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Ohne Denkmalschutz: Verfall

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Im Parlament der jugoslawischen Teilrepublik Slowenien kam es 1965 zu einer Abstimmung „gegen“ oder „für“ die Errichtung eines Kraftwerkspeichers im Talkessel von Bovec (Flitsch, Plezzo, 483 m) am oberen Isonzo (Soca), inmitten der Julischen Alpen.

Gegen den Bau des Speichers fährten die zahlreichen nationalen Verbände Sloweniens wie auch mehrere bekannte Persönlichkeiten eine scharfe Kampagne. Die Lage dieses verhältnismäßig großen Raumes inmitten der Julischen Alpen bezeichneten sie als eine des Naturschutzes würdige Rarität. Eine künstliche Überschwemmung des Talkessels käme der Zerstörung eines der attraktivsten Gebiete Sloweniens gleich und sei daher von nationaler Bedeutung.

Statt der Errichtung des Kraftspeichers, die vom slowenischen Parlament in Ljubljana abgelehnt wurde, und um die schwere wirtschaftliche Lage der Bevölkerung in den Alpentälern zu verbessern, hat man nun oberhalb von Bovec, im Hochland um Kanin (2585 m), ein Wintersportzentrum errichtet, das mit Hilfe einer Seilbahn direkt von Bovec (483 m Seehöhe) aus zu erreichen ist, was Bovec eine Wintersportsaison von November bis Mai ermöglicht. Nach der Erschließung der Wintersportgebiete um Kanin schalteten sich auch die Laibacher Großunternehmungen ein, die sich vorher gegen Investitionen in diesem Gebiete gewehrt hatten, und erwarben sämtliche Hotels von Bovec.

Inzwischen steht aber bereits die Errichtung eines anderen Speichers in den Julischen Alpen, 20 Kilometer südlicher, bei Kobarid (Karfreit, Ca-poretto), zur Debatte. Durch die Sperre der Isonzoschlucht bei Kobarid erhoffen sich manche Wirtschaftskreise billigen Strom, der aber dem Energiemangel in Slowenien immer noch nicht abhelfen würde. In der slowenischen Presse erhitzen sich die Gemüter für und wider und auf seiten der Planer bemüht man sich, die Bevölkerung zu überzeugen, daß die Errichtung des Kraftwerkes „gar nichts“ zerstören würde.

Wer einmal von Tarvis (Tarvisio, Trbiz) über den Predil-Paß (1156 m) in das Isonzo-Tal fuhr und ihm entlang zum Meer bei Triest oder Köper, der versteht, warum die Zerstörung des Isonzo-Tales so ungeheuren Schaden verursachen würde. Auf einer Route von hundert Kilometern geht dort die Landschaft der Alpen in die mediterrane über. Hier die hohen Gipfel, Triglav (2863 m), Jalo-vec (2643 m), Km (2245 m), dort der Isonzo mit seinen weißen „prodi“ (Schotter- und Sandbänken) und die Bergwiesen, die Almen. Südlicher dann, um Götz (Gordzda, Gorica) die Weingärten und vor der Küste einerseits die hohen Karst-Plateaus, anderseits die Friaulische Ebene.

Doch nicht nur die Schönheiten der Natur machen den Einheimischen dieses Gebiet so teuer. Der Isonzo und die Julischen Alpen sind eng mit ihrem Leben, ihrer Arbeit, ihrer Kultur verbunden.

Der Triestiner Alpenpoet Doktor Julius Kugy hat einst die majestätischen Alpentäler und ihre Bewohner besungen, besonders das Trenta-Tal am oberen Isonzo, unter dem Triglav, wo er sich ein Alpinum, „Juliana“ genannt, errichtet hatte. Unter seinen Werken finden sich die Bücher „Aus dem Leben eines Bergsteigers“, „Die Julischen Alpen im Bilde“, „Arbeit, Musik, Berge — ein Leben“.

