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Rot-Weiß-Rot über den Meeren

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Kenntnis der vaterländischen Geschichte gehört nicht zu den charakteristischen Merkmalen des Österreichers. Die Erfahrung eines österreichischen Hochschullehrers, der, um den Bildungsgrad seiner Hörer ein wenig zu prüfen, die eigentlich nicht in sein Fachgebiet fallende Frage stellte, wann Maria Theresia regiert habe, und keine auch nur annähernd richtigen Daten zur Antwort bekam — die meisten dieser angehenden Akademiker tappten sogar über das Jahrhundert der großen Kaiserin im dunkeln —, ist nicht der einzige Beweis jener traurigen Tatsache. Hätte der Professor weiter gefragt, ob Österreich je einen Zugang zum Meer und eine Flotte besessen habe, und, wenn ja, seit wann und wie lange, dann hätten die Antworten vermutlich noch größere Wissenslücken aufgezeigt. Allerdings, mit einem lebhaften Interesse für maritime Dinge war es hierzulande auch in früheren Zeiten schlecht bestellt.

So blieben die Triester Reeder, die, den Venezianern zum Trotz, schon längst einen ansehnlichen Handelsverkehr mit der Levante entwickelt hatten, bis ins 18. Jahrhundert darauf angewiesen, ihre Schiffe, so gut es ging, zur Selbstverteidigung gegen Piraten einzurichten oder sie dem Schutz durch Kriegsfahrzeuge fremder Mächte anzuvertrauen oder ihnen, was sich oft am besten bewährte, mit Zahlungen an die Korsaren freie Fahrt zu erkaufen. Erst unter Kaiser Karl VI., der als Anwärter auf die Krone Spaniens im spanischen Erbfolgekrieg den Wert und die vielfach entscheidende Bedeutung einer Macht zur See aus eigener Anschauung kennengelernt hatte, wurde der erste Kiel einer permanenten österreichischen Kriegsflotte gelegt. Freilich, die Erschöpfung der Staatskasse durch einen bereits mehr als zehn lahre währenden Krieg und auch das Unverständnis kaiserlicher Ratgeber verhinderten die Durchführung der weitreichenden maritimen Rüstüngsprojekte, die Karl VI. unmittelbar nach seinem Regierungsantritt in Österreich entworfen hatte. Erst 1719 nahmen diese Pläne, auf ein bescheidenes Maß reduziert, Gestalt an, und so kann dieses Jahr als das eigentliche Geburtsjahr der österreichischen Kriegsmarine bezeichnet werden.

So wie Altösterreich Heer, io hat auch seine Marine von Anfang an eine starke Anziehungskraft auf die Söhne fremder Nationen ausgeübt; ob zu Land oder zur See, unter den kaiserlichen Farben zu dienen war für viele, und die Besten unter ihnen, eine Sache des Herzens und ein Gebot der Ehre. In der Liste der 29 Admirale, mit deren prägnant verfaßten und reichbebilderten Dienstbeschreibungen Heinrich Bayer (bekannt durch sein ebenfalls im Bergland-Verlag erschienenes Buch „Die k. u. k. Kriegsmarine auf weiter Fahrt”) die Geschichte der k. k. Kriegsmarine während der ersten eineinhalb Jahrhunderte ihres Bestehens Revue passieren läßt, befinden sich Iren, Engländer, Franzosen, Italiener, Niederländer, Dänen. Sie alle hatten, zusammen mit ihren Kameraden österreichischer Geburt, verdienstvollen Anteil am Aufbau und der Führung einer maritimen Wehrmacht, die trotz der chronischen Kargheit der ihr zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel Hervorragendes geleistet hat; namentlich hat sie entscheidend dazu beigetragen — ihre siegreiche Aktion gegen Marokko im Jahre 1829 und die Beschießung und Erstürmung von Saida und St. Jean d’Acre sind da besonders zu erwähnen —, dem organisierten Piratentum im Mittelmeer ein Ende zu machen. Die neuere Zeit, die vor etwa 100 Jahren den Übergang vom Segel zum Schraubenantrieb und von der hölzernen Schiffswand zum Panzer gebracht hat, konnte dem Geist, der sich in früheren Epochen unserer Wehrmacht zur See entwickelt hatte, dem Geist bedingungsloser Pflichttreue, unerschütterlichen Wagemuts und strengster Disziplin, verbunden mit vorbildlicher Kameradschaft, unbeschadet aller Rangunterschiede, nichts anhaben. Dieser Geist hat die Geschwader Tegetthoffs am 20. Juli 1866 bei Lissa über die materiell stark überlegene italienische Flotte triumphieren lassen, in einem Zusammenstoß, der in die Seekriegsgeschichte der Welt als die erste Schlacht zwischen Panzerschiffen eingegangen ist. Er hat auch die folgenden Jahrzehnte, die, bis etwa zur Jahrhundertwende, durch die unverantwortliche Kurzsichtigkeit der österreichischen und ungarischen Politiker der Kriegsmarine, fast mehr noch als dem immer stiefmütterlich behandelten Heer, dal Nötigste vorent hielten, unversehrt überlebt, um sich im Weltkrieg, der des alten Reiches Todeskampf werden sollte, in beispielloser Größe zu bewähren.

