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Das Land der tausend Inseln

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Aller Segen, den die Natur einem Staate in maritimer Beziehung spenden kann, ist in wahrhaft verschwenderischer Fülle auf der 400 Seemeilen langen Küstenstrecke von Istrien bis zu den Bocche di Cattaro gehäuft, während an den 1200 Meilen langen Ufern der italienischen Küste nur die Häfen von Venedig, Ancona und Brindisi durch den Aufwand vieler Millionen zu einigermaßen sicheren Zufluchtsstätten für Seeschiffe hergestellt werden konnten.

Die Häfen Albaniens, in denen die Römer ihre Expeditionen gegen Asien und Ägypten ausrüsteten, die noch zu den Zeiten der Venezianer sichere Stationsplätze für ihre Flotten boten, sind durch die türkische Vernachlässigung mehr oder minder unbenutzbar geworden. Durazzo, das Dyrrachium der Römer, einstmals blühende Handelsstadt, und Dulcigno haben versandete Häfen und sind unbedeutend, während Valona als wichtiger strategischer Schlüsselpunkt gegenüber von Otranto, am Eingang zur Adria gelegen, in den letzten Jahrzehnten wieder entdeckt worden zu sein scheint.

Die nördliche Ostküste des Adriatischen Meeres, Istrien und Dalmatien, enthält wahre maritime Kleinode, die bei vollkommener Sicherheit eine Ausdehnung besitzen, welche sie befähigen würde, alle Flotten der Welt gleichzeitig in ihren Becken aufzunehmen. Diese Eigenschaft war es auch, welche diese Küsten zum vielumworbenen Ziele aller seefahrenden Nationen Europas erhob. Es kämpften um deren Besitz: Griechen, Römer, Spanier, Venezianer, Genuesen, Türken, Russen, Franzosen und Engländer, und in neuerer Zeit waren ihre Gewässer der Schauplatz einer der größten Seeschlacht, welche je um den Besitz dieser Küsten geschlagen wurde. Lissa und Tegetthoff sind Begriffe, die in der Seekriegsgeschichte mit ehernem Griffel eingemeißelt sind, zu Ehren Altösterreichs. In den Jahren des ersten Weltkrieges 1914—1918 wußte sich Österreichs Flotte einer fast erdrückenden Übermacht tapfer zu erwehren, bis ein unerbittliches Schicksal eine der schönsten und bestorganisierten Marinen von der Weltbühne wegfegte.

Immer war es das Verlangen nach dem Besitz dieser herrlichen Häfen, den Pforten zwischen Abend- und Morgenland, welches die Augen der Großmächte Europas nach dem Süden bannten, um an den unermeßlichen Gewinnen des Handels mit dem nahen Orient, Indien und dem fernen Ostasien teilhaben zu können.

Napoleon I. erkannte mit sicherem Blick die Wichtigkeit Dalmatiens für den Welthandel, welchen er durch den ebenfalls von ihm projektierten Durchstich des Isthmus von Suez aufs neue in die verlassenen Bahnen zwingen wollte. Hatte die Auffindung des Seeweges nach Indien den levantinischen Handel beeinträchtigt, hatte die Entdeckung Amerikas den Handel mehr dem Westen zugewendet und Venedig allmählich zu Fall gebracht, belebten Napoleon doch so viele Intentionen seines großen Vorbildes Alexander, daß auch er einen geistigen Zug nach Indien plante, um den Schätzen desselben die Pforten des Adriatischen Meeres wieder zu öffnen und hiedurch seinen unversöhnlichen Feind, England, zu demütigen. Er erkannte auch die außerordentliche Tüchtigkeit der Bewohner Dalmatiens für den Seedienst. Diese Söhne der sturmum-brausten Felsen erweckten unter den schwächlichen Bewohnern der Mittelmeerhäfen seit jeher allgemeine Bewunderung. In der Tat ist der Ruf der Dalmatiner und Istrianer als Seeleute ein wohl begründeter; mit Leichtigkeit ertragen sie die Anstrengungen des Seelebens in allen Zonen. Ihre Energie, ihre Kühnheit und wahrhaft imponierende Kraft, ihre Nüchternheit und Anspruchslosigkeit machen sie zu den ersten Matrosen der Welt. Nur wer diese Bevölkerung besitzt, beherrscht das Adriatische Meer.

In richtiger Erkenntnis heuerte auch Weyprecht zu seiner kühnen Nordpolexpedition in den Jahren 1872 bis 1874, die zur Entdeckung des Franz-Josefs-Landes führte, bloß Dalmatiner an, obwohl alle Experten dem widerrieten.

Napoleon wollte einen Hafen Dalmatiens zum Range von Antwerpen oder Marseille erheben und sandte, da ihm Venedig ungeeignet erschien, den berühmten Hydrographen Beaupre-Beau-temps zum Marschall Marmont nach Zara, um die dalmatinischen Häfen zu studieren. Der Kaiser hatte Cattaro im Auge.