Vor zweihundertsechzig Jahren, 1713, brach in Tolmin (Tolmein) der letzte slowenische Bauernaufstand aus und verbreitete sich über das ganze Küstenland. Die Geschichte dieser Rebellion fand einen dokumentarischen Niederschlag in den Werken der slowenisch-küstenländi-schen Schriftsteller, vor allem in den Romanen des großen Ivan Prgelj („Die Leute aus Tolmin“) oder in den Gedichten des Alojz Gradnik aus dem Görzer Hügelland an derslowerusch-friaulisch-italienischen Sprachgrenze, eines Poeten mit italo-slawischer Seele („Un poeta dalFanima italoslava“), wie er vor kurzem von einem italienischen Schriftsteller bezeichnet wurde. Ein anderer Poet, Simon Gregorcic, prophezeite in einer Vision schon gegen Ende des vorigen Jahrhunderts dem Isonzo einen Sturm, der vom Süden kommen und über seine Talebenen toben werde, ein bitteres Stahlgewitter...

Die Kriegsfront, die im Jahre 1915 am Isonzo und am Karst stand, war eine besonders harte und blutige. Die österreichische Verteidigungslinie befestigte sich vor dem anstürmenden italienischen Heer an den steilen Abfällen der Julischen Alpen, die sich gut verteidigen ließen. Zahlreiche Laufgräben und Kavernen auf den Bergwiesen sind noch heute zu sehen und zeugen von den harten Kämpfen. In der Bergwelt um Km finden sich im Boden noch heute die Reste der italienischen Granaten und Schrappnells. Die Versorgung der Verteidiger unter den Julischen Gipfeln war sehr schwierig. Man mußte zuallererst befahrbare Wege an den Deckung bietenden Abhängen in Seitentälern und Schluchten ausgraben. Auch sie sind heute noch teilweise erhalten. Die härtesten Kämpfe tobten oberhalb der Ortschaft Piave, In der Nähe des von den Italienern besetzten Görz, an den Anhöhen im Ubergang vom Isonzo-Tal auf die Plateaus von Bajnscice (Bainsizza) und Trnovski gozd (Ternovaner Wald). Dabei wurde die größte Wallfahrtskirche des Küstenlandes, die Sveta Gora (Monte Santo) oberhalb des Isonzo, völlig zerstört. Es gab ferner bittere Kämpfe um Kobarid (Caporetto, Karfreit) und, oberhalb von Bovec, um Kanin, Rombon und Cukla, weil sich das italienische Heer dort den Weg nach Tarvis (Tarvisio, Trbii) bahnen wollte.

Großväter, die sich in den Kämpfen am Isonzo eine Auszeichnung mit dem Bild Kaiser Franz Josephs verdient haben, trifft man heute nur noch wenige. An die Stahlgewitter erinnern die Friedhöfe und die Denkmäler mit den Namen der Kämpfer aus allen Ländern der Monarchie, Denkmäler, die heute ohne Denkmalschutz dem Verfall preisgegeben sind. In unserer Zeit des zur Schau getragenen Internationalismus vergißt man nur zu leicht auf die humanen Aufgaben oder man opfert sie einer nationalistischen und revolutionären Idee. Die großösterreichische Vergangenheit deutet man offiziell im heutigen Slowenien als Fremdherrschaft, obgleich Jugoslawien ja erst seit 1918 existiert; der Isonzo gar kam erst 1945 an Jugoslawien.

Oberhalb von Kobarid (Caporetto), beim Kirchlein von St. Anton, befindet sich der imp sante Karner der gefallenen italienischen Soldaten. Hier kam es im Jahre 1917 zum siegreichen österreichischen Durchbruch.Die österreichischen und deutschen Verbündeten stießen bis tief hinunter nach Friaul und Venetien vor und trafen erst am Piave auf Widerstand. Den Gedenkstein am Ufer des Piave, des italienischen „Fiume Sacro“, kann man noch heute vom Zug aus sehen. Andere Kamer für italienische Gefallene befinden sich bei Görz in Oslavia/Oslavje und südlich von Görz in Redipuglia/Sredipolje. In“ Udine wurde 1940 der Bau eines großen Gedächtnisdomes zur Erinnerung an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs begonnen. Eine gute Dokumentation und viele Exponate von der Isonzo-Front befinden sich in den Museen einiger Orte bei Görz und in Friaul. Sie dienen vorwiegend dem Andenken des italienischen Heeres und seiner Leistungen an der ehemaligen Kriegsfront. Demgegenüber ist es zu bedauern, daß in den Vor- und Nachkriegsjahren die tschechischen, slowakischen, österreichischen, slowenischen, kroatischen, bosnischen, ungarischen, rumänischen, ukrainischen und polnischen Autoritäten nicht einmal auf die Idee gekommen sind, ihren Gefallenen aus dem Ersten Weltkrieg ein gemeinsames Denkmal errichten zu lassen und ein Gedächtnismuseum zu gründen; das wäre ein humaner Schritt gewesen und hätte bewiesen, daß die jeweils verschiedenen politischen Systeme eine Verständigung zwischen den Nachbarvölkern des Donauraumes nicht hindern können.

