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Unbesiegbares Venedig

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Thukydides überliefert einen Ausspruch des durch den Landkrieg bedrängten Perikies: „Wäre Athen eine Insel, welches Volk wäre unbesiegbarer als wir?“ Venedig war in dieser glücklichen Lage, bis es, um das Wort Eickhoffs zu gebrauchen, „verlandete“ und die Kolonialherrschaft über Kreta der Serenissima die schwerste Wunde schlug. Der Kampf um die Vorherrschaft im Mittelmeer ist ein höchst aktuelles Thema, seit wieder eine östliche Weltmacht hier vordringt. Nach der Seeschlacht von Lepanto (1571) erfreute sich die Ägäis eines Zustandes des Friedens, bis nach 74 Jahren der Krieg um Kreta 1645 mit dem Überfall der Türken auf die im Westen der Insel gelegene Stadt Kanea begann.

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Thukydides überliefert einen Ausspruch des durch den Landkrieg bedrängten Perikies: „Wäre Athen eine Insel, welches Volk wäre unbesiegbarer als wir?“ Venedig war in dieser glücklichen Lage, bis es, um das Wort Eickhoffs zu gebrauchen, „verlandete“ und die Kolonialherrschaft über Kreta der Serenissima die schwerste Wunde schlug. Der Kampf um die Vorherrschaft im Mittelmeer ist ein höchst aktuelles Thema, seit wieder eine östliche Weltmacht hier vordringt. Nach der Seeschlacht von Lepanto (1571) erfreute sich die Ägäis eines Zustandes des Friedens, bis nach 74 Jahren der Krieg um Kreta 1645 mit dem Überfall der Türken auf die im Westen der Insel gelegene Stadt Kanea begann.

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Der Krieg erreichte seinen Höhepunkt mit der Belagerung der Hauptstadt Kandia (1667 bis 1669). Um den türkischen Nachschub zu unterbinden, versperrten die Venezianer immer wieder die Ausfahrt aus den Dardanellen, aber bei für sie günstiger Brise gelang es den für Kandia bestimmten Schiffen der Türken, an den bewegungsunfähigen Seglern der Venezianer vorbeizufahren. Zur See verlor Venedig nie seine Überlegenheit, aber Kandia mußte dem Massensturm der Os- manen unterliegen.

Die Venezianer wurden von den Flotten des Papstes, der toskanischen St.-Stefans-Ritter, des spanischen Neapels und ihrer treuesten Freunde, der Malteser, unterstützt. Als Malteser kämpften in ihrer Jugend der große Tourville, Bischof Kollonitsch und Georg Rumpler, der 1683 die Wiener Mineure kommandierte. In Kandia, wo der Krieg unter der Erde die meisten Opfer kostete, die von den Türken leichter als voň den Belagerten ersetzt wurden, kämpften, die Zahl der Venezianer übertreffend, als Fremdarbeiter der damaligen Zeit savoyische, französische, eidgenössische und vor allem deutsche Söldner. Wir begegnen der Familie Degenfeld. Christoph Martin von Degenfeld, Haudegen im Dreißigjährigen Krieg, leitete als venezianischer General 1647 mit seinen Söldnern den glorreichen Feldzug in Dalmatien. Die Erinnerung an ihn hält der Name „II Barone“ der von ihm gehaltenen Burghöhe von Sebenico fest. Sein Sohn Ferdinand, mit siebzehn Jahren in einem Gefecht völlig erblindet, stellte später als kurfürstlich-pfälzischer Rat mit venezianischem Geld zwei Degenfeld-Regimenter auf, die in Kandia und bis 1698 im Peloponnes kämpften. Sein Bruder Adolph fiel in Kandia 1668 bei einem Ausfall, sein Bruder Christoph verließ als allerletzter Kandia nach der Kapitulation. Hannibal, der jüngste Sohn des Generals Christoph Martin, stand 1669 auf den Wällen von Kandia. Er nahm als bayrischer Feldmarschall-Leutnant am Entsatz Wiens teil und schlug zwei Jahre nachher an der Spitze von Braunschweigern und Sachsen die Türken im Peloponnes. Zur Verteidigung von Kandia stellte Ludwig XIV. die Mittelmeerflotte und zwölf Regimenter bei. Das Reich half mit Braunschweiger Regimentern unter dem Grafen Josias von