Die Bocche di Cattaro, ein Komplex von vielen sicheren Häfen, auf deren ruhigem Spiegel man keine Ahnung von den Stürmen des äußeren Meeres hat, besitzt aber nur einen einzigen Ausgang, der bei schwerem Schirokko sogar schwer passierbar ist. Dieser Ubelstand war gleichwohl mehrere Male Ursache der Rettung Catta-ros. Denn wie eine Inschrift auf dem Fiumera — Tor dortselbst — besagt, erschien der gefürchtete morgenländische Seeheld Chaireddin Barbarossa mit der türkischen Flotte im Jahre 1539 vor der Stadt, sie zur Ubergabe auffordernd. Er verließ jedoch eiligst diese Gewässer in der Überlegung, plötzlich von der heimkehrenden venezianischen Flotte eingeschlossen zu werden. In ähnlicher Besorgnis verließ der türkische Kapudan Pascha Pertauch 1569 die Bocche, welches Faktum eine Inschrift neben dem Haupttore der Domkircb.e zu Cattaro bestätigt.

Dagegen wurde Napoleons Aufmerksamkeit auf die Vorzüge Gravosas gelenkt, das alle Eigenschaften eines vortrefflichen Hafens mit dem großen Vorteil verbindet, mehrere Ausgänge zu besitzen, welche bei jedem Wetter passierbar sind und durch Festungswerke leicht gesperrt und verteidigt werden können. Noch von Schönbrunn aus erteilte der damals mächtige Herrscher nach genauem Studium der Vorlagen den Befehl, die Befestigungsprojekte auszuarbeiten. Spuren von deren Ausführung erblickt man noch heute auf den Bergen zwischen Gravosa und Ragusa und auf den Inseln Calamota und Olipa. Der Sturz des Kaisers verhinderte deren Vollendung.

Auch die Engländer erkannten den hohen Wert der dalmatinischen Küsten, sie hielten während der Napoleonischen Kriege von 1810 bis 1815 Lissa und Cur-zola besetzt und wollten für immer auch im adriatischen Golfe festen Fuß fassen, um den levantinischen Handel an sich zu reißen. Sie suchten später bei Österreich um die Erlaubnis an, in Gravosa ein Kohlendepot errichten zu dürfen, welches sie zur Sicherheit mit einem Wall umgeben wollten.

Auch Rußland hatte sein Auge auf Gravosa geworfen. Zur Zeit der Napoleonischen Kriege hatten Russen im Verein mit den Montenegrinern das von den Franzosen besetzte Ragusa belagert, durch dessen Fall der herrliche Hafen Gravosa in deren Hände gelangt wäre. Sie besetzten durch überlistung des österreichischen Generals Prady Cattaro, später Lesina und Korfu und suchten mit weitblickendem Scharfsinn in diesen Gewässern Positionen zu erringen, von welchen aus sie dem alten Erbfeind, der Türkei, in die Flanke fallen und nebenbei den Handel Österreichs schädigen könnten. Der Wiener Kongreß machte diesem Treiben ein Ende, doch waren die Absichten Rußlands auf Süddalmatien nicht aufgegeben. Der ausgezeichnete russische Diplomat Graf Nesselrode glaubte aus der geringen Beachtung Gravosas von seiten Österreichs Nutzen ziehen und eine geeignete Station für russische Schiffe im Adriatischen Meer erlangen zu können. In den dreißiger Jahren sandte Kaiser Nikolaus zwei Prinzen seines Hauses nach Wien, um Verhandlungen wegen Überlassung eines Terrains bei Gravosa anzuknüpfen, auf welchem die russische Admiralität eine Kohlenstation zu errichten für äußerst notwendig erachtet hatte. Die Verhandlungen scheiterten jedoch an der Standhaftigkeit Metternichs.

Das Königreich Jugoslawien wußte die Erbschaft aus dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie zu schätzen und wandte Dalmatien seine größte Aufmerksamkeit zu. Als Haupthandelsempo-rium wurde Spalato ausgebaut und zu beachtenswerter Höhe gebracht, Sebenico und die Bocche di Cattaro waren die Kriegshäfen und wurde auch dort mit den verhältnismäßig kargen zur Verfügung stehenden Mitteln viel geleistet und eine gut organisierte kleine Kriegsmarine unterhalten.

Wie sich jetzt die Verhältnisse im Traumland Dalmatien gestalten, ist noch zu undurchsichtig. Gebe Gott den schönen Gestaden und der sympathischen Bevölkerung dieses Landes, das in der Erinnerung der alten österreichischen Seeleute fortlebt, eine glückliche und friedliche Zukunft.

Das sturmreiche Meer, das die Flagge Rot-weiß-rot in die fernsten Welteile geführt hat, die sicheren Häfen, der reiche Inselkranz mit seinen stillen Buchten und zahllosen Ankerplätzen, die felsenharten Bewohner endlich, welche unsere Seeschlachten geschlagen und unsterbliche Leistungen im Dienste der Wissenschaft vollbracht haben, sie bilden alle ein dankenswertes Objekt des Besinnens aus Altösterreichs großer Zeit.

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