Die Tragödie, die nach dem Anschluß an Italien, nach dem Jahre 1918 das Land am Isonzo heimsuchte, war in solchem Ausmaß nie erwartet worden. Schon 1920, vor dem Aufkommen des Faschismus, ging in Triest, in einer vom Irredentismus und Panslawismus vergifteten Atmosphäre, das slowenische Nationalheim in Flammen auf. Es begann die Zeit der Verbannungen, der Verhaftungen und Erschießungen, des Verbots der slowenischen Sprache, Schulen und Vereine.. Das Triester Gefängnis Coroneo symbolisiert mit seinem Namen die schicksalsvollen Ereignisse dieser langen Jahre zwischen beiden Weltkriegen. Kein Wunder, daß das ganze Gebiet zwischen den Julischen Alpen und der Adria im Zweiten Weltkrieg voll von Partisanen war, die für ein neues Jugoslawien kämpften.

Die Teilung des Küstenlandes zwischen Italien und Jugoslawien nach dem Zweiten Weltkrieg brachte die Anrainer des Isonzo in eine schwierige wirtschaftliche und kulturelle Lage. Die Abtrennung der historischen Zentren Görz und Triest verursachte eine Rand- und Grenzlage, der Zentralismus des neuen kommunistischen Jugoslawien und .seine utopische Ideologie der Verstaatlichung ruinierte die schon durch den italienischen Faschismus geschwächten Bauern- und Produktionsgenossenschaften. Die Umorientienung zur entlegenen Hauptstadt Sloweniens, Ljubljana, hat sich nie ganz bewährt. Die unter dem italienischen Faschismus entstandene Atmosphäre in dem nun angeschlossenen Küstenland, die tiefe Verbundenheit seiner Bewohner mit slowenischem Wort und Lied konnte man im kraimschen Ljubljana nie recht begreifen und ruinierte rücksichtslos, aus ideologischen Gründen, die katholischen Kirchenchöre, die als die einzigen slowenischen Gemeinschaften die faschistische Ära überlebt hatten.

Damit begann die letzte Episode nach der Zerteilung des Landes am Isonzo. Der ideologische Druck aus Ljubljana duldet im Lande kein einziges Blatt, das die bodenständige küstenländische Tradition weiterpflegen könnte. Die in Idria vervielfältigte Zeitschrift „Kaplje“ hat man erst kürzlich verboten. Die in Triest gedruckten slowenischen Zeitungen und Zeitschriften sind auf jugoslawischer Seite der Grenze nicht zugelassen. Eine Ausnahme bildet das Triester Tagesblatt „Primorski Dnevnik“, das trotz seines Namens „primorski“ (küstenländisch) jugoslawisch orientiert ist und von Belgrad unterstützt wird. Die Tagespresse aus Ljubljana, soweit nicht ideologisch ausgerichtet, bringt Aufsätze kleinstädtischen Interesses und Strips aus der westlichen Presse, halberotische Publikationen zur Förderung des Verkaufs, die der offiziellen sozialistischen Idee widersprechen. Die zwar nicht mit der sozialistischen Idee im Widerspruch stehende küstenländische Tradition lehnt man an den entscheidungsbefugten Stellen mit der Begründung ab, daß man keine Provinzialismen aus der Zeit der Fremdherrschaft und keine Zersplitterung des slowenischen Kulturraumes zulassen wolle.

So weiß heute im Lande am Isonzo kaum noch jemand, daß diesem Lande neben Schriftsteilem und Poeten auch andere angesehene Persönlichkeiten entstammen, wie etwa der in den Zeiten der Doppelmonarchie lebende Mathematiker Moc-nik, Verfasser mathematischer Schulbücher, oder der Großadmiral Haus, Kommandant der österreichischen Kriegsmarine.

Am Isonzo geht eine kulturelle und geistige Welt verloren, die sich der jugoslawischen nicht anpassen konnte.

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