Handel die Benützung des Triester Hafens zu sichern, wurde als Ersatz der im Staatsvertrag von St.-Germain sowie im Accord von Rom vom 25. März 1923 enthaltenen Bestimmungen ein eigenes Statut über ein internationales Regime festgesetzt. Nach diesem Statut wird für deri Triester Freihafen ein öffentliches Unternehmen gebildet und als solches verwaltet werden. Artikel 21 des Statuts sieht die Einsetzung einer internationalen Freihafenkommission vor, die sich aus Vertretern aller beteiligten Staaten, also auch Osterreichs, zusammensetzt. Das Statut bestimmt weiter, daß der Freistaat und die Staaten, die an der internationalen Kommission beteiligt sind, das Notwendige veranlassen werden, um den Transitverkehr in jeder Hinsicht nach Möglichkeit zu beschleunigen und ungestört zu angemessenen Tarifen abzuwickeln. Nach den Bestimmungen des Statuts kann aber alles das erst durch Beschluß des Sicherheitsrates der UNO in Kraft gesetzt werden und setzt die Ernennung eines Gouverneurs voraus. Bisher ist diese Ernennung nicht erfolgt, da sich merkwürdigerweise die Großmächte über die Person des Gouverneurs nicht einigen konnten. Es blieb daher die Militärverwaltung in der Zone A des Freistaates fortbestehen, während die Zone B des Freistaates von Jugoslawien besetzt bleibt.

In dieser Entwicklung trat eine entscheidende Wendung ein, als die Westmächte, die seinerzeit im Vertrag von St.-Germain Triest Italien zugesprochen hatten, mit dem Dekret vom 20. März 1948 in Abänderung der im neuen Friedensvertrag mit Italien vorgesehenen Internationaliserung des Triester Hafens die vollständige Rückstellung an Italien initiierten. Dieser Vorschlag der Westmächte wurde aber von der Sowjetunion in einer Note an die Westmächte als unannehmbar erklärt, mit der Begründung, daß der Friedensvertrag mit Italien von 21 Staaten unterzeichnet und ratifiziert wurde, während die Anerkennung durch Österreich dem Staatsvertrag vorbehalten blieb.

In der Londoner Konferenz vom 23. Mai 1950 wurde von dem Vertreter der Sowjetunion Zarubin die Fortsetzung der Staatsvertragsverhandlungen von der Durchführung des Friedensvertrages mit Italien abhängig gemacht. Bei einem Besuch in London erklärte der italienische Ministerpräsident, daß die Art der Lösung der Triester Frage entscheidend für die Zusammenarbeit zwischen Italien und den Westmächten sein werde. Er stellte an die britische Regierung die Anfrage, ob sie sich nach wie vor an die mit den Vereinigten Staaten und Frankreich am 20. März 1948 abgegebene Erklärung gebunden halte, wonach das gesamte Triester Gebiet — inklusive der jugoslawischen Zone — an Italien zurückfallen soll. Die englische Regierung bekräftigte diese Erklärung als nach wie vor bindend, mit der Einschränkung, daß obige Erklärung als Grundlage von Verhandlungen zwischen Italien und Jugoslawien dienen müsse.

Im Oktober 1951 erklärte die Sowjetregierung auf einen Beschluß der Westmächte, den italienischen Friedensvertrag zu revidieren, daß sie keine Einwendung gegen eine Revision des Friedens Vertrages mit Italien und eine Revision der ihm durch diesen Vertrag auferlegten Beschränkungen sowie gegen eine Aufnahme Italiens in die Organisation der Vereinten Nationen erhebe, wenn die gleiche Revision auch in den Friedensverträgen mit Bulgarien, Ungarn, Finnland und Rumänien durchgeführt und die Aufnahme dieser Länder in die Vereinten Nationen vollzogen werde,' da diese Nationen während des Kriegs in der gleichen Stellung wie Italien waren. Die Westmächte gaben hierauf eine formelle Erklärung ab, in der sie die Rückgabe des gesamten Gebietes von Triest an Italien befürworteten. Anderer

seits bestand aber Marschall Tito immer noch darauf, daß zwar die Stadt Triest selbst an Italien, der größte Teil des übrigen Gebietes jedoch an Jugoslawien fallen solle.

Am 9. Mai d. J. unterzeichneten Amerika, England und Italien im englischen Außenministerium ein Abkommen, durch das Italien einen Anteil an der Verwaltung der Zone A des Freigebietes von Triest erhält. Die Verantwortung für die Verwaltung dieser Zone bleibt nach wie vor in den Händen der englisch-amerikanischen Militärregierung, jedoch erhält der englische Generalgouvemeur einen italienischen politischen Berater. Seither haben die Alliierten Militärbehörden des Freistaates Triest der Ernennung von Dr. Giovanni Vitelli zum ersten italienischen Direktor der alliierten Verwaltung von Triest zugestimmt. Diese Ernennung ist der erste Schritt zur Verwirklichung der Londoner Beschlüsse über eine stärkere Mitwirkung Italiens bei der Verwaltung der britisch-amerikanischen Zone A von Triest.