Bei Kriegsausbruch 1914 hatte die Ausbildung unserer Seeleute einen Stand erreicht, mit dem sich, nach dem Urteil britischer Experten, kaum eine andere Marine messen konnte. Auch besaß unsere Flotte einige Neubauten, wie namentlich die Schlachtschiffe der „Erzherzog-Franz- Ferdinand”-Klasse, die fremden Schiffen entsprechender Kategorie überlegen waren. Aber im Vergleich mit der Armada, die Großbritannien und Frankreich ihr entgegenstellen konnten, selbst wenn deren Seestieitkräfte größtenteils gegen die Deutschen eingesetzt wurden, war sie so schwach, daß jede operative Verwendung so gut wie ausgeschlossen erscheinen mochte; wozu sehr bald noch die sichere Aussicht kam, daß Italien, dessen Flotte für sich allein in bestimmten Schiffskategorien weit stärker als die unsrige war — bei den Schlachtschiffen war das Verhältnis ungefähr gleich, aber bei den Schweren Kreuzern 7:3, bei den Leichten 8:4, bei den Zerstörern 33:19, bei den U-Booten mindestens 35:7, und es verschob sich im weiteren Verlauf immer mehr zugunsten der Italiener —, über kurz oder lang zum Feindbund stoßen würde. Aber als dieser Fall am 23. Mai 1915 eingetreten war, vergingen nur wenige Stunden, ehe die k. u. k. Flotte unter Admiral Haus auslief, um, unbekümmert um jegliche Übermacht, die ihr begegnen mochte, die italienische Ostküste an zahlreichen militärisch wichtigen Punkten, von Venedig bis hinunter nach Barletta und Santa Maria di Leuca, unter schweres Feuer zu nehmen; eine Aktion, die nicht allein den italienischen Aufmarsch am Isonzo in der ersten, für die österreichischen Verteidiger äußerst kritischen Phase des Krieges gegen Italien um Wochen verzögert, sondern auch, gefolgt von einer langen Reihe ähnlich kühner Unternehmungen kleineren Stils, das weitere Geschehen in der Adria entscheidend beeinflußt hat. Kein größerer Flottenverband des Feindes wagte sich in österreichische Gewässer, die österreichische Küste blieb sicher vor jedem feindlichen Landungsversuch, und bis zum letzten Flaggenschuß, bis zum letzten Tag des Krieges blieb die Adria ein österreichisches Meer, dank den Seeleuten Altösterreichs, deren Heroismus auch in unserem kleingewordenen, landumgebenen Vaterland für immer unvergessen bleiben sollte.

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