Waldeck, einem kleinen Kontingent von Salzburg und dem Deutschen Orden und 500 Mann Kaiser Leopolds unter Graf Kilmannsegg, der das Gnadenbild der Madonna von Kandia für den Hochaltar der Mi- chaelerkirche stiftete. Der Ausfall der Franzosen erwies sich als sinnloses Bravourstück. Die auf 2500 Köpfe zusammengeschmolzene Besatzung erhielt im September 1669 freien Abzug mit fliegenden Fahnen. Auf venezianischer Seite waren 31.000, auf osmanischer 119.0Ó0 gefallen.

Der Verfasser sieht in Kreta ein verfehltes Kolonialunternehmen, getragen von einem gräzisierten, der Mutterstadt entfremdeten Adel und handelspolitisch wertlos. Wohl litt der Orienthandel Venedigs unter dem Seeweg nach Indien und der Konkurrenz Hollands, Englands und Frankreichs in der Levante, aber noch besaß Venedig die stärkste christliche Mittelmeerflotte und noch waren dank der Steuerkraft der Stadt und der Terra ferma und der alten, bewährten undemokratischen Verfassung der Serenissima Finanzen und Währung in Ordnung. Zur Zeit des Krieges um Kreta entstanden Santa Maria della Salute, die Palazzi Pesaro und Rezzonico, wurde ein Jahr vor dem Fall Kan- dias die Fassade von San Moise vollendet.

Im „Großen Türkenkrieg“, in dem die gemeinsame Offensive von Kaiser und Reich, Polen, Venedig und Malta zustande kam, eroberte Francesco Morosini als Generalkapitän des Meeres mit deutschen Hilfstruppen unter Hannibal Degenfeld und dem Grafen Königsmarck den Peloponnes. Athen wurde belagert, wobei die Bombe eines deutschen Artilleristen in das Pulvermagazin der des bis dahin aufrecht stehenden Parthenon fiel. Die Pest brach aus, Königsmarck erlag ihr und 1694 starb in Nauplia Morosini Pelepon- nesiaco. 1715 wurden die Forts in Morea fast ohne Schwertstreich den Türken übergeben und der Friede von Passarowitz bestätigte den Verlust. Der Malvasier wurde wieder türkisch. An die weltgeschichtliche Leistung Venedigs, der Niederhaltung der östlichen Weltmacht im Mittelmeer, erinnert noch das einst größte Arsenal der Welt mit der Triumphpforte des Peleponnesiaco, bewacht von den Löwen vom Piräus.

Im folgenden Teil seines Werkes wendet sich der Verfasser der Geschichte Polens, dessen Beziehungen zu den Nachbarstaaten und Frankreich und den Kämpfen gegen die Türken zu. Eine neue Höhe erklimmt die Darstellung mit dem Aufstand in Ungarn, der Belagerung Wiens und dem weiteren Verlauf des Türkenkrieges. ,

Die Knappheit des Raumes versagt, selbst auf die wertvollsten Einzelheiten der Darstellung einzugehen. Der Verfasser führt dem Leser ein Großgemälde der diplomatischen und militärischen Aktionen vor, beleuchtet den Hintergrund der europäischen Politik, untersucht die Einrichtungen und Zustände der kriegsführenden Mächte, charakterisiert die Männer, die Geschichte machten, so in meisterhafter Weise Sobieski und die beiden Großwesire Köprülü. Die Bewältigung des Stoffes auf Grund einer umfassenden, auch die türkischen, polnischen und russischen Quellen berücksichtigenden Literatur, die Teilung in kurze, in sich abgeschlossene Kapitel, der klare, dabei farbenvolle und spannende Stil zeichnen das Werk aus, welches eine bisher offene Lücke der Geschichtsschreibung schließt und selbst den geschulten Historiker immer wieder ein oder das andere Detail überrascht. Wir haben ein höchst erfreuliches Geschichtswerk vor uns, für welches dem Autor uneingeschränkter Dank gebührt.

VENEDIG, WIEN UND DIE OS- MANEN. Umbruch in Südosteuropa 1645 bis 1700. Von Ekkehard Eickhoff. Verlag Georg D. W. Callwey, München. 495 Seiten mit Abbildungen. DM 28.—.

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