Die Stellungnahme der englischen Regierung hat den Anlaß zu wiederholten

Kundgebungen in Jugoslawien gegeben. Bei einer dieser Kundgebungen erklärte der slowenische Minister Marinko, daß Italien mit seinen „imperialistischen Gelüsten" ein Element der Aggression in den Atlantikpakt einschleppe.

Obwohl nur noch einige Punkte in dem Entwürfe des Staatsvertrages mit Österreich zur Behandlung standen, hatten die Sowjets einen Abschluß der Verhandlungen abgelehnt, bevor nicht die Triester Frage von den westlichen Vertretern in zufriedenstellender Weise behandelt werde. Der Westen widersetzte sich aber bisher dieser Forderung, da er einen Zusammenhang der Triester Frage mit dem Staatsvertrag nicht anerkennen will. Tatsächlich kann aber der Friedensvertrag mit Italien nicht durchgeführt e werden, ehe er nicht von Österreich im Staatsvertrag anerkannt worden ist.

Amerika und England überreichten der russischen Regierung Noten, in dienen der russische Vorwurf vom 24. Juni d. J. widerlegt wird, daß das von den beiden Staaten mit Italien abgeschlossene Verwaltungsabkommen über Triest eine Ver

letzung des italienischen Friedensvertrages sei und eine Verewigung der militärischen Besetzung Triests bezwecke. Die Westmächte wiederholen in ihren Noten, daß sie nie Flottenstützpunkte oder Marineanlagen in Triest besessen haben. Wohl aber erlaube ihnen der italienische Friedensvertrag Truppenkontingente bis zu 10.000 Mann in der von ihnen verwalteten Zone Triests. Das Verhalten der Sowjetunion seit der Unterzeichnung des italienischen Friedensvertrages habe es unmöglich gemacht, die darin vorgesehene Lösung — Verwandlung Triests in einen Freistaat unter dem Mandat der Vereinten Nationen — zu verwirklichen.

Unsere wirtschaftlichen Beziehungen zu Italien sind nunmehr an einem Punkt angelangt, wo lebenswichtige Interessen Österreichs, das fast mit 80 Prozent an dem Triester Hafen beteiligt ist, auf dem Spiele stehen. Leider wurde Österreich seither keine Möglichkeit gegeben, durch seine Mitwirkung an den betreffenden Verhandlungen beizutragen. Leider hat es der österreichische Nationalrat bisher unterlassen, dort einzugreifen, wo ein dringendes Bedürfnis nach Klärung vorhanden ist. Auch in der Südtiroler Frage beispielsweise mußte erst vor kurzem Nationalrat Professor Dr. GSchnitzer feststellen: „Im italienischen Parlament wird über Südtirol

debattiert und im englischen Unterhaus werden Anträge gestellt. Wann erhält aber das österreichische Parlament Gelegenheit, seine Stimme zu erheben?"

Die gleichen Vorhalte könnten auch in der Triester Frage erhoben werden.

Die Entwicklung der Triester Frage wird übrigens auch im Ausland mit Aufmerksamkeit verfolgt. So hat uns der „Corriere di Trieste" vorgeworfen, daß wir uns zu wenig um Triest kümmern. Österreich habe Triest vergessen, das einst seine Pforte zur Welt gewesen ist und wo es heute noch vitale Interessen besitzt, mehr als jeder andere Staat. Und eines der angesehensten Schweizer Organe, „Die Weltwoche", drückt in einem Artikel, der Triest als Prüfstein europäischer Staatskunst bezeichnet, seine Verwunderung darüber aus, daß die Westmächte Österreich bisher überhaupt noch nicht um seine Meinung gefragt haben.

Der Besuch Edens in Jugoslawien und Österreich hat die Diskussion über Triest wieder stärker belebt. Unter Hinweis auf die nach wie vor gültige Dreimächteerklärung vom 20. März 1948 wird festgestellt, daß das gesamte Problem Triest noch immer auf demselben Punkte wie vor einigen Monaten hält. Bemerkenswert erscheint die Tatsache, daß im Zusammenhang mit dem Staatsbesuche Edens in englischen Zeitungen viel von einem Plan gesprochen wird, nach dem sich Italien und Jugoslawien in der Errichtung eines Kondominions über das gesamte jetzige Freigebiet Triests — also ohne Beteiligung Österreichs — einigen sollen — ein Beweis dafür, wie dringend gerade jetzt noch das Mitspracherecht Österreichs an dem Gesamtkomplex wäre.

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